PUTZ 1-2/01
Titel
und seine Umsetzung
Diskussion um das Potsdamer Modell der Lehrerbildung
Traditionell hat die Lehrerbildung an der Universität Potsdam einen hohen Stellenwert. Das setzt sich im so genannten Potsdamer Modell fort. Seine Wurzeln liegen in einem Beschluss des Gründungssenates der Universität Potsdam atis dem Jahre 1991. Dort wurde festgelegt, ein Modell zu etablieren, das mit einer integrierten und stufenübergreifenden Ausbildung auf die Professionalisierung des Lehrerberufs zielt. Danach bilden Unterrichten, Erziehen, Beur
teilen und Beraten in der Tätigkeit der zukünftigen Lehrer eine Einheit. Darauf soll während des Studiums unter anderem durch eine intensive Theorie-Praxis-Beziehung als Kern der Lehrerausbildung vorbereitet werden. Auch der Wissenschaftsrat sprach sich im Januar 2000 dafür aus, die Lehrerbildung als eigenen Profilbereich weiter zu entwickeln und zu stärken. In der Schule kompetent auftretende Lehrer brauchen eine Ausbildung, die sie praxis
nah auf den Schulalltag vorbereitet. Doch schon von Beginn an wird das Potsdamer Lehrerbildungsmodell auf der einen Seite viel gelobt und auf der anderen Seite kaum zur Kenntnis genommen oder sogar scharf kritisiert. Das kristallisierte sich auch bei den von der Redaktion Putz gesammelten Beiträgen zum Thema heraus. Vor allem von Studierenden und Absolventen wird immer wieder eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Umsetzung des Modells wahr
genommen. Sie kritisieren, dass trotz der Praktika der Ausbildung oftmals der Praxisbezug fehlt. Die Redaktion der PUTZ will mit ihrem Titelthema die Debatte um das Potsdamer Modell der Lehrerbildung aufgreifen, versteht die Texte auch als Chance für die Beförderung der weiteren hochschulöffentliehen Ausein-andersetzung über den Profil-bereich. In diesem Sinne hoffen wir auf zahlreiche Zuschriften. Lhre Veröffentlichung erfolgt im nächsten Heft.
Vorbereitung auf den Ernstfall
Zu den Kernproblemen der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gehört die Frage nach dem Theorie-Praxis- Bezug: Welches Gewicht sollte die Vermittlung fachspezifischer wissenschaftlicher Qualifizierung einnehmen im Verhältnis zum Erwerb pädagogisch-psychologischer Kompetenzen und methodischdidaktischer Reflexionsfähigkeit? Dass alle angesprochenen Bereiche für erfolgreiches Handeln im Lehrerberuf unverzichtbar sind, darüber ist noch relativ leicht Einigkeit zu erzielen. Aber wie, in welcher Reihenfolge und an welchen Lernorten die entsprechenden Kompetenzen sinnvollerweise vermittelt beziehungsweise erworben werden sollen, darüber wird seit mehr als 150 Jahren immer wieder neu gestritten.
Die Universität Potsdam hat als Leitidee für ihre Studienkonzeption die Ausbalancierung von fachlicher und pädagogischer Qualifizierung unter frühzeitiger und kontinuierlicher Einbeziehung vielfältiger
Praxiserfahrungen formuliert. Die Lehrenden gehen davon aus, dass vom ersten Semester an die unterschiedlichen Kenntnisse immer im Blick auf das berufliche Handlungsfeld und die Profession vermittelt werden sollten, und zwar idealerweise in möglichst engem Zusammen
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hang mit erlebter und/oder selbst gestalteter Praxis.
Das bedeutet eine klare Absage an reines “Vorratslernen”, bei dem Faktenwissen, Wissen über theoretische Zusammenhänge oder auch methodisches Wissen überwiegend abgespalten aus konkreten Abläufen pädagogischer Interaktionen erfolgt. Keinesfalls kann aus dieser Perspektive zunächst eine fachliche Qualifizierung “vorgeschaltet”, in einem zweiten Schritt dann in kondensierter Form eine pädagogische Qualifizierung “draufgesattelt” werden. Im Gegenteil: Gemeinsamer Bezugspunkt für die Vermittlung pädagogischer Theorie und Praxis ist der studienbegleitende Bezug auf die Profession, auf die sich wandelnden Anforderungen an Schule und Lehrkräfte.
Das beginnt bereits ganz zu Anfang des Studiums entweder in einem “Integrierten Eingangspraktikum”, wie es vor allem in der Primarstufen- lehrerausbildung verbreitet ist, oder in einem an die Studieneinführung anschließenden betreuten dreiwöchigen Hospitationspraktikum. Theoretische Einführungsphasen wechseln dabei mit Hospitations- und Erkundungsphasen ab. Aus der angeleiteten Beobachtung von Unterricht, von kindlichem Sozialverhalten, Erkundungen von Aufgaben und Tätigkeitsprofilen von Lehrerinnen und Lehrern und auch von Schul
programmen und Schulprofilen werden Erkenntnisse und neue Fragestellungen gezogen und gemeinsam diskutiert: In weiteren Veranstaltungen kann dies vertieft werden. Die Konfrontation mit pädagogischen “Ernstsituationen” bietet den Studierenden dabei auch die Möglichkeit, den eigenen Berufswunsch selbstkritisch zu überprüfen.
Insgesamt trägt das Potsdamer Modell der Tatsache Rechnung, dass der Lehrerberuf hohe Anforderungen an die Fähigkeit zur Selbstreflexion stellt. Dies muss in der Ausbildung immer wieder herausgefordert und geübt werden. Die Kooperation mit den Schulen der Stadt Potsdam beziehungsweise im näheren Umfeld ermöglicht die Durchführung dieser Praktika. Ein weiteres Praktikum absolvieren die künftigen Lehrer in außerschulischen pädagogischen Feldern. Das ist insbesondere deshalb wichtig, um den veränderten Anforderungen an pädagogische Sensibilität für die höchst vielfältigen Problemlagen heutiger Kinder und Jugendlicher zu gewinnen. In vielen Fällen ist eine Kooperation mit Beratungsstellen, dem Jugendamt oder Freizeiteinrichtungen sehr hilfreich. Solche Institutionen aus eigener Anschauung zu kennen, gleichzeitig differenzierte Perspektiven zu entwik- keln, den Blick für soziale und gesellschaftliche Probleme zu schärfen und die Auswirkungen
auf das eigene Berufsfeld analysieren zu lernen, ist hier ein wichtiger Ertrag.
Im weiteren Verlauf des Studiums setzen interdisziplinäre Angebote und Projektseminare praxisbezogene Vertiefungsmöglichkeiten fort. Durch Kooperationsverträge mit Schulen können zum Beispiel neue Ideen im Unterricht erprobt und forschend begleitet werden, Studierende können somit “forschendes Lernen” und damit Evaluationskompetenz einiiben. Damit will das Potsdamer Modell in besonderem Maße verweisen auf die Notwendigkeit, sich auf lebenslanges Lernen einzustellen, selbst immer wieder kritisch überprüfen zu können, wo Veränderungsnotwendigkeiten auch eigene Weiterqualifizierung erfordert. Der im hiesigen Studienkonzept ausgewiesene vergleichsweise hohe Stunden- I anteil in den Fächern Pädagogik, Psychologie und Soziologie erscheint angesichts der brisanten jugendpolitischen Situation keinesfalls als Fehlinvestition. Ein Modell, das sowohl einen wissenschaftlichen Habitus als auch einen pädagogischen ^ Habitus bei künftigen Lehrkräften verankern will, scheint ohne ein solchermaßen ausgewogenes Verhältnis nicht erfolgsfähig.
Prof. Dr. Marianne *
Horstkemper /
Institut für Pädagogik