Erst wenn er Aufgaben von 0 bis 10 sicher rechnen kann, sollte der Zahlenraum über 10 hinaus erweitert werden. Da Werner auf der Repräsentationsstufe der ikonischen Darstellungsweise noch unsicher agiert, sollte bei ihm zur Sicherung und Festigung auf die Stufe der gegenständlichen Veranschaulichung zurückgegangen werden. Von Übungsaufgaben auf dieser Stufe sollte allmählich über die Stufe der ikonischen Darstellung zur symbolischen Darstellung übergeleitet werden. Das Hauptaugenmerk würde ich bei Werner jedoch noch in nächster Zeit eindeutig auf die Repräsentationsstufe der Veranschaulichung (gegenständlich und ikonisch) legen. Erst wenn er Aufgaben auf dieser Stufe sicher beherrscht, würde ich auf die symbolische Ebene überwechseln.
Den Fehler bei Aufgabe 8 führe ich auf mangelnde Aufmerksamkeit zurück Ein Hinweis„Schau dir das Zeichen genau an!‘‘ genügte nämlich, um ihn zu verbessern. Diese Verunsicherung kann daher kommen, daß kürzlich weitere Operationszeichen(—, x,:) eingeführt worden sind. Um solchen Verunsicherungen vorzubeugen, sollten im Klassenzimmer Merkhilfen für die einzelnen Operationszeichen angebracht werden(vgl. Abbildung 3).
Diskussion
Trotz der noch sehr geringen empirischen Grundlagen kann wohl davon ausgegangen werden, daß der vorgestellte Ansatz brauchbare Hinweise zur Förde
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Reimer Kornmann& Gerhard Schäffler 
rung der Rechenfertigkeit liefern wird. Allerdings muß eingeräumt werden, daß die Abfolge der diagnostischen Fragestellungen und der durch sie zu erzielenden Resultate nicht allen impliziten und expliziten didaktischen Theorien zur Erarbeitung und Festigung einfacher Zahloperationen entspricht: Wer also mit dem vorgestellten diagnostischen Ansatz sinnvoll arbeiten will, muß auch das damit verbundene didaktische Konzept anwenden. Seine Grundzüge, theoretischen Grundlagen und Umsetzungsmöglichkeiten bei Schülern mit Lernschwierigkeiten hat vor allem Kutzer(1985, 1986) dargestellt. Der zugrundeliegenden Theorie zufolge müssen Lehr-Lern-Prozesse von dem jeweiligen individuellen Lernstand ausgehen, wenn sie erfolgreich sein sollen. Sowohl das didaktische Konzept als auch der hier vorgestellte diagnostische Ansatz gründen sich auf die entwicklungspsychologische Annahme, daß menschliches Lernen in der Veränderung des individuellen Tätigkeitsniveaus bei der kognitiven Verarbeitung besteht, wobei Art und Richtung der Veränderungen vorhersagbar sind. Jedoch kann die Schnelligkeit, mit der die einzelnen Niveaustufen durchlaufen werden, sowohl interindividuell— vor allem in Abhängigkeit von lernrelevanten Fähigkeiten— als auch intraindividuell— vor allem in Abhängigkeit von den zugrundeliegenden Lerninhalten.— variieren.
Die grundlegende Annahme bezüglich der Abfolge der Niveaustufen muß jedoch noch anhand des vorliegenden Aufgabenmaterials empirisch überprüft werden. Dabei ist auch die Frage zu klären,
Förderdiagnostik bei einfachen Kopfrechenaufgaben
ob die hier vorgestellte Abfolge von Niveaustufen lediglich als eine Leistungshierarchie(psychometrische Hierarchie) oder auch als eine Lernhierarchie(Transfer-Hierarchie) valide ist. Von einer validen Lernhierarchie ist dann zu sprechen, wenn das Beherrschen der jeweils vorangehenden Niveaustufen Voraussetzung zum Erlernen der nächstfolgenden ist. Bei einer validen Leistungshierarchie dagegen weisen die einzelnen Niveaustufen lediglich unterschiedliche Schwierigkeitsgrade auf. Geeignete Methoden zur Validierung von Leistungs- und Lernhierarchien hat Sander(1986) dargestellt.
Für den zwar wenig wahrscheinlichen, aber nicht auszuschließenden Fall, daß sich keine für alle Probanden gültige Leistungs- und/oder Lernhierarchien ergeben, ist zunächst die Reliabilität der Diagnosen zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern. Dabei wird sicher auch das hier aus pragmatischen Gründen gewählte ad hoc-Kriterium für angenommenes Versagen(Nichtlösen von acht Aufgaben innerhalb einer Klasse von zehn Aufgaben) differenzierter zu fassen sein.
Sollten sich dann trotz entsprechender Verbesserung der Meßgenauigkeit noch immer keine Leistungs- und/oder Lernhierarchien validieren lassen, müssen individuell verschiedene Lernwege angenommen, identifiziert und diagnostisch zugänglich gemacht werden. In einem letzten Schritt ist schließlich zu prüfen, ob sich durch die diagnostische Orientierung an dem hier vorgestellten Ansatz ein besserer Lehr-Lern-Erfolg als mit anderen Methoden erzielen läßt.
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