Sonderpädagogik als Integrationswissenschaft und Interventionswissenschaft: Betrachtungen zur Rezeption der operanten Lernpsychologie
Von Franz B. Wember
Gemäß Kanters Wissenschaftskonzeption einer empirischen Sonderpädagogik wird Skinners Lerntheorie skizziert und hinsichtlich ihrer empirischen Grundlagen analysiert. Skinners restriktive Methodik der Laborforschung läßt eindeutige Operationalisierungen zentraler Theoriebegriffe und eine strenge empirische Hypothesenprüfung zu. In der pädagogischen Praxis verliert die operante Psychologie jedoch an begrifflicher Schärfe, und frühe Applikationsversuche zeigen, daß sich Skinners Forschungsmethoden hier kaum eignen. Andererseits belegen Studien jüngeren Datums, daß sich viele operante Lehr- und Lernverfahren erfolgreich in den sonderpädagogischen Alltag integrieren lassen. Solche empirisch bewährten und praktisch erprobten Interventionsformen sollten nicht aufgrund theoretischer Vorbehalte abgelehnt werden, zumal sie sich mit kognitiven und motivationalen Ansätzen erfolgreich kombinieren lassen.
According to Kanters conception of special education as an empirical science, Skinners theory of learning is discussed in terms of its empirical foundations. Skinners restrictive methodology of laboratory research leads to clear operational definitions of the basic theoretical constructs and, thus, to strict empirical hypothesis testing. However, the constructs of operant psychology are less precise in the field of education, and Skinners methods of research do not seem to be suited to answer practical questions. But recent resarch in the classroom has resulted in the devolopment of operant techniques of instruction, which can successfully be intergrated into the daily work of the special educator. These proven techniques should not be rejected out of theoretical prejudice, since they can successfully be combined with cognitive and motivational approaches to instruction.
Kanters Wissenschaftskonzeption einer empirischen Sonderpädagogik
Als wissenschaftliche Disziplin steckt die Sonderpädagogik noch in den Anfängen; denn sie ist„... erst seit zwei Jahrzehnten im Begriff, ihr Arbeitsgebiet aufzubauen und zu differenzieren” (Kanter 1979, 9), und die facheigenen Theorieentwürfe sind, so Kanter(ebd., 7), über unvollständige Anfänge nicht hinausgelangt:„Nicht selten... werden Versatzstücke aus dem Erkenntnisbe
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stand von Nachbarwissenschaften... Zusammengetragen und anhand von abgeleiteten Begründungen mit dem Anspruch der Faktizität bloße Plausibilitätsaussagen vorgetragen. Auf diese Weise gerät die Arbeit des Fachgebietes in Gefahr, in einen unfruchtbaren Heurismus zu verfallen, statt realwissenschaftliche Fortschritte zu erzielen.” Als konstruktive Alternative entwickelt Kanter(1979) seinen wissenschaftstheoretischen Ansatz von der Sonderpädagogik als Integrationswissenschaft und Interventionswissenschaft: Sonderpädago
gen sollen zum einen die Theorien, Methoden und Befunde aus Nachbarwissenschaften kritisch rezipieren, nötigenfalls modifizieren, auf ihre Bedeutung und Verwendbarkeit im eigenen Arbeitsbereich prüfen sowie in eigene Theorieentwürfe integrieren. Zum anderen sollen Sonderpädagogen um die rational begründete Entwicklung und erfahrungswissenschaftliche Erprobung von Interventionsmaßnahmen bemüht sein, die auf die besonderen pädagogischen Bedürfnisse behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen zu
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 3, 1987