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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Beherrschung bestimmter Regeln bzw. Operationen fordern(z.B. Grundrechenarten,_Bruchrechnen, Prozentrechnen) können fehlerhafte Techniken auch aus Aufgabenlösun­gen erschlossen werden, wenn ent­sprechende Aufgabenmerkmale bei der Testkonstruktion kontrolliert werden. Dazu kann wie folgt verfah­_ ten werden:

2. Ausgehend von der Lehrzieldefini­tion werden Inhalt, Aufgabenform und generative Regeln der Testaufga­ben festgelegt(vgl. Klauer 1987). Gleichzeitig werden, teils aufgrund vorliegender Erfahrungen, teils an­hand der einschlägigen Literatur(vgl. Radatz 1980) oder durch eine ratio­nale Analyse die wichtigsten Fehler­typen bestimmt. Nach vorliegenden Erfahrungen genügt es meist, acht bis zwölf Fehlerarten zu unterscheiden. Für jeden Fehlertyp ist festzustellen, welche Aufgabenmerkmale eine Ma­nifestation des entsprechenden Feh­lers ermöglichen(Schwierigkeit im Umgang mit der Null in den Grundre­chenarten treten nur zutage, wenn Aufgaben gestellt werden, die eine Addition bzw. eine Subtraktion mit einer Null erfordern). Diese Merkma­le sind wiederum die Basis für Samp­ling-Vorschriften bei der Generierung bzw. Auswahl der Aufgaben für den LOT: Jedes Merkmal sollte durch we­nigstens drei Aufgaben repräsentiert sein. Welche Aufgaben welche fehler­relevanten Merkmale repräsentieren, muß für die Auswertung dokumen­tiert werden; hierzu bietet sich eine Fehlerarten x Aufgaben-Matrix (s.o.) an, die auch die jeweils zu er­wartenden falschen Antworten bein­haltet.

3. Die Auswertung der mit einem sol­chen Test erhobenen Daten erfolgt zunächst wie üblich im Hinblick auf die Lehrzielerreichung. Dann werden die Ergebnisse derjenigen Schüler, die das Lehrziel nicht erreicht haben, fehleranalytisch ausgewertet, indem festgestellt wird, welche Aufgaben mit welchem Resultat fehlerhaft ge­

Helmut M. Niegemann ­

löst wurden. Dies kann für eine Schul­klasse oder Lerngruppe relativ ein­fach durch Strichlisten innerhalb der Fehlerarten x Aufgaben-Matrix erfol­gen. Augenfällige Häufungen be­stimmter Fehler bei bestimmten Auf­gaben begründen Hypothesen über besonders oft vorgekommene Fehler.

4. Ausgangshypothesen für die Fehler­diagnose beim einzelnen Schüler wer­den auf analoge Weise gewonnen. Zu ihrer Überprüfung können wenige zu­sätzliche Aufgaben mit entsprechen­den fehlerrelevanten Merkmalen ge­nügen; sie werden dem Schüler zweck­mäßigerweise sequentiell vorgelegt: Da die Wahrscheinlichkeit relativ ge­ring ist, daß die bei Vorliegen einer bestimmtenFehlertechnik zu er­wartende Falschlösung zufällig auf­

tritt, sollte in der Regel schon nach.

drei oder vier individuell zugeteilten Aufgaben eine hinreichend sichere Entscheidung möglich sein(vgl. auch Herbig 1976, S. 226). Wird die dia­gnostische Hypothese nicht bestätigt, ermöglichen die ggf. auf andere Art fehlerhaften Lösungen eine Revision der Hypothese.

Beziehungen zu remedialen Maßnahmen

Schnittstelle zwischen Fehlerdiagnose und der Konstruktion oder Auswahl ge­eigneter remedialer aber auch präven­tiver Maßnahmen ist die Lehrstoffana­lyse. Zwar läßt sich nicht jeder Katego­rie von Fehlerursachen eine für jeden Schüler geeignete remediale Strategie zuordnen; prinzipiell scheint dies jedoch umso leichter möglich, je enger die Be­ziehungen zwischen Lehrstoffanalyse­und Fehlerkategorien sind. Optimal ist eine Verknüpfung durch Aussagen einer hinreichend spezifischen, empirisch be­währten Theorie des Lernens bzw. der Entwicklung: Unter solchen Bedingun­gen sind sowohl spezielle didaktische Maßnahmen wie verallgemeinerbare, in­struktionstechnologische Konzepte(Bei­spiele: Young& OShea 1981; Grand­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988

Fehleranalyse und Fehlerdiagnostik im Mathematikunterricht

montagne 1987; Lampert 1987; Kötter et al. 1987; Tennyson& Park 1980 bzw. Tennyson& Cocchiarella 1986; Case 1978) ableitbar.

Perspektiven

Die vorgeschlagene Anleitung zur Ent­wicklung fehlerdiagnostischer Verfahren bedarf sicherlich weiterer Differenzie­rungen und Präzisierungen: Die bisher vorliegenden fehleranalytischen Studien konzentrieren sich auf relativ wenige Lehrstoffbereiche; daher können auch zunächst nur wenige Kriterien für Feh­lertaxonomien formuliert werden: Prin­zipiell sollte eine Vermischung der Be­schreibungsebenen vermieden werden (z.B. Orientierung an Fehlermanifesta­tionen oder an Fehlerursachen). Auch sollten die einzelnen Fehlerkategorien möglichst voneinander unabhängig sein und sich nicht überlappen. In bestimm­ten Bereichen könnten jedoch auch hier­archisch strukturierte Fehlersysteme an­gemessen sein. Gut dokumentierte Er­fahrungsberichte und weitere fehlerana­lytische Studien würden präzisere Aussa­gen ermöglichen.

Der breiteren Anwendung fehlerdiagno­stischer Verfahren außerhalb gezielter Fördermaßnahmen steht insbesondere der Konstruktions- und Auswertungs­aufwand entgegen, zumal im Schulalltag oft ohnehin keine Gelegenheit besteht, einer differenzierten Fehlerdiagnose ei­ne ebenso differenzierte individuelle Förderung folgen zu lassen.

Eine realistische Chance, daß neuere Ent­wicklungen in der pädagogischen Dia­gnostik dennoch zum Tragen kommen, ergibt sich allerdings durch die zuneh­mende Verwendung<computerunter­stützter Lehrprogramme, deren pädago­gische Legitimation gerade in der Indi­vidualisierung und Adaptivität der In­struktion besteht. Zwar ist die Mehrzahl der gegenwärtig für den Mathematikun­terricht angebotenen Lehr- und Übungs­programme von einem Ausschöpfen der gegebenen Möglichkeiten noch weit ent­fernt, ein Trend zu zunehmend‚intelli­genteren Lehrprogrammen ist jedoch erkennbar.

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