Heft 
(1.1.2019) 09
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ALS BRESHNEWS SARG IN DIE GRUBE KRACHTE

Konferenz zum Theater im Spät- und Postsozialismus

Bei der Inszenierung von Bulgakovs Ro­manMeister und Margarita im Dresdner Schicht-Theater 1989 ließen in der Be­gräbnisszene für den Journalisten Berlioz die Träger den Sarg aus den Händen glei­ten und in die Grube poltern. Das Publi­kum verstand diese Anspielung sofort und lachte laut: Während der Feierlichkeiten zum Begräbnis des sowjetischen Staats­und Parteichefs Leonid Iljitsch Breshnew im November 1982 war den Trägern näm­lich genau diese Peinlichkeit passiert: Sie hatten die Stricke losgelassen.

Auch so konnte die Kommunikation zwischen Theater und Zuschauern unter den Bedingun­gen einer geschlossenen Gesellschaft funk­tionieren: Alle wußten, was gemeint war, ohne daß etwas klar gesagt worden wäre. Dieses und andere Beispiele für den Austausch zwi­schen Bühne und Öffentlichkeit diskutierten Wissenschaftler aus neun Ländern bei einer Konferenz zum Drama und Theater im Spät­und Postsozialismus Mitte Oktober an der Universität Potsdam. Für den Berliner Theaterwissenschaftler Jörg Bochow war der polternde Sarg der Anfang vom Ende des real existierenden Sozialismus. Andere setz­ten die Zäsur anders: aus polnischer Perspek­tive war bereits Anfang der 80er Jahre das vor­läufige Ende vom Ende erreicht, vom soziali­stischen Kulturmodell habe man sich bereits

] Lodhe L in _.] VideoteatrPoza

Powiesc dla Hollywoodu

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W£g prozy Hanny KRALL

Roman für Hollywood heißt das Stück übersetzt, daß die polnische Theatergruppe VideoteatrPoza in Potsdam zeigte. Hier das Originalplakat zur Aufführung in Warschau. Abb.: VideoteatrPoza

in den 60ern verabschiedet. Irgendwo dazwi­schen sehen die Theater der anderen ehema­ligen sozialistischen Länder den Wende­punkt. Das Symposium war zwar von Potsda­mer Slavisten organisiert, hatte aber wie das Beispiel DDR zeigt nicht nur die slawischen Länder im Blick. Rußland waren vier Beiträge

CENT SOUCIS VARIES

gewidmet, der Slowakei zwei, Tschechien ebenfalls zwei, drei beschäftigten sich mit der Theatersituation in den südslawischen Län­dern Slowenien, Serbien und Bulgarien, und zwei Vorträge betrafen sorbische Themen. Polnisches Theater wurde bei der Konferenz nicht nur referiert, sondern auch gezeigt: Die Warschauer Experimentierbühne Videoteatr Poza war mit einer Vorstellung ihrer neue­sten InszenierungPowieSC dla Hollywoodu zu Gast, in der die traditionellen Gattungs­grenzen aufgehoben sind und Video­installation und Theater eine neue Einheit bil­den. Indem sie auf der Bühne in die Kamera spricht und Aufzeichnungen mit ihr gezeigt werden, ist die Schauspielerin Jolanta Lothe Darstellerin, Kommentatorin und Moderatorin in einem, während der Regisseur, Peter Lach­mann, für alle sichtbar die Geräte steuert. Ein raffiniertes Spiel mit den Erzählebenen und Rollen. Einen zweiten sehr praktischen Akzent setzte die Begegnung mit dem Intendanten und den Mitarbeitern des Potsdamer Hans Otto Theaters. Auch hier war das ganze Problemspektrum der organisatorischen wie ästhetischen Veränderungen Gegenstand des Gesprächs. Allen Beteiligten war klar, daß in dem viertägigen Symposium das Thema nicht annähernd ausgeschöpft werden konn­te. Die Gespräche waren allerdings ein An­fang. Eine Fortsetzung wurde bereits verab­redet. Norbert Franz

Groupe de Theätre Francais besteht seit sechs Monaten

Daß Studierende Theater spielen, soll häu­figer vorkommen. Daß sie ihr erstes Stück selbst schreiben, dürfte schon seltener sein. Und daß sie es in mehreren Fremd­sprachen schreiben und aufführen, ist eine Rarität. Vor allem aber war die Aufführung der gerade einmal seit einem halben Jahr bestehenden TheatergruppeGroupe de Theätre Francais der Universität Potsdam im Rahmen des 2. Romanistischen Tages ein beeindruckender Erfolg.

Cent Soucis Varies(etwa zu übersetzen mit: Hundert verschiedene Ärgernisse) heißt das Stück. Es beschreibt in lockerer Szenen­folge Variationen eines Abenteuers im Park von Sanssouci. Zunächst tritt einer der Akteu­Te vor die Zuschauer, um im Plauderton ei­nige Hinweise zu dem nun folgenden Stück zu geben: Man habe sich von Raimond | Queneau anregen lassen,ich buchstabiere Q-U-E-N..., doch schnell wird er von seinen | Mitspielern am Weiterreden gehindert: Denn man wolle nun endlich anfangen.

| Und man fängt an, in französischer Sprache.

Berichtet wird von einer Golmer Studentin, die mit dem Fahrrad durch den Park Sans­souci fährt und dabei von einem Parkwäch­ter ertappt und gestellt wird. Diesem fettlei­bigen, bärtigen Widerling mit seinem knur­renden Köter kann sie nur entfliehen, weil der Wächter von einem aufdringlich grinsen­den japanischen Touristen abgelenkt wird, der um ein Foto vor dem Teehaus bittet. Die­se Episode nun wird in sechzehn szenischen Variationen vorgestellt. Einmal in einer Sprachenkette: Im Cafe wird die Geschich­te von Tisch zu Tisch in allen möglichen ro­manischen und slavischen Sprachen und einer der jeweiligen Kultur entsprechenden Mimik und Gestik weitererzählt; wobei die Ereignisse nach dem Prinzipstille Post, immer wieder anders dargestellt werden.

Es folgt eine hinreißende Solodarstellung von Matthias Damberg als Pantomime, in der die Charaktere der Personen mit Hilfe von Musikauszügen und zudem in anstei­gendem Tempo beschrieben werden. Eine andere Variation zeigt eine politische Wahl­veranstaltung, in der ein Politiker die Verro­

hung der Sitten im Park beklagt und fordert, den Studenten den Zutritt zu verbieten. Wei­ere Abwandlungen schließen sich an, bis in der Schlußszene eine Großmutter ihren vier Enkeln die Geschichte von der armen Prin­zessin im Park vorliest, die von einem tapfe­ren Ritter aus dem fernen Osten vor einem schrecklichen Ungeheuer errettet wird. Jetzt ist aus der Episode ein Märchen geworden, das die Kinder in den Schlaf wiegt.

Das begeisterte Publikum feierte das En­semble mit heftigem Applaus. Die Mitglie­der der Gruppe(Sylvie Danjou, Nicole Bucher, Matthias Damberg, Katia Deyrieux, Mariano Pineiro y Neubeck und Fabian Waldmann) erklärten, von Raymond Quene­ausExercises de Style inspiriert worden zu sein, die in einem Seminar überStimme und Expression, von Sylvie Danjou gelesen wurden. Nach der Uraufführung im Rahmen des Romanistenfestes im Juni habe man es nochmals überarbeitet. Zur nächsten Auffüh­rung wird man etwas weiter fahren müssen: Romanisten der Humboldt-Universität zu Berlin haben die Gruppe eingeladen. abu

| PUTZ 9/97

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