Nachwort
Als sich Theodor Fontane im November 1892 daran machte, sich - wie er es ausdrücktc - mit seinen „Kinderjahren" gesund zu schreiben, da schrieb er wohl mit besonderer Liebe über das zwölfte Kapitel die Überschrift: „Was wir in der Welt erlebten", und gleich zu Anfang ist der Satz zu lesen: „Ich hatte von früh an einen Sinn für die politischen Vorgänge, wie sie mir die Zeitung vermittelte.“ Und liest man nun weiter von den Guckkastcn- bildern und dem Rot und Gelb und Grün, das ihm nicht mehr aus der Erinnerung weichen wollte, so wird es einem von Zeile zu Zeile klarer, daß es Bilder waren, für die sein Sinn in ganz besonderer Weise offen stand, farbkräftige Bilder aus der Zeit und Gegenwart, und welches Amüsement muß er daran gefunden haben, beim Schreiben seines „Stcchlin“ noch einmal verstohlen umzublicken und die Contrebande der roten Strümpfe der kleinen Agnes in sein Altcrswcrk zu stecken! Das Schwefelgelb der Weste von Pierre Barthelcmy („Meine Kinderjahre", 2. Kap.) ist so nahe, und doch liegen siebzig Jahre dazwischen.
Bilder haben das Eigentümliche, unverändert und unmittelbar zu bleiben und die ewige Wiederkehr in sich zu tragen. Aber man muß für sie geboren sein. Mit gutem Recht und nicht aus Zufall nannte Fontane einen Abschnitt seines Gedichtbands: „Bilder und Balladen.“ Daß diese Bilder, wie das der roten Strümpfe der kleinen Agnes, zugleich Akzente waren, ist das Auszeichnendc und Besondere dieses Märkers mit den französischen Sinnen. Wer anders als er hätte es sagen können: „Die Akzente machen’s, im Leben und in der Kunst.“
Vielleicht war die Zeit um 1882 der Wiederkehr der Bilder besonders günstig für Fontane, so daß er in seinem Schaffen weit um sich greifen konnte und auch „Sidonie von Borcke“ herausholte, an die man nicht denken kann, ohne sich der Passagen über Murillo- Zauber und Hexerei in „L’Adultera" (5. Kap.) zu erinnern, lag doch auch dieses Werk in Bearbeitung auf seinem Schreibtisch und gab Gelegenheit, Zeitbilder vorzuführen. Gerade so wie in „Storch von Adebar“, der ebenfalls „unter dem Hammer“ lag; wobei es fein ist zu beobachten, wie Fontane in diesem Fragment gleichsam durch schmaler gemadite Augenlieder sieht: schärfer, fixierender um sich blickt als in „L’Adultera“ (wo ein Bild zum Titel wird), wenn auch mit nicht geringerem Humor. Über beiden Fragment gebliebenen Werken aus diesem Zeitraum, über „Sidonie von Borcke“ wie über „Storch von Adebar", zieht „Gewölk", trotz des Humors; gibt es denn überhaupt ein anderes Wort, das so untrennbar vom Fontaneschen Schaffen zu sein scheint und das er so oft und wie unter innerstem Zwang ergreift, wenn er in sein „Helldunkel“ tritt?
Mit „Storch von Adebar“ - es gibt in Wirklichkeit eine Familie v. Storch - hat Theodor Fontane das rechte Bild, den rechten Titel, Namen und Akzent gewählt für seinen Stoff, denn Persiflage, Spaß und Ironie sollten in dem Roman ihr Juliwetter haben und hoch in die Halme steigen. Eine rechte Sommergeschichte also, wie es schien. Doch wo die Heiterkeit zur Lustigkeit bei Theodor Fontane werden will, muß man mit Recht Befürchten hegen, daß es am Ende weit hinab geht in das „Abendrot“, das ihn in seiner Jugend bei Herwegh bezauberte. Zypressen werden aber nicht verlangt, das Allerlei des Lebens biegt nur einfach ab in das Fontanewort: „doch das Beste, was es sendet, ist der Ausgang, ist der Tod“.