Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
131
Einzelbild herunterladen

und Familientherapie bei Sprach-, Sprech- und Hörstörungen(1981, Mün­chen: Fink),Nonverbale und verbale Ausdrucksgestaltung in der Behandlung von Sprech-, Sprach- und Hörstörungen (1982, Weinheim: Beltz).

An dem vorliegenden Band haben Sprecherzieher, Logopäden, Sonder­schullehrer, Psychologen, ein Neuropho­netiker, ein Sprechwissenschaftler und ein Sprachbehindertenpädagoge mitge­wirkt. Auf einer noch als schmal zu be­zeichnenden Grundlage theoretischer und empirischer Forschung, indessen aus einer offensichtlich erfahrungsrei­chen Praxis heraus sind sie, wie Geert Lotzmann in seinem Vorwort mit Be­dacht schreibt, dasWagnis eingegan­gen,Sprechangst sowohl global als auch aus der jeweiligen spezifischen Sicht zu beschreiben und ‚therapeutisch zu be­gegnen,

Vom Umfang her können alle 17 Beiträ­ge als kurz bezeichnet werden. Wenn dies auch durchaus leserfreundlich sein mag, so hätten doch mancher Gedanken­gang und manches Argument durch grö­Bere Ausführlichkeit an Verständlichkeit hinzugewonnen. Dies gilt gerade auch deshalb, weil die Autoren sehr unter­schiedliche Meinungen vertreten.

Ich will nun nicht jeden Beitrag einzeln besprechen, sondern lediglich kurz zu­sammenfassend das Meinungsbild zu den folgenden W-Fragen charakterisieren, zu denen man sich genaueren Aufschluß er­hofft: Was ist Sprechangst? Wer leidet unter welchen Umständen an Sprech­angst? Wie äußert sich die Sprechangst? Wie läßt sich die Sprechangst theore­tisch erklären? Wie entwickelt sich Sprechangst? Wie läßt sich Sprechangst therapieren?

Alle Autoren stimmen darin überein, daß die Sprechangst nicht im Rahmen eines einfachen medizinischen Krank­heitsmodells beschreibbar und erklärbar ist. Damit hört aber auch schon die defi­nitorische Gemeinsamkeit auf. Nach We­strich leidet ‚jeder Mensch je nach Ge­sprächssituation mehr oder weniger an Sprechangst; erleidet primär darunter, daß er sich für sein Gefühl nicht ent­scheiden kann, wie und was er sagen soll, um vor sich und seinen Partnern zu bestehen und dies, obwohl er sprechen kann. Kriebel betont ebenfalls den kommunikativen Aspekt, führt als zwei­tes wesentliches Kriterium jedoch die Spezifität der Publikumssituation ein;

die Sprechangst wird damit auf eine Angst eingeschränkt, die aus der tatsäch­lichen oder vorgestellten Notwendigkeit resultiert, vor mehreren Menschen spre­chen zu müssen. Die Sprechangst in je­dem Fall mit einer Kommunikationsstö­rung gleichzusetzen, hält nun wiederum Allhoff für bedenklich, da der größte Teil der Bevölkerung dadurchpatholo­gisiert würde. Und schließlich vertritt Wertenbroch die provozierende These, daß die Sprechangst lediglich herbeigere­det ist. Es gibt sie nur, weil es das Wort dafür gibt. Diesen linguistischen Deter­minus einmal mit der Absicht in den Raum zu stellen, um zum Nachdenken über die erlebens- und handlungssteuern­de Macht der Sprache anzuregen, macht sicherlich Sinn. Darüber schießt der Au­tor indes in wissenschaftlich nicht mehr vertretbarer Weise hinaus, wenn er Sätze wie die folgenden schreibt:Wort und Begriff der Angst(sind) Bestandteil un­seres Lebens, weil sie Bestandteil unse­rer Sprache sind und erst damit ein Be­standteil unseres Denkens und Fühlens.* Und:Es ist erstaunlich, daß nach vie­len Jahren wenig fruchtbarer Angstfor­schung nicht die wissenschaftlich redli­che Konsequenz gezogen wurde, das Konstrukt Angst aufzugeben.

Wenn nun auch von vielen Beiträgern von einem hohen Verbreitungsgrad der Sprechangst ausgegangen wird, so stehen doch, wenn es um genauere Darstellun­gen geht, immer wieder die Stotterer im Vordergrund, wobei die beiden kontro­versen Standpunkte vertreten werden, daß die Sprechangst Ursache des Stot­terns(z.B. Kroppenberg) bzw. daß die kausale Beziehung gerade umgekehrt ist (z.B. Schäfersküpper). Auch das Poltern ist Gegenstand einer entsprechend kon­troversen Diskussion. Begreift es Lotz­mann als einenicht-sprechangstbesetz­te Sprechflußstörung, so mag Fetzer wiederum die Angst als verursachenden Faktor nicht ausschließen.

An solchen Kontroversen wird deutlich, daß noch viel theoretische und empiri­sche Arbeit zu leisten ist. Die anhand von Fallbeispielen anschauliche Darstel­lung des Polterns könnte geradezu als Einladung dienen, sich mit diesem von der bisherigen Forschung eher stiefmüt­terlich behandelten Phänomen genauer zu befassen.

Die Sprechangst wird allgemein als eine Situationsangst verstanden, die sich, so wie Angst allgemein, auf der physiologi­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIV, Heft 2, 1988

Buchbesprechungen

schen, der motorischen und der subjek­tiven(auch: kognitiv-emotionalen) Meß­ebene ausdrückt. Wenn auch Symptome insbesondere auf motorischer Ebene teilweise beschrieben werden, so ist die quantitative Datenmitteilung doch auf­fallend zurückhaltend. An den allgemeinen Theorien von Angst und Angstbewältigung orientiert sich auch Kriebel, der durchaus zuzustim­men ist, daß das Streßmodell von Laza­rus einen geeigneten Bezugsrahmen für die Konzeptualisierung von Sprechangst darstellt, das auch eine begründete Dif­ferenzierung zwischenlogophobi­schem und sprechängstlichem Verhal­ten zuläßt. Dem besonders schwierigen Problem der Ontogenese von Sprech­angst begegnet Westrich allein mit den Hinweisen, daß bei Stotterern rund 60% der Mütter ein überbetuliches, selbstun­sicheres Erziehungsverhalten zeigen, rund 10% einen autoritären Erziehungs­stil pflegen und rund 10% in ihrer Erzie­hung inkonsequent sind. Selbst ohne diese Daten auf einen methodenkriti­schen Prüfstein legen zu wollen, muß ge­fragt werden, wie diese denn ausreichend sein sollen, umnicht nur die Angst der Stotterer zu verstehen,sondern auch, warum sonst sprechunauffällige Zeitge­nossen, da sie über ähnliche Erfahrungen verfügen, je nach Partner und Gesprächs­situation Sprechangst haben. Der wesentlichste Beitrag des vorliegen­den Bandes liegt ganz ohne Zweifel im Bereich der therapeutischen Interven­tion. Der weiten Gestreutheit der theoreti­schen und argumentativen Überlegungen entspricht eine Vielzahl vorgestellter Therapieprogramme, die von der Atem­therapie(Saatweber) bis hin zu rhetori­schen Übungen(Anders& Wagner) rei­chen, wobei auch der Umgang mit Kin­dern an Beispielen demonstriert wird (Franke). So erweist sich dieser Band auf jeden Fall für den Praktiker als hilfreich. Hannelore Grimm, Bielefeld

Walburg, W.-R.: Lebenspraktische Erzie­hung Geistigbehinderter. Berlin(Mar­hold) 4. Auf. 1986. 128 Seiten mit meh­reren Tabellen und Abbildungen.

Gegenüber der vor 10 Jahren erschiene­nen und lange Zeit vergriffenen dritten

131