Erich Vanecek& Ernst Bauer
hen müssen. Im herkömmlichen Unterricht wird häufig versucht, durch das Vorgeben von mehr Aufgaben für die leistungsfähigeren Schüler das unterschiedliche Schülertempo auszugleichen. Das hat zur Folge, daß langsamere Schüler mit dem Druck leben müssen, niemals alle gestellten Aufgaben bewältigen zu können. Im Konzept des sozialen Lernens will man diese Gefühle vermeiden und die nicht ausgelasteten Schüler als Multiplikatoren des Lehrers einsetzen. Die Tutorentätigkeit trägt sicherlich auch zum besseren Gruppenklima in der Klasse bei, wofür die deutlich geringere Anzahl negativer Wahlen im Soziogramm sprechen(Bauer 1983).
Beide Modelle verlangen eine sehr genaue Zeiteinteilung. Am besten folgt man einer Rasterung mit Einheiten von ungefähr fünf Minuten. In Österreich beträgt die Unterrichtseinheit 50 Minuten, so daß man maximal zehn, besser jedoch nur neun Einheiten planen soll.
S Minuten...... Aktivierung 15 Minuten...... Informationsvermittlung S Minuten...... Konsolidierung 1 10 Minuten...... Wiederholung 1 10 Minuten...... Konsolidierung 2 5 Minuten...... Wiederholung 2
Dieses Schema stellt selbstverständlich nur eine Orientierungshilfe zur Erstellung eines Stundenablaufes dar und kann an die jeweiligen thematischen Bedürfnisse angepaßt werden. Beispiele findet man bei Bauer(1983).
Aktivierung
In dieser Phase sollen die Schüler durch Steuerung der Aktivität auf den kommenden Lernprozeß vorbereitet werden. Sie ermöglicht einen zwanglosen Übergang von der Schulpause zu den kommenden Anforderungen des Unterrichts und soll die gesamte Klasse, so gut es ohne technischen Aufwand möglich ist, für die lernbereite Phase synchronisieren. Im Normalfall sind die lernbereiten Phasen über die Schüler zufallsverteilt, da sie sich nach ihren eigenen Bedürfnissen aktivieren oder desaktivieren. Die Schüler werden durch ein Wechselspiel zwischen Anspannung und Entspannung
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Das Wiener Modell im Mathematikunterricht
— bei dem jedoch die Entspannung mehr Zeit einnimmt— in einen Zustand der Desaktivierheit gebracht. Vor der Entspannungsphase ist soweit wie möglich gegen äußere Störungen vorzubeugen. Das Licht ist abzudrehen, bei greller Sonneneinstrahlung sollte der Raum abgedunkelt werden. Die Schüler nehmen eine angenehme Sitzposition ein, die Augen sind geschlossen. Der Lehrer gibt seine Anweisungen mit halblauter Stimme. Das Anspannen und Lösen von Muskelpartien dauert jeweils 4—7 Sekunden. Die Schüler beginnen auf das Signal„Jetzt‘‘ mit der Anspannung und entspannen nach der Aufforderung „Bitte entspannen“. Anweisungsbeispiel:„Setzt euch ganz bequem auf euren Sessel. Legt die Arme auf die Bank oder auf die Oberschenkel und lehnt euch zurück. Die Fußsohlen stehen mit der ganzen Fläche auf dem Boden. Ballt auf das Zeichen beide Hände sehr fest zur Faust. Jetzt!— Haltet die Faust geschlossen. Haltet die Spannung richtig durch bis ich das Zeichen zur Entspannung gebe.— Jetzt, bitte, entspannen. Richtig lockerlassen. Ihr spürt, wie die Muskeln weich und schlaff werden. Fühlt die Lockerheit!‘‘ Usw. Nach diesem Muster werden Oberarme, Stirnpartie, Brustmuskulatur und fallweise auch Bauch-und Beinmuskeln entspannt. Die Entspannung kann durch leise Musikdarbietung(Kassettenrecorder) im Anschluß an das Jacobson-Training unterstützt werden. Dabei darf die Musik die Lautstärke eines gedämpften Gespräches nicht übersteigen(40 dB— 50 dB). Als geeignete Werke bieten sich langsame Sätze aus der Barockmusik, der Vorklassik und der Wiener Klassik an(z.B. Joh. Seb. Bach: Die 2. Sätze aus den Violinkonzerten a-moll und E-Dur; Beethoven: 1. Satz aus der Mondscheinsonate, 2. Satz aus dem 5. Klavierkonzert). Gute Erfahrungen ergaben auch vom Lehrer induzierte angenehme Vorstellungen(z.B.„Stell dir vor, du stehst auf einer Aussichtsstelle und betrachtest die umliegende schöne Gegend‘‘). Die Klasse verharrt nun ein bis zwei Minuten im entspannten, völlig ruhigen Zustand. In der letzten halben Minute dieses Abschnittes werden die Schüler durch
isometrikähnliche Übungen aktiviert (z.B.„Drücke die Innenflächen der Hände so fest wie möglich einige Sekunden aneinander‘“). Dadurch wird erwirkt, daß die Schüler einen mittleren Grad der Aktivierung erreichen, der die ideale Voraussetzung für den folgenden Lernprozeß darstellt. Bedauerlicherweise mißt man der Entspannung in Europa noch immer zu wenig Bedeutung bei. Auch in der Praxis des Wiener Modells zeigte sich, daß der Lehrer stets Anreger und Motor der Entspannungsdurchführung sein muß. Der Lehrer neigt traditionellerweise auch eher dazu, zu verstärkter Konzentration zu Mmahnen, wenn er einen Leistungsabfall einer Klasse merkt, als eine Entspannung durchzuführen und danach seinen vorgesehenen Inhalt zu vermitteln. Aufgrund einer Schülerbefragung ergab sich, daß im Normalfall die Entspannung im außerschulischen Bereich, sei es bei Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitungen oder Übungs
phasen, kaum selbständig eingesetzt wird. Informationsvermittlung
Die neue Information wird unter Beachtung von kognitions- und motivationspsychologischen Gesetzlichkeiten dargeboten. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Auswahl des Beispiels zu legen. Es soll in einfachster Form den Lösungsweg darstellen, soll ohne ablenkendes Rankenwerk den Kern des Problems darlegen. Nachträgliche Erklärungen und Zwischenfragen sollten von vornherein auf ein Minimum zu reduzieren sein.
Konsolidierung 1
Der Lernprozeß während der Informationsphase hat biochemische Prozesse in kortikalen und subkortikalen Strukturen des Gehirns ausgelöst, die ungestört ablaufen müssen, um eine optimale Einprägung zu erzielen.„Das Gehirn lernt länger als das Bewußtsein‘ formulierte Rohracher(1971) im Zusammenhang mit Lernhemmungen, die durch Störungen der postmentalen Erregungen auftreten. Die Konsolidierungsphase stellt gleichsam eine Pufferzone dar, in der al
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988