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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Peter Binstadt& Uwe A. Michelsen ­

Die Vermittlung optimaler Lösungsstrategien

Entwickeln aufeinanderfolgender Denkschritte erfordert, bei denen der nachfolgende die Richtigkeit des vor­aufgehenden voraussetzt(ebd. S. 422). Obwohl die Untersuchung von Ploghaus längere Zeit zurückliegt, gibt es keine vergleichbare Studie neueren Datums. Es ist die wohl einzige umfängliche Feh­leranalyse, die zur Planung didaktischer Maßnahmen genutzt werden kann, um praktische Konsequenzen aus den Kla­gen über die schlechten(Fach-) Rechen­leistungen von(Berufs-)Schülern ziehen zu können.

Rationale Aufgabenanalysen als Grundlage remedialen Lehrens

Eine gerade für die Inhalte des Fachrech­nens praktikable und didaktisch sinnvol­le Methode, geeignete Lehrstrategien zu entwickeln, besteht u.E. darin, die Lö­sungswege bestimmter, möglichst fach­typischer Aufgaben zu untersuchen. Sol­che Aufgabenanalysen können entweder empirisch oder rational durchgeführt werden.

Eine zur Untersuchung komplexer Auf­gaben geeignete Methode ist die rationa­le oder logische Aufgabenanalyse, der die Struktur des Lehrgegenstandes zu­grundeliegt. Während mit empirischen Analysen nur ex post und mit erhebli­chem Aufwand ermittelt werden kann, welche Sequenzen eines Lösungsganges die Schüler beherrschen, ermöglichen rationale Aufgabenanalysen Voraussa­gen über geeignete Lösungsstrategien und Abschätzungen des Schwierigkeits­grades von Teil- und Gesamtaufgaben­stellungen(siehe z.B. Klauer 1984, Leut­ner 1985, Michelsen& Binstadt 1985). Deshalb eignen sich rationale Aufgaben­analysen besser zur Planung didaktischer Maßnahmen als empirische.Durch ra­tionale Aufgabenanalysen können Un­terschiede in den kognitiven Anforde­rungen von Lehrzielen offengelegt wer­den(Sander 1986, S.42). Sie liefern logisch befriedigende Analysen,[und] sie schlagen Prozeduren oder Routinen vor, mit denen man ein Problem lösen

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kann also einen möglichen Lösungs­weg, den man einem Schüler beibringen kann...(ebd., S. 46). Im folgenden wird am Beispiel des The­menbereichesStromstärke, Spannung und Widerstand im Gleichstromkreis* gezeigt, welche Möglichkeiten der Struk­turierung von Lehrinhalten und damit der Planung didaktischer Maßnahmen die Untersuchung aller diesem Stoffge­biet zugehörigenSachaufgaben bietet. Als Sachaufgaben bezeichnen wir Auf­gaben aus dem Bereich der Naturwissen­schaften oder der Technik, bei denen ei­ne unbekannte Größe gesucht und alle zur Bearbeitung notwendigen Größen gegeben werden. Sie sind gebunden an die naturwissenschaftlichen oder tech­nischen Sachverhalte, die in Äquiva­lenzbeziehungen zwischen Formelbuch­staben dargestellt und somit durch alge­braische Umformung behandelt werden können. Aus der Untersuchung von Ploghaus geht hervor, daß die in einer Aufgabe abgefragten Sachzusammenhänge, ihre Darstellung durch mathematische Ver­knüpfungen(Formeln) sowie deren alge­braische Umformung(Formelumstellen und-einsetzen) den Lernenden besomnde­re Probleme bereiten. Mit einer rationa­len Analyse von Sachaufgaben sollen deshalb Methoden erarbeitet werden, die es gestatten, eine Vielzahl von Sach­zusammenhängen auf möglichst einfa­che mathematische Strukturen zurück­zuführen(vgl. Bruner 1974, S. 56), die dann als Grundlage zur Planung reme­dialer Maßnahmen dienen können. Folgende Ergebnisse werden angestrebt: 1. Kenntnis der Operationen, die zur Bearbeitung eines bestimmten Reper­toires von Sachaufgaben notwendig sind,| . Kenntnis der optimalen Strategien beim Lösen dieser Aufgaben, wenn es mehrere diskrete Lösungswege gibt, 3. Kenntnis der relativen Schwierigkeit von Teil- und Gesamtlösungen,

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Zu 1: Die Operationen

Die Menge der zur Lösung eines Aufga­benrepertoires notwendigen Operatio­

nen gibt Aufschluß über die Komplexi­tät eines Lehrstoffes!. Gerade komplexe Lehrziele werden oft deshalb nicht er­reicht, weil Schüler spezielle Operatio­nen, die als Lernvoraussetzungen in den fortschreitenden Lernprozeß eingehen, nicht beherrschen. Wird rückschreitend nach allen einer Aufgabenmenge zuge­hörigen Lernvoraussetzungen gefragt, so lassen sichjeweils untergeordnete Vor­kenntnisse[identifizieren], die immer einfacher und allgemeiner werden(Wei­nert 1978, S. 258). Eine solche Zerle­gung komplexer Operationen i.S. einer Lernhierarchie nach Gagne(1976) er­laubt umgekehrt, jene relativ einfachen Operationstypen zu identifizieren, mit deren Hilfe die gestellten Aufgaben be­arbeitet werden können. Fehlendem Grundlagenwissen(vgl. Ploghaus 1967 b, S. 210 und Michelsen 1981, S. 514) bei der Bearbeitung von Sachaufgaben kann dadurch entgegengewirkt werden, daß sich die Lehrenden vor jeder neuen Lehr­einheit über die notwendigen Lernvor­aussetzungen Klarheit verschaffen. Erst wenn bekannt ist, welches Grundlagen­wissen als Lernvoraussetzung in einen neuen Lehrstoff eingeht, konkret: wel­che Operationen zur Aufgabenlösung führen, kann entschieden werden, ob sie in ausreichendem Maße vorhanden sind oder aber wiederholt werden müssen.

Zu 2: Die optimalen Strategien

Wenn für Aufgaben mit mehreren dis­kreten Lösungswegen optimale Lösungs­strategien gelehrt werden, dürften typi­sche Rechenfehler, z.B. daß Schüler oh­ne jeden Ansatz drauflosrechnen(vgl. Ploghaus 1967 c, S.419) und daß die gewählten Lösungsschritte kreuz und quer durcheinander gehen(vgl. ebd., S. 420), weniger häufig auftreten.Wenn nämlich für bestimmte Aufgabenklassen eine Folge von Lösungsschritten existiert und wenn Lehrer diese Folge lehren, darf man vermuten, daß Schüler so ver­

1 Der TerminusLehrstoff wird hier defi­niert als Zusammenfassung der Lehrinhalte (Sachaufgaben) und den zu ihrer Bearbeitung notwendigen Operationen.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988

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