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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Franz B. Wember: Sonderpädagogik als Integrationswissenschaft und Interventionswissenschaft: Betrachtungen zur Rezeption der operanten

Lernpsychologie ' 100 A B BC BCD A BCD Schüler 1 [] Schüler 2

Abb. 3: Unterrichtsstörendes Verhalten bei zwei Schülern eines zweiten Schuljahres(A) und bei ei­nem Schüler einer Vorschulklasse(CB) als Funktion experimentell variierten Lehrerverhaltens (abgeändert nach Madsen, Becker& Thomas 1968, 146-147).

Abszisse: Ordnungszahl der Beobachtung. Es wurden jeweils die Daten von zwei aufeinander­folgenden Tagen gemittelt und zu einem Punkt zusammengefaßt.

Ordinate: Prozentsatz der Beobachtungsintervalle, in denen störendes Verhalten notiert wur­de.

A: Erhebung der Grundrate, keine experimentelle Einflußnahme auf das Lehrerverhalten. B: Die Lehrerin formuliert verbindliche Verhaltensregeln.

C: Die Lehrerin ignoriert unterrichtsstörendes Verhalten.

D: Die Lehrerin lobt konstruktives Arbeitsverhalten.

chen Treatment-Reversion und der überzeugenden Replikation in einer zweiten Schulklasse als gesichert gelten, aber die Interpretation der Ergebnisse in Termini der operanten Lerntheorie stößt auf Schwierigkeiten.

In beiden Schulklassen erweist sich das Ignorieren von Unterrichtsstörungen als ineffektiv, in Klasse A nahmen die Stö­rungen sogar zu. Auf den ersten Blick überrascht dieses Ergebnis, denn das Ignorieren soll eine Operationalisierung von Extinktion sein. Mit Extinktion(Lö­schung) ist gemeint, daß ein operantes Verhalten, das unter Kontrolle von Ver­stärkungskontingenzen steht, in seiner Auftretenshäufigkeit absinkt und schließlich gänzlich verschwindet, wenn plötzlich keine positiven Konsequenzen mehr auf das Verhalten folgen. Anhand der klassischen Versuchsanordnung er­läutert: Eine hungrige Taube steigert das Picken auf eine Taste bis zu extrem hohen Verhaltensraten, solange es durch Futtergaben verstärkt wird. Un­terbleiben diese plötzlich, wird die Tau­be das Picken nach und nach einstellen. Analog dazu würde man im Experiment von Madsen et al. erwarten, daß die Kin­der allmählich ihre Unterrichtsstörun­gen einstellen, wenn der Lehrer diese ignoriert und ihnen somit positive Verstärkung entzieht.

Es gibt zwei mögliche Erklärungen für die von Madsen et al. beobachtete Inef­fektivität von Extinktion. Die erste Er­klärung bleibt im Rahmen der operanten Theorie: Man kann mit einigem Recht sagen, daß die gerade skizzierte Auffas­sung von Extinktion zu simpel ist und nicht den differenzierten Kenntnissen entspricht, die man im Lernlabor gewon­nen hat. Hier hat sich gezeigt, daß bei Terminierung der positiven Verstärkung keineswegs eine sofortige und konti­nuierliche Abnahme des operanten Ver­haltens einsetzt, sondern oft zeigt das Versuchstier das Verhalten zunächst häufiger und intensiver, oft führt der unerwartete Belohnungsentzug sogar zu aggressiven Verhaltensweisen(z.B. Skinner 1953, 69-70). Erst nach dieser Phase kommt es zu einer allmählichen, später zu einer rapiden Abnahme des

170 HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 3, 1987