Doris Dönhoff-Kracht und Knut Dönhoff: Schulangst und Lernbehinderung- eine empirische Studie
der Untersuchungsperson im Hinblick auf das gemessene Kriterium(a. a. O., 81 f.). Nachteile beim Einsatz derartiger Verfahren sind u. a. durch die Befragten hervorgerufene Verzerrungen und Verfälschungen(z. B. im Sinne der Akquieszenz oder sozialen Erwünschtheit(SE)), ein Problem, dem die Testkonstrukteure mit verschiedenen Techniken, z. B. dem Einsatz von sog. Lügenitems, Items mit möglichst geringem oder gleichem SEWert und Items mit umgekehrten Inhalt, zu begegnen versuchen, was jedoch nur eine„bedingte Kontrolle” ermöglicht(a. a. O., 90; vgl. auch Mittenecker 1982, 100 ff.). Bei dem Einsatz derartiger Fragebögen darf nicht die große Bedeutung situativer Faktoren wie auch der Instruktion im Hinblick auf die diagnostische Valenz des Testergebnisses vergessen werden(Walter 1981, 90 f.). Verglichen mit Angstfragebögen unterliegen projektive Testverfahren nicht in dem Maße der o. e. Gefahr der Verzerrung; dagegen hat der projektive Test jedoch aufgrund von Interpretationsungenauigkeiten und-fehlern eine geringere Auswertungsobjektivität verglichen mit Fragebögen(a.a.0O., 92 ff.). Nach Schwarzer(1975, 27 f.) hat der Einsatz projektiver Tests zu uneinheitlichen Ergebnissen in der Angstforschung geführt.
Schulangst bei Lernbehinderten
Für die Population der Schule für Lernbehinderte wird im folgenden anhand der Darstellung empirischer Befunde 0. g. Fragestellungen nachgegangen. Dabei werden u.a. wenige Untersuchungsergebnisse aus dem angloamerikanischen Sprachraum referiert. Derartige Befunde sind aufgrund der Andersartigkeit des Erziehungs- und Schulsystems wie auch der kulturellen und sozio-ökonomischen Bedingungen nur bedingt auf eine deutsche Population übertragbar.
Eine Darstellung derartiger Ergebnisse kann jedoch damit begründet werden, daß deutschsprachige Fragebögen z. T.
aus Übersetzungen amerikanischer Fragebögen bestehen(CMAS: Children Manifest Anxiety Scale nach Castaneda, McCandless und Palermo 1956, Ausgangspunkt für die Entwicklung des Kinder-Angst-Tests(KAT) oder TASC: Test Anxiety Scale for Children nach Sarason, Davidson, Lighthall und Waite 1958 und MAS: Manifest Anxiety Scale von Taylor 1953. Der Angstfragebogen für Schüler(AFS) wurde in Anlehnung an die drei genannten Tests konzipiert. Die Fragebögen wurden ergänzt aus anderen Quellen und/oder durch eigene Items). Dadurch ist die Ähnlichkeit der verschiedenen Fragebögen erklärt, so daß auch der Bezug zu amerikanischen Forschungsergebnissen erleichtert und ein testübergreifendes Ängstlichkeitskonstrukt evident wird(vgl. Thurner 1978, 428 f.).
Hinsichtlich des Vergleichs der Angst (Schul- bzw. Prüfungsangst und/oder manifeste Angst) bei Regelschülern und lernbehinderten Sonderschülern sind die Ergebnisse in verschiedenen empirischen Erhebungen teilweise divergent und kontrovers. Eine Begründung hierfür mag u.a. zu finden sein in forschungsstrategischen Gesichtspunkten wie z.B. der Art des Forschungsinstrumentes, Stichprobenauswahl u. ä. Wiener, Crawford und Snyder(1960) stellten an 52 männlichen milieugeschädigten, neurologisch beeinträchtigten jugendlichen Lernbehinderten mit einem durchschnittlichen IQ von 65,52(Bereich: 50-82) fest, daß sich weder hinsichtlich der Prüfungsangst noch in bezug auf die allgemeine Angst die Schüler verschiedener Leistungsniveaus signifikant unterschieden, daß jedoch bei gleichem Alter, IQ- und Lügenwert niedrige Schulleistung zwar mit hoher Leistungsangst signifikant korrelierte, jedoch nicht mit allgemeiner Angst. Allgemeine Angst und Prüfungsangst korrelierten miteinander signifikant.
So konnten Scherer und Schliep(1974) empirisch aufweisen, daß lernbehinderte Sonderschüler im Vergleich zu gleichintelligenten und der gleichen Sozialschicht entstammenden Hauptschülern mißerfolgsängstlicher sind, im An
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 3, 1987
spruchsniveau größere Zieldifferenzen und mehr atypische Reaktionen aufweisen. Dieses Ergebnis interpretierten die Autoren als„Folge ihrer durch Mißerfolge bestimmten Lernerfahrungen in der Grundschule im Sinne einer ungünstigen Sekundärsymptomatik”(a. a. 0., 81). Hingegen ermittelten Schell u. a.(1973), daß Jungen der Sonderschule im Vergleich zu den Jungen der Volksschule dazu tendieren, ein geringeres Ausmaß an Schul- bzw. Prüfungsangst zu zeigen, jedoch ein höheres Maß an allgemeiner Angst. Die niedrige Prüfungsangst wird erklärt durch den u. U. in der Sonderschule für Lernbehinderte stattfindenden Abbau von Prüfungs- und Leistungsdruck, die relativ hohe manifeste Angst durch die Auswirkung von Faktoren des sozio-kulturellen Milieus der Schüler. Die Mädchen der Volks- und Sonderschule erhielten sowohl hinsichtlich der Schulangst als auch hinsichtlich der allgemeinen Angst signifikant höhere Werte als die entsprechend gleichaltrigen Jungen. Das muß nicht bedeuten, daß Mädchen tatsächlich ängstlicher als Knaben sind. Als Erklärung können geschlechtstypische Reaktionsmuster dienen, nach welchen es Mädchen eher gestattet ist, Angst zu zeigen als Knaben (vgl. Dönhoff-Kracht 1980, 27, 108; Schwarzer 1975, 53, 80 ff.; Schell u.a. 1973, 5).
Mit Anwachsen der Angstwerte war bei beiden Schülergruppen ein Absinken in den Rechenleistungen als Indikator des Leistungsniveaus zu verzeichnen; eine Entsprechung findet sich in den Ergebnissen von Sarason u. a.(1971), wonach Prüfungsangst als Prädiktor für Schulleistung betrachtet werden kann(s. auch Cox 1964). Dagegen scheinen- entsprechend den empirischen Befunden Angst wie auch Übungssituation(Einzel- vs. Partnerarbeit) nicht in Beziehung zu dem Lernzuwachs bei Sonderschülern zu stehen.
Ebenfalls fanden Rheinberg und Enstrup(1977) bei nahezu gleichintelligenten Schülern der Sonderschule für Lernbehinderte(X= 77,3) und der Grundund Hauptschule(X= 78,6) der Klassen 4 bis 9 eine geringere Prüfungsängstlich
145