Einzelfallarbeit bei Kindern mit Rechenschwierigkeiten
Von Jens H. Lorenz
Ausgehend von der Problemlage rechenschwacher Schüler wird auf der Grundlage eines Modells des arithmetischen Anfangsunterrichts versucht, jene kognitiven Fähigkeiten zu identifizieren, die für das Lernen im Grundschulbereich notwendige Voraussetzungen darstellen. Anhand von Fallbeispielen wird der diagnostisch-remediale Prozeß mit seinen Schwierigkeiten dargestellt, der bei typischen Fehlermustern beginnend die Idiosynkrasien des individuellen Lernweges nachzuzeichnen hat, um passende, speziell abgestimmte Therapieprogramme zum Einsatz zu bringen. Die Diagnose ist mit dem remedialen Vorgehen verschachtelt, als beide in LehrLern-Situationen unter Berücksichtigung des Einzelfalles stattfinden und nicht zu trennen sind.
A
Starting from a model of arithmetic learning in the primary grades, those cognitive abilities are identified which are necessary conditions for coping with the mathematical content. Following single case studies, the diagnostic-remedial process with its difficulties is outlined. Beginning with the child’s typical error patterns the falacies of the teacher/therapist in fitting an adequate remedial program are described, Diagnosis and remedial intervention take place in a teaching-learning situation in which both are no longer separable. Specific arithmetic and general cognitive programs have to be applied according to the individual child’s needs.
Problemstellung
Zirka 80% der in schulpsychologischen Beratungsstellen und psychotherapeutischen Praxen vorgestellten Grundschüler und altersentsprechende Kinder der LSchule werden mit Leistungsproblemen in den Fächern„Muttersprache“ und „Mathematik‘‘ angemeldet. Der zunehmende Leistungsdruck, der insbesondere auf den Schülern dieser Altersgruppe wegen der häufig noch unrealistischen Erwartungshaltung der Eltern ruht, tut ein weiteres, um die emotionale Anspannung des betreffenden Schülers zu erhöhen, und verspätete remediale Interventionen verschlechtern die Schullaufbahnaussichten in inadäquater Weise. Dem Fach Mathematik kommt insofern doppelt wichtige Bedeutung zu, als die Leistung hierin einerseits einen relevanten Faktor zur Entscheidung für die weiterführenden Schulen resp. die Sonderschulüberweisung darstellt, zum anderen die
Lehrer mathematische Fähigkeiten zu Unrecht mit allgemeiner Intelligenz
gleichsetzen und so im Sinne eines„Ha
lo-Effekts‘‘ gravierenden Fehleinschätzungen unterliegen. So beklagenswert dies auch ist, die institutionalisierten Möglichkeiten, auf das Problem der Rechenschwäche zu reagieren, sind z.Z. noch sehr begrenzt, und standardisierte Programme fehlen völlig. Dies überrascht nur auf den ersten Blick, da gerade im Bereich mathematischer Lernstörungen ein Theoriedefizit zu verzeichnen ist, das in ähnlicher Form für die Lese-Rechtschreib-Schwäche z.T. schon Vergangenheit darstellt.
Für den Schüler stellt sich das Problem als wachsender Leistungsabstand von seinen Klassenkameraden dar: was in einer Unterrichtseinheit noch schlichtes „Nichtverstehen‘‘ war, wächst sich bald zu„Löchern“ und schließlich zu Schulversagen aus. Die Eltern reagieren darauf mit Besorgnis, verstärken ihre(insuffi
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988
zienten) Trainingsbemühungen mit zunehmender häuslicher Spannung, erhöhen ihre Überfürsorge oder brandmarken das Kind als schwarzes Schaf(Lerner 1981). Der Lehrer versucht einen erneuten Durchlauf des bereits einmal mißglückten Curriculums in meist identischer Fassung, mag noch eine Beratungsstelle konziliarisch hinzuziehen, verfällt dann letztlich doch auf schulorganisatorische Regulative.
Die Lage erscheint deshalb so unbefriedigend, weil die als mögliche Ursachenfaktoren für die Leistungsminderung in einem bestimmten Fach infrage kommenden curricularen und kognitiven Variablen bzw. deren Zusammenwirken theoretisch noch unzureichend beschrieben sind und somit dem Lehrer als Grundlage seiner Handlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen.
Im folgenden soll ein Ansatz zur Beschreibung der für das Lernen der arithmetischen Grundoperationen notwendi
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