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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Erich Vanecek& Ernst Bauer ­

Das Wiener Modell im Mathematikunterricht

vations-psychologische Wirkung, da die Schüler das Gefühl haben, selbständig ein Problem bewältigt zu haben und nicht nur auf die vorgezeigten Lösungs­wege des Lehrers angewiesen zu sein. Grundsätzlich werden nur kleine mathe­matische Gedankengänge selbständig vollzogen(z.B. welche Bedingung muß eine Funktion erfüllen, damit ihre Um­kehrung wieder eine Funktion ergibt?). Als nicht zielführend erweist sich in die­sem Zusammenhang das Klassenge­spräch, da sich daran erfahrungsgemäß nur die besseren Schüler beteiligen.

Aktivierungsphase

Sie erfolgt in gleicher Weise wie im de­duktiven Modell. Sie stellt hier natürlich nicht den Übergang von der Schulpause zum Gegenstand dar, sondern lediglich zwischen zwei Unterrichtsabschnitten. Erfahrungsgemäß wird hier besonders die Entspannung zu akzentuieren sein, da die Erarbeitungsphase die Klasse akti­viert.

Informationsspot

In den Minuten nach der Aktivierung wird das Substrat der Erarbeitungsphase durch geeignete Medien(Overhead-Pro­jektor, Tafelbild, Tuchtafel) oder durch Formulierung von Merksätzen geboten. Häufig wird die Formulierung bzw. die Darbietung der Kerninformation durch den Lehrer erfolgen. Es können aber auch Vorschläge der Schüler angeregt und aufgenommen werden. Das Motto Wie können wir durch möglichst prä­gnante und einprägsame Weise das Erar­beitete festhalten? führt zum Training im Entwickeln der besten Kodierungs­form bzw. zur Auseinandersetzung mit Einprägungsstrategien. Hier wird das Ge­schick mancher Schüler auch den Lehrer in Erstaunen versetzen. Die weiteren Phasen des induktiven Modells unter­scheiden sich lediglich in zeitlicher Hin­sicht vom deduktiven Modell. Die grund­sätzliche Vorgangsweise und die weitere Phasenabfolge bleiben gleich.

Nicht jede Unterrichtsstunde wird nach den Modelleinheiten gehalten. Nach ein oder zwei Modelleinheiten werden Stun­

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den eingefügt, die der Anwendung und Vertiefung der Kenntnisse dienen(Wie­derholungsstunden). Es können dann auch längerdauernde Gruppenarbeiten durchgeführt werden, für die die fünf­zehn Minuten der Vorbereitungs- oder Erarbeitungsphase des induktiven Mo­dells zu kurz sind.

Das Wiener Modell formt den Unterricht nicht zu einem Lernlaboratorium um. Gewöhnlich merken Besucher den Un­terschied zwischen herkömmlichem Un­terricht und einer Modellstunde nicht. Meist erleben sie nur sehr beeindruckt die Minuten der Entspannung und den sehr abwechslungsreichen Unterricht bzw. die wohltuende Klassenatmosphä­re. Im Wiener Modell werden die drei wichtigsten Elemente des Unterrichtens, wie sie von den Autoren Posch, Schnei­der& Mann(1983) gefordert werden, konsequent eingehalten: 1. Vermittlung verständlicher Information, 2. Stellen von Lernanlässen und 3. Rückmeldung über den Erfolg bei der Bewältigung der gegebenen Lernanlässe. Auch im mehr­phasigen Modell nach Grell& Grell (1979) werden diese Forderungen ge­stellt und einer Konkretisierung zuge­führt.

Erfahrungsbericht

Das Guttmann-Vanecek-Modell wurde in einer breit angelegten Serie von Kon­

trollversuchen an Volks-, Haupt- und all­gemeinbildenden höheren Schulen in den Fächern Mathematik, Latein, Musik­kunde, Deutsch und Englisch an rund 550 Schülern von Vanecek(1982) eva­luiert. Da für die Teilnahme an Schulver­suchen das Einverständnis der Eltern er­forderlich ist, konnten die Schüler den Versuchs- und Kontrollklassen leider nicht nach dem Zufall zugeteilt werden. In die Evaluierung des Modells geht also die freiwillige Meldung, damit auch In­teresse am Versuch und vielleicht auch ein Beweisenwollen der Richtigkeit der eigenen Entscheidung, als mögliche Feh­lerquelle ein. Ein Vergleich der Intelli­genzleistungen(gemessen mit dem Intel­ligenzstruktur-Test von Amthauer) er­gab jedenfalls keine signifikanten Unter­schiede zwischen Versuchs- und Kon­trollklassen. Im allgemeinen konnte eine bessere Bewältigung des Lehrstoffes von rund 20% festgestellt werden. Es wurde der Stoff der ersten vier Schulstufen (Volksschule) ohne Leistungsdruck in drei Jahren bewältigt.

Ein Leistungsvergleich in Mathematik konnte unter sehr günstigen Bedingun­gen auf der 9. Schulstufe in zwei Klas­sen durchgeführt werden. Wichtige Va­riable wie Fortschreiten im Lehrplan, Schwerpunktsetzung im Stoff sowie die Schularbeitsbeispiele konnten über ein Schuljahr hin konstant gehalten werden. Von beiden Lehrern wurde der Wochen­stoff festgelegt, die Schularbeiten wur­

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a. Et VG( Versuchsgruppe) 17 16

A- X

N KG(Kontrollgruppe)

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5. 6.

Schularbeiten

Abb. 1: Punktmittelwerte in sechs Schularbeiten in Versuchs- und Kontrollklasse

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988