So ist die Schule mit ihren ständig neuen Anforderungen vornehmlich an den Intellekt und das Sozialverhalten der Schüler, deren Erfüllung einer Leistungsnorm bzw. einem sozialen Vergleich, d.h. einer Beurteilung, Prüfung, Kontrolle unterworfen ist, eine Angst und Streßsymptome erzeugende Institution. Dabei hängen die Art und das Ausmaß der Angstäußerungen zum einen von der Reizintensität der schulischen Umwelt ab, zum anderen aber auch von den interindividuellen_Dispositionsunterschieden der Schüler(Schwarzer und Royl 1976, 547). Schulangst ist nach Schwarzer und Royl zu verstehen als „Reaktionsmuster auf einen Komplex von abstrakten Reizen, die mit der Institution Schule verbunden sind”(a. a. O., 547). Sie kann als„Besorgtheit und Aufgeregtheit angesichts schulischer Anforderungen, die als selbstwertbedrohlich eingeschätzt werden”, verstanden werden, wobei schulische Leistungen bestimmte in einem sozialen Kontext zu erbringende Leistungen sind(Schwarzer 1981, 100). Schulangst ist somit neben der Leistungsangst auch als soziale Angst zu verstehen(a. a. O., 90).
Dem Problem Angst und besonders Schulangst wird eine immer größere Bedeutung zugemessen, seitdem die Erfahrungen im Bereich der Psychologie und Psychotherapie ergeben haben, daß „Angst bei der Genese und Ätiologie von Lernstörungen, Leistungsversagen und neurotischen Konflikten” eine Rolle spielt(Schell u.a. 1973, 1).
Angst ist jedoch nicht nur negativ zu bewerten als eine die Aktivität einschränkende, als hemmende Größe; es werden ihr durchaus auch stabilisierende, die Aktivität fördernde, motivierende Funktionen zugesprochen, wie es z.B. in Theorien zur Angstentwicklung deutlich wird.
In diesem Zusammenhang sind z. B. zu nennen die ethologischen Theorien(Lorenz, Leyhausen), psychoanalytische und neoanalytische Theorien(Freud, Erikson), Reiz-Reaktions-Theorien über die Effekte der Angst auf die Leistung wie z.B. die Theorien von Yerkes und Dodson, das Drive Modell von Spence
144
und Taylor(IOWA-Theorie), das HabitInterferenz-Modell von Mandler und Sarason(Yale-Theorie), das Erwartungsmodell von Atkinson und McClelland und ebenfalls das Zwei-FaktorenModell von Thurner wie auch informationstheoretische Ansätze(Krohne, Schröder; vgl. Gärtner-Harnach 1976, 14 ff.; Walter 1977, 123; Schwarzer 1975, 15 ff.).
Derleistungssteigernde Effekt der Angst ist in der Regel bei einfach strukturierten Aufgaben festgestellt worden, wie auch ein leistungshemmender Effekt bei komplexen Lernaufgaben für Schülergruppen unterschiedlicher Schularten beobachtet wurde(vgl. z. B. Schell 1972, 23, 26 ff.; Schell u.a. 1973, 1; Mandler und Sarason 1952; Yerkes und Dodson 1908, zit. n. Levitt 1976, 95 f.; Krope und Viehöfer 1978). Für Schwarzer(1981, 104), nach dem diese Befunde i. d. R. auf realitätsferne Laborexperimente Zzurückzuführen sind, stehen nicht die Schwierigkeitsdimensionen von schulischen Leistungsanforderungen, sondern andere im einzelnen aufgrund widersprüchlicher Befunde noch nicht genau definierte„Elemente des Unterrichtsgeschehens” in Wechselwirkung mit Ängstlichkeit.
Die von Wine(1980, 356) referierten Befunde machen u.a. auf die leistungsbeeinträchtigenden Verhaltensweisen Hochängstlicher aufmerksam: Hochängstliche haben mehr aufgabenirrelevante Gedanken, zeigen mehr „Selbstbeschuldigungen” und mehr „selbstbezogene und selbstabwertende Kommentare während des Leistungsvollzugs”(Schwarzer 1981, 95). 1.d.R. findet sich beim ängstlich Erregten eine flottierende Aufmerksamkeit, die auf den Lerngegenstand lediglich in eingeschränktem Maße gerichtet ist(a. a. O., 95 ff.). Auch das Attribuierungsverhalten bezüglich Erfolg und Mißerfolg ist diskrepant verglichen mit dem Niedrigängstlicher. Hochängstliche sehen Erfolge zu wenig in ihrer Verantwortlichkeit begründet, Mißerfolge dagegen zu sehr, wenn auch in der Attribuierungsforschung endgültige Auffassungen bezüglich überdauernder Attribuierungs
Doris Dönhoff-Kracht und Knut Dönhoff: Schulangst und Lernbehinderung- eine empirische Studie
muster vermißt werden(a. a. O., 97). Zusammenfassend sei betont, daß der Zusammenhang zwischen Angst und Lernleistung durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren mitbedingt ist (vgl. Schell 1972, 17 ff.; Sarason et al 1971; Sarason 1960; Schwarzer 1975; Becker 1980).
Die für die Angst und speziell die Schulangst vielfältigen Gründe, ausgehend von der frühen Sozialisation bis hin zu spezifischen Einflüssen(vgl. z. B. Viehöfer 1980, 23), sollen hier nicht näher erörtert werden(vgl. auch Speichert 1977; Schwarzer und Royl 1976).
Aus dem Gesagten resultiert, daß Angst und spziell die Schulangst nicht die gleiche Intensität bei den verschiedenen Schülern bzw. Schülergruppen aufweisen muß. Ebenfalls ist zu vermuten, daß die Angst wie auch die Prüfungsangst eine Vielzahl korrelativer Bezüge zu weiteren Variablen erkennen lassen. Zusammenhänge zwischen Angst und schulischer Leistung werden in einem Übersichtsartikel von Bittmann(1980) referiert.
Die Problematik der Angsterfassung sei an dieser Stelle kurz thematisiert: Das hypothetische Konstrukt Angst ist durch multiple Messungen auf unterschiedlichen Dimensionen zu erfassen. Dabei ist die Relevanz experimenteller Angstforschung unabdingbar abhängig von der Qualität der Meßverfahren(vgl. Walter 1981, 74).
Grundlegende Techniken der Angsterfassung sind die Verhaltensbeobachtung, physiologische Meßverfahren, Fragebogentechniken und projektive Testverfahren.
Auf eine genaue Explikation der Vorund Nachteile dieser Verfahren wird verzichtet. Erwähnt sei lediglich, daß es sich bei den in den nachfolgend referierten Untersuchungen eingesetzten Tests um Verfahren zur subjektiven Persönlichkeitsmessung handelt. Diese Verfahren sind in forschungsorganisatorischer und -ökonomischer Sicht wenig aufwendig, sind standardisiert, erlauben- vorausgesetzt, sie werden bei der Zielpopulation eingesetzt- eine„populationsspezifische relationale Positionsbestimmung”
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 3, 1987