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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Franz B. Wember: Sonderpädagogik als Integrationswissenschaft und Interventionswissenschaft: Betrachtungen zur Rezeption der operanten

Lernpsychologie

lange zeitliche Verzögerung der Verstär­kung oder durch Setzen zu hoher Lei­stungskriterien.

Mit einem Münzverstärkungsprogramm lassen sich schnell und nachhaltig Ver­haltensänderungen erzielen, wie eine Studie von OLeary und Becker(1967) in einer Sonderklasse für 17 verhaltensge­störte Primarschüler belegt. Nach Erhe­bung der Grundrate wurde ein Münz­verstärkungsprogramm eingeführt: Konstruktives Unterrichtsverhalten wurde mehrmals am Tag durchNoten­zettel belohnt, diese konnten gegen materielle Verstärker wie Süßigkeiten, Comics oder Bastelmaterial einge­tauscht werden. In der ersten Woche wurden fünf Mal pro Tag Noten verteilt, die täglich gegen Unterrichtsschluß ein­getauscht werden konnten; in den fol­genden Wochen wurden die Verstär­kungskontingenzen zeitlich gestreckt und man setzte anspruchsvollere Krite­rien: Es wurden nur drei Mal täglich No­ten verteilt, diese konnten nur an jedem zweiten, dritten oder(ab der vierten Wo­che) vierten Tag eingetauscht werden, und die Preise für die Eintauschverstär­ker wurden sukzessive erhöht. Mit die­sem Verfahren konnten die Autoren das Störverhalten der Kinder, das von trai­nierten Beobachtern protokolliert wur­de, von durchschnittlich 80% der Beo­bachtungsintervalle während der Erhe­bung der Grundrate abrupt auf unter 30% senken und durch sukzessive Strek­kung der Verhaltenskontingenzen im Verlaufe der Studie auf einem niedrigen Niveau von etwa 10% stabilisieren. Deutliche Ergebnisse wie dieses sind in zahlreichen Studien der letzten Jahre berichtet worden(vgl. zusammenfas­send z.B. OLeary& Drabman 1971; Kazdin 1982), dennoch wurde gerade ge­gen Münzverstärkungsprogramme im­mer wieder heftige Kritik laut. Das Scheinargument, in solchen Program­men würden Schülerbestochen, un­terstellt zu Unrecht, es gehe hier um ille­gale Handlungen, die zu jemandes Nachteil ausgeführt werden, aber zu Recht hat man darauf verwiesen, daß Münzverstärkungsprogramme einen tiefgreifenden Eingriff in die sozialöko­

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logische Umwelt des Schülers darstellen, der nur im Falle von schwerwiegenden Problemlagen zu rechtfertigen ist, kei­nesfalls jedoch dazu mißbraucht werden darf, Unterrichtsmängel zu kaschieren oder unwillige Schüler um jeden Preis anzupassen. Schwer wiegt auch der Ein­wand von attributionstheoretisch orien­tierten Motivationspsychologen, die auf die negativen Nebeneffekte extrinsicher Verstärkung hinweisen.

Eine Attributionstheorie der Motivation versucht zu ergründen, wie sich Men­schen ihr eigenes Handeln subjektiv er­klären und auf welche Faktoren sie ihre Handlungsweisen ursächlich zurückfüh­ren. In attributionstheoretischer Sicht mögen externe Verstärker kurzfristig ein bestimmtes Zielverhalten bei einer Per­son positiv beeinflussen, langfristig je­doch, prognostiziert man, führen sie da­zu, daß die Person das external bekräf­tigte Verhalten als wenig wertvoll emp­findet und nur noch dazu bereit ist, wenn sie externe Belohnung dafür er­warten kann. Externe Verstärker, so lau­tet die Schlußfolgerung, verhindern die Bildung intrinsischer Motivation und führen langfristig zu dysfunktionalen Ef­fekten, oder, wie Levine und Fasnacht (1974, 816) dies in einem vielzitierten Satz ausgedrückt haben:Token Re­wards May Lead to Token Learning. Es gibt einige empirische Belege für die attributionstheoretische Sichtweise, zwei seien beispielhaft erwähnt. Deci (1971) konnte zeigen, daß Studenten, die in einem Experiment spontan Puzzles lösten, dies später seltener taten, wenn man sie zwischenzeitlich dafür belohnt hatte. Lepper, Greene und Nisbett (1973) zeigten, daß external verstärkte Vorschüler einer Experimentalgruppe nach der Verstärkungsphase weniger häufig mit einem interessanten Spielge­rät spielten als vorher, während die Vor­schüler einer Kontrollgruppe während der gesamten Versuchsdauer eine gleichbleibend hohe Rate von sponta­nen Spielaktivitäten zeigten. Beide Stu­dien demonstrieren, daß man durch extrinsische Verstärkung intrinsische Motivation unterminieren kann, es ist je­doch fraglich, ob die Ergebnisse auf typi­

sche Münzverstärkungsprogramme zu

extrapolieren sind, da sich beide Studien

erheblich von letzeren unterscheiden.

- Deci sowie Lepper und Mitarbeiter haben Verhaltensweisen verstärkt, die intrinsisch hoch motiviert waren und spontan häufig ausgeführt wur­den, Verhaltensweisen also, die in praxisorientierten Münzenverstär­kungsprogrammen mit Sicherheit nicht eigens verstärkt werden.

- In beiden Studien dauerte die Ver­stärkungsphase nur einige Minuten, während in Münzverstärkungspro­grammen gewünschte Verhaltens­weisen über Wochen und Monate gefördert und zu hohen Ferigkeitsni­veaus geführt werden.

In der Tat haben neuere Untersuchun­

gen, in denen man die genannten

Schwächen vermieden hat, gezeigt, daß

Münzverstärkungsprogramme keines­

wegs unausweichlich negative Motiva­

tionseffekte produzieren, sondern durchaus positive motivationale Auswir­

kungen haben können(vgl. Vasta 1981)

und bei sorgfältiger Planung und Durch­

führung(z.B. bei allmählichem Aus­blenden der extrinsischen Verstärker) zu langdauernden und generalisierbaren

Verhaltensänderungen führen.

Grenzen der operanten Lernpsychologie

Dem einen oder anderen Leser ist viel­leicht aufgefallen, daß bislang nur von Unterrichtsteilnahme und Arbeitsver­halten die Rede war, nicht jedoch von schulischen Lernprozessen und Schul­leistungen. Das ist kein Zufall, denn die überwiegende Mehrzahl operanter Stu­dien im Klassenzimmer beschäftigen sich mit Unterrichts-, Arbeits- und So­zialverhalten, nur eine verschwindend geringe Minderheit von Studien thema­tisieren schulische Lernförderung im en­geren Sinne. Hier zeigt sich eine- aus pädagogischer Perspektive vielleicht die

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 3, 1987