Elisabeth Sander 
begrenzt ist, ist es nicht erstaunlich, daß Kinder manchmal Schritte oder Ergebnisse von Zwischenschritten(-rechnungen) vergessen, auch wenn sie das Problem sprachlich verstehen. Darbietungsformen, die eine Art vermittelnder, nichtsprachlicher Repräsentation anregen, helfen die Gedächtniskapazität zu entlasten(Resnick& Ford 1981,5S. 116). Aus dieser Sicht wird auch die Bedeutung des Erwerbs von Rechenroutinen, wie sie die Assoziationstheoretiker angestrebt haben, in einem neuen Licht gesehen. Das Verfügen über automatisierte Routinen(1x1, einfache Additionsund Subtraktionsaufgaben) entlastet die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses. Aufgrund dieser Erkenntnis macht es auch Sinn, die Wechselwirkung zwischen automatisiertem prozeduralem Wissen und Verstehensprozessen zu untersuchen(z.B. Resnick& Omanson 1987) und die Beziehung zwischen„„Auswendiglernen contra einsichtigem Lernen“ neu zu definieren. Diese Frage ist auch in Bezug auf die Frage des Einsatzes von computerunterstütztem Rechenunterricht interessant(vgl. den Beitrag von Masendorf in diesem Heft). Erkenntnisse der Gestaltpsychologen— wie etwa die Bedeutung von in der Aufgabenstellung enthaltener Hinweise für die Einsicht in die Struktur eines Problems— werden auch als Fragestellung wieder aufgenommen und auf kognitionspsychologischer Basis erneut untersucht(z.B. Resnick et al. 1980).
Ein erfolgreicher Versuch, die Untersuchungsergebnisse und Überlegungen der Gestaltpsychologen, insbesondere Dunkkers, in der Unterrichtssituation im Sinne einer Erleichterung des Problemlöseprozesses anzuwenden, stammt von Polya(1949, 1965, 1966). Seine Vorschläge sind zu verstehen als Möglichkeiten, die Struktur von Problemen zu entdekken. Dazu stellt er eine Reihe von Fragen vor, die während der Problembearbeitung gestellt werden sollen, um L6ösungswege zu entdecken. Auf diese Weise soll es gelingen, alle Schüler allmählich und systematisch zur Einsicht zu führen, anstatt das„produktive Denken“ dem Zufall oder allein den Begabten zu überlassen. Eine Unterrichtstheorie, die
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Aspekte einer Psychologie des Mathematikunterrichts
zahlreiche aus der Gestaltpsychologie abgeleitete Lernhilfen auf dem Hintergrund einer Neuinterpretation der Theorie Piagets unter Einbeziehung des Erkenntnisstandes der neueren Gedächtnistheorien vereint, stammt von R. Case (1980, 1985). Wesentliche Grundgedanken der Case’schen Unterrichtstheorie sind u.a., daß die kognitiven Ursachen von Lernschwierigkeiten darin bestehen, daß Schüler a) mit einer vorgefaßten, begründbaren, aber für das Problem zu einfachen Strategie an dessen Lösung herangehen, oder daß b) die durch die Lernsituation geforderte Anforderung an das Arbeitsgedächtnis die zur Verfügung stehende Kapazität übersteigt, oder daß c) das notwendige prozedurale Wissen(z.B. das 1 x 1) nicht genügend automatisiert ist.
Zur Reduzierung dieser Schwierigkeiten schlägt Case(1980) u.a. vor, das Problem bei der Einführung auf seine Grundstruktur zu reduzieren, die Anzahl der Informationseinheiten, auf die sich die Aufmerksamkeit des Schülers richten muß, zu reduzieren und erst im Verlauf des Unterrichtsprozesses schrittweise zu erhöhen, und schließlich, die zur Lösung einer Aufgabe notwendigen Prozeduren intensiv zu üben.
Die von Case entwickelte Unterrichtsmethode dürfte vor allem bei eher lernschwächeren Schülern empfehlenswert sein(Gold 1978; Sander 1986, 1987). Schließlich seien noch Vorschläge zur Gestaltung des Unterrichts erwähnt, die sich aus kognitiven Emotions- oder Motivationstheorien ableiten.(Vgl. den Beitrag von Vanecek& Bauer in diesem Heft).
Aktuelle Forschungsfragen. Die genannten Ansätze, von denen aus versucht wird, Unterrichtsmethoden informationstheoretisch zu begründen oder aus Theorien über das menschliche Gedächtnis und das kognitive Lernen abzuleiten, konzentrieren sich auf die Verbesserung von Problemlösefähigkeiten. Vernachlässigt wird die Frage nach der Bedeutung des jeweiligen Wissensstandes einer Person für ihre Fähigkeit, Probleme zu 1ösen bzw. allgemein die Frage, wie Unterrichts- und Lernprozesse gegebene Ge
dächtnisstrukturen sowie deren Zusammenwirken verändern. Unterrichtsmethoden müßten deshalb auch im Hinblick auf Veränderungen von Wissensstrukturen, Problemlösestrategien und von Steuerungsprozessen(metakognitive Aktivitäten) untersucht werden(Carroll 1980). Der größte Teil von Studien, die sich mit diesem Fragekomplex beschäftigen, bezieht sich zwar auf den sprachlichen Fähigkeitsbereich, doch liegen inzwischen auch eine Reihe von Arbeiten zur Prozeßanalyse mathematischer Fähigkeiten vor.
So wurden Untersuchungen zur Bedeutung grundlegender Prozeßverarbeitungsfähigkeiten für individuelle Unterschiede bei der Bewältigung von Mathematikaufgaben durchgeführt(z.B. Spiegel& Bryant 1978; Webster 1979; Hiebert, Carpenter& Moser 1982). Ebenso liegen Arbeiten zur Frage der Strukturierung mathematischen Wissens(Silver 1979) bzw. zur Frage von Unterschieden in der mathematischen Wissensstruktur von Schülern, die gerade in eine bestimmte Aufgabenstellung eingeführt werden, und von Experten vor(z.B. Greeno 1978).
Erst in den letzten Jahren beginnt man, auch die Beziehungen zwischen verschiedenen Strukturen des menschlichen Gedächtnisses bei der Bewältigung von Mathematikaufgaben zu untersuchen(z.B. Resnik& Omanson 1987; vgl. den Beitrag von Arbinger in diesem Heft). In diesem Zusammenhang sind auch Arbeiten zu nennen, die untersuchen, wie Personen ihr Wissen beim Lösen von Problemen nutzen bzw. in welcher Weise sie Kontroll- und Steuermechanismen(metakognitive Aktivitäten) bei der Lösung von Mathematikaufgaben einsetzen (Greeno 1978; Silver, Branca& Adams 1980; Schoenfeld 1981; Kötter& Mandl 1983; vgl. den Beitrag von Schneider & Hasselhorn in diesem Heft). Die Ergebnisse solcher Studien sind u.a. richtungsweisend für die Entwicklung sogenannter intelligenter tutorieller Systeme (Kunz& Schott 1987).
Intelligente tutorielle Systeme stellen den zur Zeit höchsten Entwicklungsstand auf dem Gebiet computergestützten Unterrichts dar. Sie sollen dem
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988
