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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Doris Dönhoff-Kracht und Knut Dönhoff: Schulangst und Lernbehinderung- eine empirische Studie

einhergehenden Entwicklungsrückstän­de kognitiver und sprachlicher Funktio­nen, des Sozialverhaltens wie auch in der Differenzierung der Emotionalität(Kul­tusminister 1977, 9) bedingen Schul-Lei­stungsversagen und damit u. U. eine ge­nerelle Angst vor allen im schulischen Bereich erwünschten und geforderten Aktivitäten. Das heißt nicht, daß- wie in der Literatur zur Angstforschung häufig erwähnt- ein erhöhtes Angstniveau un­bedingt schlechten Leistungen voraus­gehen bzw. deren Ursache sein muß; als Bedingungszusammenhang ist ebenso möglich: Schulversagen führt(z. B. auf­grund verstärkten Leistungsdrucks und/ oder anderer erzieherischer Interventio­nen, aufgrund der Art desDurchfüh­rungsmodus von Leistungsbewertun­gen) zu Schulangst, die dann wiederum schlechte Leistungen zur Folge haben kann: ein circulus vitiosus(s. auch Kroh­ne 1977, 24; vgl. auch Schwarzer 1981, 103 f.).

Alsproximale Antezedenzien der Schulangst nennt Krohne(a.a.O., 25 ff.) Situationsunsicherheit(z. B. kann bei bedrohlich eingeschätzten Ereignissen kein gültiges Handlungsmodell für den weiteren Situationsverlauf gebildet wer­den), damit einhergehende Reaktions­blockierung, starke Bewertung der angstauslösenden Situation und Unan­gemessenheit der Angstkontroll-Mecha­nismen.

Diese in der Interaktion von Situation und Person gelegenen Faktoren können u. U. aufgrund der familiären und schuli­schen Sozialisationsbedingungen der Lernbehinderten bei dieser Population eine größere Rolle als bei Regelschülern spielen.

Das Erreichen allgemeiner u.a. von Klafki aufgestellter Erziehungsziele wie z.B. individuelle und gesellschaftliche Mündigkeit, Selbst- und Mitbestim­mungsfähigkeit, Urteils-, Kritik- und Handlungsfähigkeit, Kreativität und Kommunikationsfähigkeit wäre unter Einbeziehung von unterschiedlichen Formen der Angst zumindest erschwert, besonders wenn man berücksichtigt, daß (vgl. Schwarzer 1975, 11) ängstliche Schüler neben dem Erleben ihrer Um­

welt unter dem Aspekt des Bedrohlichen von dieser auch nicht angemessen ak­zeptiert, teilweise mit negativen Attribu­ten beschrieben werden.

Angst und Schulangst

Das Erlebnis der Angst ist Teil des menschlichen Lebens(vgl. Riemann BE)

In der wissenschaftlichen Literatur wer­den die Begriffe Angst und Furcht teils synonym gebraucht, teils werden sehr genaue Differenzierungen zwischen bei­den getroffen.

Während Angst nicht auf ein spezifi­sches Objekt gerichtet und die bedrohli­che Reizkonstellation somit mehrdeutig ist, ist Furcht meist auf ein distinktes Ob­jekt, eine eindeutig lokalisierbare Gefah­renquelle bezogen, auf ein relativ klares Wovor. Jedoch sind zwischen beiden Begriffen in bezug auf die Grundmodali­täten möglicher Wirkungen und der Er­lebnisevidenz keine wesentlichen Unter­schiede festzustellen(Fröhlich 1965, 516 f.; Walter 1977, 19 f., 24; vgl. auch Becker 1980, 298 f.).

Im folgenden wird auf Differenzierun­gen der hypothetischen Konstrukte Angst und Furcht ebenso wie auf die un­terschiedlichen und sehr vielfältigen wie auch teilweise divergenten Definitions­versuche, die zudem meist theoriege­bunden sind, nicht eingegangen werden (vgl. Fröhlich 1965, 517).

Allgemein kann Angst alsunangeneh­mer und unerwünschter Zustand dys­phorischer Verstimmung und Schwä­che, den der davon Betroffene möglichst zu vermeiden oder bald zu beenden sucht, gesehen werden(Becker 1980, 18; vgl. auch Schwarzer 1981, 80).

Als wesentliche Komponenten der Angst können Kognitionen(Bangen, Ungewißheit, Sich-Bedroht-Fühlen), Affekte(Schrecken, Bestürzung, Pa­nik) und physiologische Reaktionen (z. B.Nervosität) und letztlich motori­sche Reaktionen(Unruhe und Ge­spanntheit) unterschieden werden (Becker 1980, 20).

Unterscheidet man nach Schwarzer

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 3, 1987

(1981, 89 ff.) Ängste nach ihrem Allge­meinheitsgrad und ihrer Thematik, so kann man zwischen drei relativ allgemei­nen Ängsten differenzieren:Existenz­angst, soziale Angst und Leistungs­angst(a. a. O., 92). In der Regel werden Angst als situationsabhängiger vorüber­gehender Zustand(state anxiety) und Ängstlichkeit bzw. manifeste Angst als überdauerndes Persönlichkeitsmerk­mal, als Disposition(trait anxiety) von­einander unterschieden; diese beiden Aspekte der Angst werden in der Trait­State-Anxiety-Theorie von Spielberger zusammengefaßt(Spielberger 1966, 1980; Wieczerkowski u. a. 1979, 6; Bek­ker 1980, 16 ff.; Limberg 1982, 98 f.; Schwarzer 1981, 84). Die Bedingungen für Zustandsangst und manifeste Angst werden hier nicht besprochen. Eine Weiterentwicklung des 0.a. Angstmo­dells von Spielberger ist nachzulesen bei Schwenkmezger(1985).

Mit der für Leistungsversagen mitver­antwortlichen Angst ist sowohl in den referierten Untersuchungen als auch in der eigenen Erhebung bevorzugt Angst als passagerer Zustand gemeint, die durch situationsspezifische Wahrneh­mungs- und Vorstellungsinhalte ausge­löst, u.a. zu einer Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls, der Selbstachtung führt. Durch die hiermit verbundene Mutlosigkeit und eingeschränkte Focus­sierung der Konzentration auf bestimm­te Leistungsanforderungen, durch Un­ruhe, Gespanntheit, Gefühle der Hilflo­sigkeit verminderte Leistungsmotiva­tion, allgemeine somatische Reaktions­tendenzen u. a. kann letztlich Leistungs­versagen mitbegründet werden.

Jedoch sind die beiden Angstaspekte nicht unabhängig voneinander zu sehen, da die persönliche Angstbereitschaft des Individuums(trait anxiety) in entschei­dendem Maße für die Entstehung von Ängsten in bestimmten Situationen mit­verantwortich ist(state anxiety; Wiec­zerkowski 1977, 7; s. auch Schwenkmez­ger 1985).

Jeder Entwicklungs- und Reifungsschritt ist angstbesetzt, da neue unbekannte Aufgaben zu bewältigen sind(vgl. z.B. Riemann 1973, 28).

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