Textverständnis und Lösen mathematischer
Sachaufgaben
Von Roland Arbinger
In einer Untersuchung an Schülern des 7. und 8. Schuljahres wurden drei Arten von Wissen(semantisches, schematisches und prozedurales) getrennt erfaßt und ihr Stellenwert bei der Lösung von Sachaufgaben aus dem Bereich„Prozentrechnung‘“ bestimmt. In Gruppen- und Einzelsitzungen wurde hierzu eine breite Palette von Methoden der Wissensdiagnose eingesetzt(z.B. Konstruktion von Aufgaben zu vorgegebenen Zahlenwerten, Kategorisierung von Aufgaben; lautes Denken; Reproduktion von Aufgaben). Die Ergebnisse zeigen, daß dem Aspekt des schematischen Wissens die größte Bedeutung für die erfolgreiche Bewältigung derartiger Aufgaben zukommt.
In a study with students from grades 7 and 8 three aspects of knowledge(semantic, schematic, and procedural) were measured separately to determine their relative importance in solving mathematical text problems dealing with„per cent“ calculations. In groups and individual sessions a wide spectrum of diagnostik methods was used, including construction of problems using preset numerical values, classification of a set of problems, loud thinking technique, free recall of problems. Results show that schematic knowledge is the most important factor in coping with this type of problems.
Ein Grundstück ist 750 m? groß. 18% der Fläche sind bebaut. Wieviel m? sind das?
Was macht ein Schüler, der vor dem Problem steht, diese für die 7. Klassenstufe nicht untypische Sachaufgabe zu lösen? Zur Beantwortung dieser Frage hat die Psychologie des Problemlösens in den letzten Jahren eine Reihe von Modellvorstellungen entwickelt, die vor allem auf die Bedeutung des dem Problemlöser verfügbaren Wissens abzielen. Die Tatsache, daß im Kontext„Problemlösen‘ überhaupt von„Wissen‘‘ die Rede ist, markiert eine bedeutsame Umorientierung innerhalb der Problemlösepsychologie: Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen nicht länger eher„„‚denksportartige‘ Probleme(als pars pro toto möge hier der Hinweis auf den vielbemühten Turm von Hanoi genügen), sondern Probleme aus sog.„semantisch reichen“ Gebieten wie etwa der Physik, der Technik oder der Mathematik. Um
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Probleme der letztgenannten Art zu 1ösen, reichen die in der Problemlöseliteratur beschriebenen Heurismen„mittlerer Reichweite‘(Newell 1980), also z.B. Mittel-Ziel-Analyse, Teilzielbildung, Rückwärtsarbeiten, nicht aus. Es ist vielmehr erforderlich, daß der Problemlöser über ein für das betreffende Gebiet spezifisches Wissen verfügt.
Im Zusammenhang mit der Lösung mathematischer Textaufgaben umfaßt dieses spezifische Wissen mehrere verschiedene Aspekte(vgl. Niegemann 1983):
Ein erster Aspekt von Wissen kommt bereits ins Spiel, wenn sich der(zukünftige) Problemlöser mit der in Form eines Textes gestellten Aufgabe konfrontiert sieht. Er muß diesen Text zunächst „verstehen“‘‘. Dies bedeutet nichts anderes, als daß er für die im Text beschriebene Situation, d.h. für die vorkommenden Personen, Objekte, deren Handlungen und Beziehungen zueinander ein adäquates„Situationsmodell‘‘ konstru
jeren muß. Hierbei muß er in vielfältiger Weise auf sein allgemeines(Welt-)Wissen und sein fach-/bereichsspezifisches Wissen zurückgreifen. Für die eingangs angeführte Aufgabe bedeutet dies z.B., daß der Problemlöser u.a. wissen muß, daß die Bezeichnung„m?‘“ Quadratmeter bedeutet oder„%*‘* Prozent usw.
Verstehen des Aufgabentextes als Konstruktion eines Situationsmodells ist aber noch nicht hinreichend. Ein Problemlöser, der auf dieser Stufe des Verstehens verbliebe, hätte noch keinerlei Hinweis darauf, durch welches Verfahren das Problem gelöst werden kann. Der zweite Schritt des Problemverstehens, d.h. ein„tieferes‘‘ Verstehen, muß daher notwendigerweise darin bestehen, das konkrete Situationsmodell als Beispiel eines allgemeineren Problemtyps— für den ein ganz bestimmtes Lösungsverfahren„üblich‘“ ist— anzusehen.
Die beiden bisher postulierten Schritte im Verständnisprozeß werden in präziserer Weise von Kintsch& Greeno(1985)
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988