Roland Arbinger
und Prozedur etwa folgendermaßen aussehen:
„Wenn in einem Teil-Ganzes-Schema die Qualität des Supersets gegeben und die Quantität des Subsets gesucht ist, und wenn eine Spezifikation im Subset angegeben ist(= notwendige Bedingungen), dann führe Prozedur A aus. A liefert die Quantität des Subsets(= Konsequenzen).‘ Im konkreten Fall könnte diese Prozedur A in der Berechnung von P mit der Gleichung P= G x P/100 bestehen. Der„Aufruf** einer Prozedur durch ein Problemschema bedeutet natürlich noch nicht automatisch, daß das Problem auch tatsächlich richtig gelöst wird. Es ist möglich, daß bei der Ausführung der Prozedur Fehllösungen dadurch entstehen, daß„Hilfs- oder Unterprozeduren‘‘ (die z.B. auch Bestandteil anderer Schemata sein können) nicht oder nur fehlerhaft repräsentiert sind. Ein einfaches Beispiel für diesen Sachverhalt wäre die fehlerhafte Umwandlung einer Prozentzahl in eine Dezimalzahl(aus 18% wird z.B. 1,8). Der Diagnose und Analyse solcher prozeduraler Fehler sind eine Fülle von Arbeiten gewidmet(z.B. Attisha& Yazdani 1983, 1984; Bathelt, Post& Padberg 1986; Gerster 1982; Kühnhold & Padberg 1986; Radatz 1980; Sander & Berger 1985[für Prozentrechnung]). Niegemann(1983) weist mit Recht darauf hin, daß die korrekte Subsumption einer Textaufgabe unter ein Problemmodell und die anschließende(fehlerfreie) Ausführung einer Prozedur noch nicht gleichbedeutend ist mit der Lösung dieser Aufgabe. Der jeweils errechnete Zahlenwert muß noch in einem Prozeß der Interpretation auf das der Rechnung zugrundeliegende Aufgabenmodell(abstrakt und konkret) bezogen werden. Für die Beispielaufgabe bedeutet dies z.B., daß der berechnete Wert(135 m?) als Quantität des Subsets interpretiert und in den konkreten Situationszusammenhang(als bebauter Anteil des Grundstücks) eingefügt werden muß.
Von besonderer Wichtigkeit wird dieser Prozeß der Interpretation dann, wenn die vorausgegangenen Schritte der Lösung einer Textaufgabe fehlerbehaftet waren, die nur schwer in das Problemmodell passen. Was macht z.B. ein Schü
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Textverständnis und Lösen mathematischer Sachaufgaben
ler, der wegen des oben genannten Fehlers für die Beispielaufgabe den Wert 13,5 ermittelt hat? Interpretiert er dieses Ergebnis— folgerichtig— als „13,5 m? des Grundstücks sind bebaut“; oder gelingt es ihm an dieser Stelle, die Nichtübereinstimmung seiner Interpretation mit dem konkreten Situationszusammenhang zu erkennen?
Für das von Kintsch& Greeno(1985) entwickelte Modell des Problemverstehens und-lösens lassen sich eine Reihe empirischer Belege anführen, die vor allem auf die Kategorisierung von Problemen zurückgehen(Arbinger 1986; Chi, Feltovich& Glaser 1981; Chi, Glaser& Rees 1982; Hinsley, Hayes& Simon 1977; Schoenfeld& Herrmann 1982; Silver 1979, 1981): Ein Schüler, der vor das Problem gestellt wird, einen Satz von Textaufgaben nach dem Kriterium „Ähnlichkeit“ in beliebig viele Kategorien zu sortieren, sollte sich— vorausgesetzt, er verfügt über ein„tieferes‘‘ Verständnis der oben beschriebenen Art— ausschließlich von den jeweiligen den Aufgaben zugrundeliegenden abstrakteren Problemschemata leiten lassen und nicht von möglichen Ähnlichkeiten auf der Textebene.
So ist z.B. die Aufgabe„Von 880 Schülern kommen 35% mit dem Bus zur Schule; wieviele sind das?“ von der eingangs zitierten Beispielaufgabe im Hinblick auf das Situationsmodell bzw. auf die entstehende Propositionsliste hinreichend verschieden, beide Aufgaben entsprechen aber demselben abstrakten Problemschema„Prozentwert‘‘; d.h. beide Aufgaben sind von ihrer„Tiefenstruktur“ her derselben Kategorie zuzuordnen, obwohl sie völlig verschiedene „Oberflächenstrukturen‘‘ aufweisen. Anhand des Kategorisierungsverhaltens von Schülern läßt sich demnach überprüfen, ob ein Schüler eine Aufgabe im Sinne von Kintsch& Greeno(1985) vollständig verstanden hat, oder ob er auf der Ebene des reinen Textverstehens stehengeblieben ist. Die erwähnten Untersuchungen lassen hierzu folgendes Bild entstehen.
Mit zunehmendem„Expertenstatus‘“ in einem Sachgebiet ändert sich auch die Art der Kategorisierung von Aufgaben.
Während sich Neulinge oder in einem Gebiet Unerfahrene eher von oberflächlichen Übereinstimmungen auf der Textebene leiten lassen, nehmen Experten Kategorisierungen nach den zugrundeliegenden abstrakten Schemata vor. Der gleiche Unterschied im Kategorisierungsverhalten läßt sich auch zwischen„guten‘ und„schlechten‘“ Problemlösern in einem Gebiet nachweisen. Experten sind auch in der Lage, zutreffende Kategorisierungen in einem sehr frühen Stadium(d.h. noch bevor die ganze Aufgabe gelesen ist) und sehr rasch vorzunehmen; dies wiederum hat Konsequenzen für die zur Lösung der Aufgabe herangezogenen Strategien: Bei kategorisierten bzw. kategorisierbaren Aufgaben werden eher spezifische Strategien(im Sinne von inhaltsgebundenen Prozeduren) bei nicht-kategorisierten Aufgaben eher allgemeine Lösungsstrategien(Heurismen) eingesetzt.
Nach dem Modell von Kintsch& Greeno (1985) sind also im wesentlichen drei miteinander verbundene Arten von Wissen für die Lösung mathematischer Sachaufgaben relevant: auf die Textbedeutung bezogenes semantisches Wissen, schemabezogenes Wissen zur Subsumption einer Aufgabe unter ein abstraktes Problemmodell und prozedurales Wissen zur Ausführung konkreter mathematischer Operationen, wobei dem schemabezogenen Wissen eine vergleichsweise größere Bedeutung zugewiesen wird. Ziel der im folgenden darzustellenden eigenen Untersuchung ist es, diese Aspekte von Wissen im Zusammenhang mit der Lösung von Textaufgaben aus dem Bereich der Prozentrechnung zu erfassen und ihren Stellenwert im Prozeß der Lösungsfindung zu bestimmen. Besonderes Gewicht erhält dabei auch die Erprobung von Methoden zur Erfassung dieser Wissenskomponenten.
Im einzelnen soll hier eine Beschränkung auf die folgenden beiden Fragestellungen erfolgen:
— Welcher Stellenwert kommt den verschiedenen Wissensarten(vor allem dem schemabezogenen und_prozeduralen Wissen) im Prozeß der Lösungsfindung und für die Güte der Problemlösung zu? — Welchen Einfluß hat die Bereitstel
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988