Ingrid Möller: Fernstudienmaterialien Sonderpädagogik im Präsenzstudium
Aufgabenstellung und Verlauf des Modellversuchs
Die Aufgabenstellung des MV sah vor, ein sonderpädagogisches Fernstudienangebot zu entwickeln, das in folgenden Einsatzfeldern erprobt werden sollte:
1. Im Bereich der Weiterbildung im engeren Sinne, verbunden also mit dem Erwerb einer zusätzlichen Qualifikation(hier: Lehramt für Sonderpädagogik).
. Im Bereich der Weiterbildung im umfassenden Sinne für Interessenten(auch ohne Hochschulzugangsberechtigung) aus Ssozial-erzieherischen Berufsfeldern.
. An Präsenzhochschulen in erziehungswissenschaftlichen Studiengängen als sonderpädagogisches Orientierungsstudium sowie in sonderpädagogischen Studiengängen im Sinne einer Entlastungsfunktion.
Für die curriculare Ausgestaltung eines solchen Lehrangebots lag dem Fachbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften(ESW) an der FeU in einem von Kanter verfaßten Gutachten zum MV ein Konzeptionsentwurf vor, der auf fernuniversitäre Rahmenbedingungen adaptiert wurde(Kanter 1977). Das im Verlauf des MV entwickelte sonderpädagogische Lehrangebot im Umfang von ca. 150 Kurseinheiten, die vorwiegend extern durch sonderpädagogische Lehrvertreter an Präsenzhochschulen bereitgestellt worden sind, orientiert sich in seiner Systematik eng an bestehende Studien- und Prüfungsordnungen sonderpädagogischer Studienstätten. Es kann jedoch aufgrund seiner themenzentriert zusammengesetzten Baukastenstruktur flexibel belegt und erarbeitet werden. Demzufolge wurde das Studienangebot sowohl für einen Zusatzstudiengang(vgl. Aufgabenstellung u. 1), für ein„Strukturiertes Weiterbildungsangebot”(vgl. Aufgabenstellung u. 2) und zusätzlich als Schwerpunktfach im Studiengang Magister-Artium an der FeU eingesetzt.
Obwohl Kanter in seinem Gutachten auf
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die Notwendigkeit eines sonderpädagogischen Orientierungsstudiums in allgemein erziehungswissenschaftlichen Studiengängen unter Verweis auf die Forderungen des Deutschen Bildungsrates und der Fachdiskussion um Integration und Prävention behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder nachdrücklich hingewiesen hat(Deutscher Bildungsrat 1974, Kanter 1977, 1985, Kleber 1977, 1983, 1985, Bleidick 1985, Sander 1976, Sander/Christ 1985), dabei die curricularen Möglichkeiten des Einsatzes von Fernstudienmaterialien gerade unter dem Aspekt der noch bestehenden kapazitären Überlastung an Präsenzhochschulen aufwies, konnte dieses Teilprojekt(vgl. Aufgabenstellung u. 3) im Verlauf des MV nur annäherungsweise umgesetzt werden. Der Einsatz von schriftlichen Studienmaterialien wird zwar durch das Hochschulrahmengesetz nahegelegt- unter dem Titel „Lehrangebot” heißt es:„Die Hochschule stellt auf der Grundlage einer nach Gegenstand, Zeit und Ort abgestimmten jährlichen Studienplanung das Angebot sicher, das zur Einhaltung der Studienordnungen erforderlich ist. Dabei sind auch Möglichkeiten des Selbststudiums zu nutzen und Maßnahmen zu dessen Förderung zu treffen”(vgl. HRG 1976,$ 12) und unter dem Titel„Fernstudium” wird ausgeführt:„Bei der Reform von Studium und Lehre und bei der Bereitstellung des Lehrangebots sollen die Möglichkeiten eines Fernstudiums genutzt werden”(vgl. HRG 1976,$13) dennoch waren die notwendigen institutionellen Rahmenbedingungen für Kooperationsverhandlungen nicht gegeben und konnten während der Projektlaufzeit nicht geschaffen werden. Die Einwände der Hochschulen gegen das Medium Fernstudienmaterialien im Sinne einer Studienergänzung oder sogar-entlastung sind zu einem erheblichen Teil mit der Befürchtung zu erklären, daß auf diese Weise weitere personelle Kapazitäten eingespart werden könnten. Desweiteren hätte die Einführung eines sonderpädagogischen Orientierungsstudiums in erziehungswissenschaftliche Studiengänge weitreichende Veränderun
gen in bestehenden Studien- und Prüfungsordnungen zur Folge gehabt, für deren Realisierung von seiten der Hochschulen kein Engagement zu erwarten war. Vor diesem hochschulpolitischen Hintergrund waren dem MV für diese Aufgabenstellung- auch personelle Grenzen gesetzt, die unter dem Blickwinkel innovatorischer Bestrebungen im Hochschulbereich bedauert worden sind.
Als Indikator dafür, daß das sonderpädagogische Fernstudienangebot in Präsenzhochschulen dennoch Eingang gefunden hat und in Studium und Lehre eingesetzt wird- wenn auch ohne formale Einbindung- mögen sowohl die Belegfrequenzen von Studenten im Status eines Kurszweithörers*(KZH) als auch die rege Nachfrage von seiten sonderpädagogischer Lehrvertreter nach Zusendung von Kursangeboten dienen. Zu Beginn des MV wurde das Kursangebot zu 15% von KZH abgerufen, ein Anteil, der verständlicherweise nach Einführung der Gebührenordnung an der FeU auf etwa 10% sank. Gegenwärtig werden in jedem Studiensemester durchschnittlich 600 Kursangebote von etwa 120 Studenten abgerufen, die neben dem Lehrangebot der Präsenzhochschule zusätzlich Fernstudienmaterialien belegen und bearbeiten.
Diese belegstatistischen Angaben zu einer Teilnehmergruppe im Fernstudienangebot, die als Adressatengruppe für eine der Aufgabenstellungen des MV zwar vorgesehen, jedoch curricular nicht explizit angesprochen worden ist sowie die Diskussion der Möglichkeiten für die Übernahme der Ergebnisse des MV durch Einrichtungen an Präsenzuniversitäten beleben die Aufgabenstellungen des MV erneut(Abels 1985, Peters 1985).
*Als Kurszweithörer werden an der Fernuniverstät Studenten immatrikuliert, die an einer Präsenzhochschule als Ersthörer studieren und an der Fernuniversität Studienmaterialien belegen, ohne die Absicht, einen Studienabschluß an der Fernuniversität erzielen zu wollen.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIII, Heft 3, 1987