Helmut M. Niegemann
Fehleranalyse und Fehlerdiagnostik im Mathematikunterricht
blick auf ihre praktischen Implikationen diskutiert.
Beispiele fehlerdiagnostischen Vorgehens
Fehlerkategorien für den Mathematikunterricht und ihre Anwendung in Studien zum Prozentrechnen
Auf der Grundlage einer ausführlichen Literaturanalyse hat Radatz(1980) mögliche Fehlerursachen beim Bearbeiten von mathematischen Aufgaben kategorisiert: 1. Mangelndes Sprach- und Textverständnis . Schwierigkeiten bei der Analyse von Veranschaulichungen(Darstellungen, Diagramme) 3. Falsche Assoziationen und Einstellungen 4. Gebundensein an spezifische Repräsentationen 5. Nichtberücksichtigen relevanter Bedingungen der Aufgabe 6. Unvollständige Aufgabenbearbeitung, unvollständige Regelanwendung 7. Verlieren von Zwischenschritten im Lösungsprozeß 8. Versuch-Irrtum-Strategie 9. unzureichende Vorkenntnisse Elisabeth Sander und Mali Berger(1985) erweiterten diese Liste für die Verwendung in einer Explorationsstudie um drei weitere Kategorien:(10) Rechenund Flüchtigkeitsfehler,(11) nicht analysierbare Fehler und(12) fehlende Aufgabenbearbeitung; die Kategorien(2) und(8) waren in dieser Studie nicht anwendbar. 293 Sekundarstufenschüler(7. und 8. Klasse; Hauptschule, Realschule, Gymnasium) bearbeiteten einen Test mit Sachaufgaben zur_Prozentrechnung. Von den insgesamt 14.000 Aufgabenlösungen waren 32% fehlerhaft. Nach dem Urteil von drei Gutachtern ließen sich ca. 85% dieser Fehler fünf Kategorien (Nr. 9, 2, 6, 4 und 10) zuordnen. In einer zweiten Studie(ebf. Sander& Berger 1980) zur Identifikation von
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Fehlerstrategien wurden die Fehler von je 20 Haupt- und Gymnasialschülern bei drei Prozentaufgaben auf der Grundlage von Protokollen„lauten Denkens‘ analysiert. Alle Fehler konnten auf nachvollziehbare Fehlerstrategien zurückgeführt werden. Die wichtigsten waren: a) Reduktion auf einen Lösungsschritt (nur bei Hauptschülern); b) Auslassen von Zwischenschritten; c) Folgefehler nach falschen Zwischenergebnissen; d) falsche Zuordnung von Begriffen zu Zahlenwerten; e) Fehler in den Grundrechenarten.
Die Ergebnisse der beiden Studien führten zu Hypothesen über die differentielle Wirksamkeit von remedialen Maßnahmen. Diese wurden in weiterführenden Studien(vgl. Sander 1986) geprüft und liefern eine wichtige Grundlage für die Wahl remedialer Strategien.
Fehler beim Lernen geometrischer Begriffe
Beim Lernen kategorialer Begriffe lassen sich generell zwei Fehlerkategorien unterscheiden:
— Übergeneralisierungsfehler, d. h. Klassifikation aller Beispiele und einiger Nichtbeispiele als Repräsentanten des jeweiligen Begriffs; dies bedeutet, daß nicht alle definierenden Merkmale des Begriffs berücksichtigt werden bzw. daß die Verknüpfungsregel nicht korrekt angewendet wird.
— Überdiskriminierungsfehler, d.h. Klas
sifikation aller Nichtbeispiele, aber auch einiger Beispiele als Nichtrepräsentanten; das bedeutet, daß variable Merkmale des Begriffs für definierende gehalten werden(vgl. Klauer 1974, S. 128 ff.; Merrill& Tennyson 1977). Die Analyse der Merkmalstruktur falsch klassifizierter Beispiele bzw. Nicht-Beispiele zeigt, welche Merkmale bzw. Merkmalverknüpfungen in jedem Falle fälschlich als definierend bzw. als variabel angesehen werden. Eine derartige Fehleranalyse wurde im Rahmen einer unterrichtswissenschaftlichen Explorationsstudie von Kötter et al.(1980) im Geometrieunterricht 5. Hauptschulklassen durchgeführt. Lehr
inhalte waren die Begriffe Viereck, Rechteck und Quadrat. Die Erhebungsinstrumente bzw. die einzelnen Aufgaben wurden auf der Grundlage von Mikroanalysen des Lehrstoffs, insbesondere der Merkmalstrukturen der Begriffe entwickelt. Die unterschiedlichen Fehlerarten beim Klassifizieren von Beispielen bzw. Nicht-Beispielen lassen sich relativ leicht diagnostizieren, wenn man die einzelnen Aufgaben entsprechend ihrer Merkmalstruktur wie in Abb.1 anordnet.
Bei diesem Vorgehen konnten ca. 70% der von den Schülern begangenen Fehler aufgeklärt werden(Kötter et al. 1980, 1986, 1987).
Fehlerursachen beim schriftlichen Subtrahieren
Ein Problem der Konstruktion fehlerdiagnostischer Testverfahren für den Mathematikunterricht besteht in der oft nicht eindeutigen Zuordnung fehlerbehafteter Handlungen oder Operationen und deren Ergebnissen.
Beispielsweise kann als Ergebnis der Aufgabe 803—40 der Wert 843 durch Addieren statt Subtrahieren zustandekommen, aber auch aus einem systematischen Fehler im Umgang mit der Null nach dem Muster 0-N=N resultieren. Für die Konstruktion eines fehlerdiagnostischen Verfahrens bedeutet dies, daß entsprechende Items so auszuwählen sind, daß die aus unterschiedlichen fehlerhaften Operationen resultierenden Ergebniswerte sich so weit als möglich unterscheiden. Da andererseits bei einer einzelnen Aufgabe gar nicht alle Fehler auftreten können, müssen jeweils mehrere Aufgaben bearbeitet und ausgewertet sein, um einen bestimmten systematischen Fehler diagnostizieren zu können. Astrid Wagner(1983) konstruierte als Grundlage für die Entwicklung eines fehlerdiagnostischen Tests zur Aufdekkung von Fehlern beim schriftlichen Subtrahieren zunächst eine Fehlerart x Aufgaben-Matrix(vgl. Abb. 2).
Jede Zeile dieser Matrix repräsentiert eine von insgesamt 32, teils logisch, teils empirisch bestimmter Fehlerarten, wäh
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988