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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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durch ein Modell des Verstehens und Lösens von Textaufgaben beschrieben. Dieses Modell ist zwar bisher nur für ein­fache Additions- und Subtraktionsaufga­ben explizit ausformuliert(und in ein Computerprogramm implementiert), es beansprucht aber in seiner Grundstruk­tur Allgemeingültigkeit und soll daher hier beschrieben werden. Es stellt wei­terhin den Versuch dar, die bisher noch weitgehend unverbundenen For­schungsbemühungen überTextverständ­nis(vgl. Mandl 1981) undProblemlö­sen unter ein einheitliches theoreti­sches Dach zu bringen.

Nach Kintsch& Greeno(1985) besteht die Konstruktion eines Situationsmo­dells als erste Ebene des Verstehens dar­in, den Aufgabentext in eine Liste von Propositionen zu übersetzen. Propositio­nen sind Bedeutungseinheiten, die aus jeweils einem Prädikat(einer bestimm­ten Relation) und einem oder mehreren Argumenten(Konzepten, die durch die Relation verbunden werden) bestehen. Um diese Übersetzungsleistung(von der Textoberfläche in die Textbedeutung) ausführen zu können, ist eine bestimmte Wissensstruktur notwendig, die Kintsch & Greeno als Satz propositionaler Rah­men kennzeichnen. Für Textaufgaben aus dem Bereich Addition/Subtraktion genügen nach den Autoren dabei folgen­de Rahmen: Existenz, Quantität, Besitz, Vergleich, Zeit. Für komplexere Aufga­ben wird man weitere Rahmen definie­ren müssen.

Zur Illustration dieses ersten Schrittes ist in Abbildung 1 der Versuch unter­nommen, die eingangs zitierte Beispiel­aufgabe analog den Vorstellungen von Kintsch& Greeno in eine Propositions­liste zu übersetzen.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, ist hier eine Anmerkung notwendig: Die Autoren sind natürlich nicht der Auffas­sung, daß ein Schüler, der die obige Text­aufgabe liest, in expliziter Form eine Propositionsliste der aufgeführten Art erstellt. Diese Propositionsliste(die im übrigen auch als Netzwerk darstellbar wäre) stellt lediglich ein Modell dafür dar, wie der Aufgabentext kognitiv reprä­sentiert sein muß, damit seine Bedeu­tung richtig erfaßt ist. Eine Repräsenta­

Roland Arbinger ­

Textverständnis und Lösen mathematischer Sachaufgaben

Abb. 1: Repräsentation einer Textaufgabe durch eine Liste von Propositionen

Textaufgabe Propositionsliste

Ein Grundstück ist P1: X,= Grundstück(Existenz)

750 m? groß P2: HABEN(X,, P 3)(Eigenschaft) P 3: HABEN(Fläche, P 4)(Eigenschaft) P4: 750(m?)(Quantität)

18% der Fläche P 5: ANTEIL(Fläche, 18%)(Anteil)

sind bebaut P 6: MOD(P 5, bebaut)(Modalität)

Wieviel m? sind das? P 7: HABEN(P 5, P 8)(Eigenschaft)

P 8: WIEVIEL(m?)

tion der gezeigten Art wäre z.B. auch unanfällig gegen Änderungen an der Textoberfläche, die die Textbedeutung nicht berühren(z.B.18% der Fläche ei­nes 750 m? großen Grundstücks sind be­baut. Wieviel m? sind das?).

Der zweite Schritt bei der Bearbeitung einer Textaufgabe besteht darin, eine Propositionsliste der abgebildeten Art in eine kohärente, hierarchische Makro­struktur zu Organisieren. Diese stellt dann eine abstrakte Problemrepräsenta­tion oder ein sog. Problemmodell dar. Die Konstruktion eines Problemmodells erfordert zwei aufeinander bezogene Wissensstrukturen: Problemschemata und Strategien(bzw. Substrategien), durch die die Leerstellen der Schemata ausgefüllt werden. Das für Additions-/ Subtraktionsaufgaben geeignete Pro­blemschema ist nach Kintsch& Greeno das sog.set-Schema mit den vier Leer­stellen Objekt, Quantität, Spezifikation (zur Unterscheidung des Sets von ande­ren) und Funktion(in einem Schema höherer Ordnung).

Mit geringfügigen Modifikationen läßt sich dieses Schema m.E. auch auf einfa­che Prozentaufgaben übertragen. Dies soll an dem zitierten Beispiel illustriert werden:

DurchAufruf* der StrategieSether­stellung(Make-Set) wird aus den Propo­sitionen P1 bis P4 ein(natürlich noch unvollständiges) Problemmodell erstellt, das folgendes Aussehen hat: Set 1: Ob­jekt= Fläche, Quantität= 750 m?, Spe­zifikation= Grundstück gesamt, Funk­tion=_. Die gleiche StrategieSether­stellung erzeugt aus den Propositionen P5 bis P8 den Set 2 mit folgenden Leer­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988

(Quantität)

stellenbelegungen: Objekt= Fläche, Quantität=_, Spezifikation= Grund­stück 18%, Funktion= Subset.

Da in Set2 die LeerstelleFunktion angefüllt ist(mituntergeordnetem Set) wird als nächstes die StrategieSu­perset/Subset aufgerufen, die für Set 1 eine Funktionsdefinition vornimmt, nämlich als zu Set 2 übergeordneter Set. In abstrakter Form würde also die Bei­spielaufgabe als Teil-Ganzes-Problem re­präsentiert, bei dem in dem untergeord­neten Set-Schema eine Leerstelle(Quan­tität) noch unausgefüllt bzw. als Ziel vorgegeben ist. Das Ausmaß der Über-/ Unterordnung ist hier(sicher nur unvoll­kommen) durch die Spezifikation,18% angegeben.

Diesem abstrakten Problemtyp würden im übrigen alle Aufgaben angehören, in denen es mathematisch gesehen um die Berechnung eines Prozentwertes geht.

Der letzte Schritt der Aufgabenbearbei­tung besteht in der Ausführung einer konkreten Problemlöse-Prozedur. Damit es zur Ausführung der richtigen Proze­dur kommt, müssen Problemschemata und Prozeduren in geeigneter Weise mit­einander verknüpft sein. Diese Sichtwei­se impliziert z.B. das jedem Lehrer ver­traute Problem, daß ein Schüler zwar weiß, daß er bei der Beispielaufgabe den Prozentwert ausrechnen muß, aber nicht weiß, wie.

Die Verknüpfungen müssen zumindest enthalten: die notwendigen Bedingun­gen zur Ausführung einer Prozedur und die Konsequenzen der Ausführung einer Prozedur. Für unser Beispiel könnte eine Verknüpfung zwischen Problemschema

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