Heft 
(1.1.2019) 01
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PUTZ 1-2/01

Titel

und seine Umsetzung

Diskussion um das Potsdamer Modell der Lehrerbildung

Traditionell hat die Lehrerbil­dung an der Universität Pots­dam einen hohen Stellenwert. Das setzt sich im so genannten Potsdamer Modell fort. Seine Wurzeln liegen in einem Be­schluss des Gründungssenates der Universität Potsdam atis dem Jahre 1991. Dort wurde fest­gelegt, ein Modell zu etablieren, das mit einer integrierten und stufenübergreifenden Ausbildung auf die Professionalisierung des Lehrerberufs zielt. Danach bilden Unterrichten, Erziehen, Beur­

teilen und Beraten in der Tätigkeit der zukünftigen Lehrer eine Einheit. Darauf soll während des Studiums unter anderem durch eine intensive Theorie-Praxis-Beziehung als Kern der Lehrerausbildung vor­bereitet werden. Auch der Wissenschaftsrat sprach sich im Januar 2000 dafür aus, die Lehrerbildung als eigenen Profil­bereich weiter zu entwickeln und zu stärken. In der Schule kompe­tent auftretende Lehrer brauchen eine Ausbildung, die sie praxis­

nah auf den Schulalltag vorbere­itet. Doch schon von Beginn an wird das Potsdamer Lehrerbildungsmodell auf der einen Seite viel gelobt und auf der anderen Seite kaum zur Kenntnis genommen oder sogar scharf kri­tisiert. Das kristallisierte sich auch bei den von der Redaktion Putz gesammelten Beiträgen zum Thema heraus. Vor allem von Studierenden und Absolventen wird immer wieder eine Dis­krepanz zwischen Anspruch und Umsetzung des Modells wahr­

genommen. Sie kritisieren, dass trotz der Praktika der Ausbil­dung oftmals der Praxisbezug fehlt. Die Redaktion der PUTZ will mit ihrem Titelthema die Debatte um das Potsdamer Modell der Lehrerbildung auf­greifen, versteht die Texte auch als Chance für die Beförderung der weiteren hochschulöffentliehen Ausein-andersetzung über den Profil-bereich. In diesem Sinne hoffen wir auf zahlreiche Zuschriften. Lhre Veröffent­lichung erfolgt im nächsten Heft.

Vorbereitung auf den Ernstfall

Zu den Kernproblemen der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gehört die Frage nach dem Theorie-Praxis- Bezug: Welches Gewicht sollte die Vermittlung fachspezifi­scher wissenschaftlicher Qua­lifizierung einnehmen im Verhältnis zum Erwerb päda­gogisch-psychologischer Kom­petenzen und methodisch­didaktischer Reflexions­fähigkeit? Dass alle ange­sprochenen Bereiche für er­folgreiches Handeln im Lehrerberuf unverzichtbar sind, darüber ist noch relativ leicht Einigkeit zu erzielen. Aber wie, in welcher Reihenfolge und an welchen Lernorten die entsprechenden Kompetenzen sinnvollerweise vermittelt beziehungsweise erworben werden sollen, darüber wird seit mehr als 150 Jahren immer wieder neu gestritten.

Die Universität Potsdam hat als Leitidee für ihre Studien­konzeption die Ausbalancierung von fachlicher und pädagogi­scher Qualifizierung unter frühzeitiger und kontinuierlicher Einbeziehung vielfältiger

Praxiserfahrungen formuliert. Die Lehrenden gehen davon aus, dass vom ersten Semester an die unterschiedlichen Kenntnisse immer im Blick auf das beruf­liche Handlungsfeld und die Profession vermittelt werden sollten, und zwar idealerweise in möglichst engem Zusammen­

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hang mit erlebter und/oder selbst gestalteter Praxis.

Das bedeutet eine klare Absage an reinesVorratslernen, bei dem Faktenwissen, Wissen über theoretische Zusammenhänge oder auch methodisches Wissen überwiegend abgespalten aus konkreten Abläufen pädagogi­scher Interaktionen erfolgt. Keinesfalls kann aus dieser Perspektive zunächst eine fach­liche Qualifizierungvorge­schaltet, in einem zweiten Schritt dann in kondensierter Form eine pädagogische Qualifi­zierungdraufgesattelt wer­den. Im Gegenteil: Gemein­samer Bezugspunkt für die Vermittlung pädagogischer Theorie und Praxis ist der studi­enbegleitende Bezug auf die Profession, auf die sich wandeln­den Anforderungen an Schule und Lehrkräfte.

Das beginnt bereits ganz zu Anfang des Studiums entweder in einemIntegrierten Ein­gangspraktikum, wie es vor allem in der Primarstufen- lehrerausbildung verbreitet ist, oder in einem an die Studien­einführung anschließenden betreuten dreiwöchigen Hospi­tationspraktikum. Theoretische Einführungsphasen wechseln dabei mit Hospitations- und Erkundungsphasen ab. Aus der angeleiteten Beobachtung von Unterricht, von kindlichem Sozialverhalten, Erkundungen von Aufgaben und Tätigkeits­profilen von Lehrerinnen und Lehrern und auch von Schul­

programmen und Schulprofilen werden Erkenntnisse und neue Fragestellungen gezogen und gemeinsam diskutiert: In wei­teren Veranstaltungen kann dies vertieft werden. Die Konfron­tation mit pädagogischen Ernstsituationen bietet den Studierenden dabei auch die Möglichkeit, den eigenen Berufswunsch selbstkritisch zu überprüfen.

Insgesamt trägt das Potsdamer Modell der Tatsache Rechnung, dass der Lehrerberuf hohe An­forderungen an die Fähigkeit zur Selbstreflexion stellt. Dies muss in der Ausbildung immer wieder herausgefordert und geübt werden. Die Kooperation mit den Schulen der Stadt Potsdam beziehungsweise im näheren Umfeld ermöglicht die Durchführung dieser Praktika. Ein weiteres Praktikum absol­vieren die künftigen Lehrer in außerschulischen pädagogischen Feldern. Das ist insbesondere deshalb wichtig, um den verän­derten Anforderungen an päda­gogische Sensibilität für die höchst vielfältigen Problemlagen heutiger Kinder und Jugend­licher zu gewinnen. In vielen Fällen ist eine Kooperation mit Beratungsstellen, dem Jugend­amt oder Freizeiteinrichtungen sehr hilfreich. Solche Institutio­nen aus eigener Anschauung zu kennen, gleichzeitig differen­zierte Perspektiven zu entwik- keln, den Blick für soziale und gesellschaftliche Probleme zu schärfen und die Auswirkungen

auf das eigene Berufsfeld analysieren zu lernen, ist hier ein wichtiger Ertrag.

Im weiteren Verlauf des Studiums setzen interdisziplinäre Angebote und Projektseminare praxisbezogene Vertiefungs­möglichkeiten fort. Durch Kooperationsverträge mit Schu­len können zum Beispiel neue Ideen im Unterricht erprobt und forschend begleitet werden, Studierende können somit forschendes Lernen und damit Evaluationskompetenz einiiben. Damit will das Potsdamer Modell in besonderem Maße verweisen auf die Notwen­digkeit, sich auf lebenslanges Lernen einzustellen, selbst immer wieder kritisch über­prüfen zu können, wo Verände­rungsnotwendigkeiten auch eigene Weiterqualifizierung er­fordert. Der im hiesigen Studienkonzept ausgewiesene vergleichsweise hohe Stunden- I anteil in den Fächern Pädagogik, Psychologie und Soziologie erscheint angesichts der brisan­ten jugendpolitischen Situation keinesfalls als Fehlinvestition. Ein Modell, das sowohl einen wissenschaftlichen Habitus als auch einen pädagogischen ^ Habitus bei künftigen Lehr­kräften verankern will, scheint ohne ein solchermaßen ausgewo­genes Verhältnis nicht erfolgs­fähig.

Prof. Dr. Marianne *

Horstkemper /

Institut für Pädagogik