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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Ulrich Schröder:Lernbehinderte in Frankreich- Zu Stand und Entwicklungstendenzen der französischen Sondererziehung und Integrations­

bemühung

Deutschland ebenfalls nicht annährend genau definiert werden konnte. Es gibt immerhin eine Reihe von Indikatoren, die für die Population der Lernbehinder­ten bei uns mehr oder weniger charakte­ristisch sind und die die hauptsächlich diskutierten Indikatoren, nämlich Schul­versagen und Intelligenzminderleistung, z.T. wesentlich ergänzen. Auch die schon erwähnte Tatsache, daß infolge der relativ späten Überweisung der pro­zentuale Anteil der Schüler in Sonder­klassen bis zum 10. Lebensjahr deutlich ansteigt, zählt zu ihnen, da sie anzeigt, indiziert, daß die Population nicht vor einer Konfrontation der Kinder mit den schulischen Anforderungen und vor Ablauf gewisser Versuche, diese Anfor­derungen trotz Schwierigkeiten zu be­wältigen, zu bestimmen ist.

Die beiden wichtigsten Indikatoren al­lerdings, nämlich Sozialschichtvertei­lung und Konzentration der Lern­schwierigkeiten im sprachlichen Be­reich, können hier leider nur gestreift werden, da dazu aus dem Raum der Sondererziehung in Frankreich keine Belege bekannt sind. Im breiteren Rah­men der Untersuchung des Schulversa­

Abb. 2: Regionale Unterschiede des Prozentan­teils der Sondererziehung im Bereich des Er­ziehungsministerium an den Gesamtschüler­zahlen, dichotomisiert mithilfe des Medians (schraffiert: höhere Prozentsätze), Stand 1984/ 85.

gens hat sich jedoch eine Bestätigung so­wohl der Bedeutung der sozio-kulturel­len bzw. sozio-ökonomischen Determi­nanten als auch des starken Anteils des Sprachsektors am Schulversagen erge­ben(Zucman 1983, Guyot 1983).

Zwei weitere solche Indikatoren seien abschließend kurz behandelt:

1. Das Verhältnis von Jungen und Mäd­chen in unseren Lernbehindertenschu­len beträgt etwa 60:40. In Geistigbehin­dertenschulen ist der Mädchenanteil et­was höher, in Schulen für Verhaltensge­störte erheblich niedriger(Schröder 1981). Fast genau dieselbe Relation von 3:2 finden wir in den französischen Son­derklassen- und das seit Jahren kon­stant; lediglich in den E.N.P./E.R.E.A. liegt der Anteil der Jungen, vermutlich aufgrund der Internatsbedingungen, deutlich höher(siehe hierEntwicklung und Stand der Sondererziehung in Frankreich). Auch die damit wahr­scheinlich zusammenhängende etwas höhere durchschnittliche Intelligenz der Jungen wurde in Frankreich ebenso wie in der deutschen Lernbehindertenschu­le konstatiert(Gilly 1969, 239 ff.). Offen­bar werden bei Jungen etwas andere

V.= Versailles Cr.= Creteil

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 3, 1987

Überweisungsmechanismen wirksam als bei Mädchen; allerdings können die in Frankreich diskutierten Hypothesen zur Erklärung dieses Phänomens eben­sowenig restlos befriedigen wie die bei uns gehandelten.

2. Die regionale Verteilung der Anzahl der Sonderschüler zeigt in Frankreich starke Divergenzen, jedoch kein einfa­ches Stadt-Land-Gefälle: Sowohl der Raum um Paris(einschließlich der Hauptstadt selbst) als auch das Gebiet um das Rhönetal- beide hochindustria­lisierte Regionen- liegen wie die(ländli­che) Bretagne deutlich unter dem natio­nalen Durchschnitt, während ein Teil des dünnbesiedelten Zentralmassivs und der gesamte Nord-Ost-Bereich von Lille über Amiens und Reims bis Straß­burg darüber liegen(siehe Abb. 2). Darin spiegeln sich wohl außer dem Fak­tor Industrialisierung, bei dem jedoch ‚klassische, auf Kohle und Eisen basie­rende Industrien von moderner ‚Hoch­

technologie zu unterscheiden sind, auch

regionale bildungspolitische Tendenzen und- im Falle Elsaß-Lothringens- eine aus der Zugehörigkeit zum Deutschen Reich herrührende Sonderschultradi­

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