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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Aspekte einer Psychologie des Mathematikunterrichts

Von Elisabeth Sander

Nach einem kurzen historischen Überblick über Er­gebnisse psychologischer Forschung, die die Mathe­matikdidaktik beeinflußt haben, werden Entwicklun­gen in der Psychologie nach dem 2. Weltkrieg darge­stellt, die mit mathematikdidaktischen Fragen in Be­ziehung stehen. Abschließend werden Aspekte aktu­eller Forschung herausgearbeitet, die für eine Theo­rie des Mathematikunterrichts von Relevanz sind.

After a short historical survey of the results of psy­chological research referring to the instruction of mathematics trends in psychology after 2nd World War are discussed, which are connected with ques­tions of mathematical instruction. Finally, aspects of present research are worked out relevant to the development of a theory of mathematics for instruc­tion.

Die Mathematikdidaktik hat von der psychologischen Forschung seit den 20er Jahren immer wieder Impulse er­halten. Während aber die psychologische Forschung der 20er und 30er Jahre sich für Fragen des Unterrichts nur am Ran­de interessierte, hat sich nach dem 2. Weltkrieg unter dem Einfluß derNeu­en-Mathematik-Bewegung und der Ma­stery-Learning-Konzeption das Interesse psychologischer Forschung in stärkerem Ausmaß auch Lehr-Lernprozessen zuge­wandt. In neuester Zeit bemüht sich ei­ne zunehmend größere Zahl vonkogni­tiv-orientierten Psychologen, Theorien der allgemeinen Psychologie über Denk-, Gedächtnis- bzw. Informationsverarbei­tungsprozesse mit den traditionellen Forschungsfragen der Lernpsychologie, wie neue Fähigkeiten erworben werden, zu verbinden. Damit wird erstmals eine Basis für eine Unterrichtstheorie geschaf­fen, die sich nicht nur aus der Struktur des Unterrichtsgegenstandes, sondern auch aus Prinzipien des Denkens und kognitiven Lernens herleitet.

Ich möchte zunächst einen kurzen histo­rischen Überblick geben über Ergebnisse psychologischer Forschung, die die Ma­thematikdidaktik beeinflußten und an­schließend Aspekte aktueller Forschung herausarbeiten, die für eine Theorie des

Mathematikunterrichts von Relevanz sind.

Ältere Ansätze zur Psychologie des Mathematikunterrichts

Bei den älteren Ansätzen sind sowohl Forschungsergebnisse der_behaviori­stisch orientierten Lernpsychologie(As­soziationstheorie) als auch solche der deutschen Gestaltpsychologie für den Mathematikunterricht relevant.

Assoziationspsychologische Ansätze

Die sogenannte Assoziationspsychologie ging davon aus, daß das gesamte Wissen aus einfachen Assoziationen und Asso­ziationsketten besteht. Auch kognitives Lernen wird aus dieser Sicht als Aufbau und Verstärkung von Assoziationen ver­standen. Ein bekannter Vertreter dieser Forschungsrichtung, der sich auch mit Unterrichtsfragen beschäftigte, war E.L. Thorndike. Er, der als Dozent in der Lehrerausbildung tätig war, war der Auffassung, daß Primarstufenlehrer vor allem die Assoziationen und Assozia­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988

tionsketten, die den Gegenstand der Arithmetik konstituieren, kennen müß­ten. In seinem Buch:The Psychology of Arithmetic(Thorndike 1922) stellte er deshalb Trainingsserien zu verschiede­nen Themen wie 1 x 1, Addition, Sub­traktion etc. zusammen, die die Schüler mit Hilfe des Lehrers(nach den Prinzi­pien von Wiederholung und Verstärkung) auswendig lernen sollten.

Eine technisch perfektionierte Weiter­entwicklung von Drillprogrammen stel­len einfache Lernprogramme im compu­terunterstützten Unterricht dar, die heu­te vor allem für die Grundrechenarten verfügbar sind. Diese Betonung des Aus­wendiglernens war auch unter Assozia­tionspsychologen umstritten. Als her­ausragenden Kritiker von Drillmethoden ist aber Brownell(1928) zu nennen, ein dezidierter Gegner der Assoziationspsy­chologie. In besonderer Weise kritisierte er erstens, daß die Assoziationstheorie keinen qualitativen Unterschied zwi­schen dem Lernen von Kindern und Er­wachsenen mache(Brownell& Chazall 1935) und zweitens, daß die Drillmetho­den vom eigentlichen Lehrziel des Ma­thematikunterrichts, dem Verstehen ma­thematischer Prinzipien, wegführten. Während einerseits die Drillmethoden unter dem Einfluß dieser Kritik in Ver­

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