Christian Klicperaet al.+ Lesenlemen in den ersten beiden Klassen der Sonderschule
sten waren Listen von Wörtern oder Pseudowörtern, die nach den eben definierten Merkmalen homogen waren. Diese Listen bestanden somit aus häufigen bzw. seltenen einsilbigen Wörtern ohne Konsonantenhäufung(Liste 1 und 3), häufigen bzw. seltenen dreisilbigen Wörtern ohne Morphemzusammensetzung (Liste 2 und 4) und einsilbigen bzw. dreisilbigen Pseudowörtern(Liste 5 und 6).
Untersuchungsdurchführung und statistische Analyse: Die Kinder wurden einzeln in einem ruhigen Raum ihrer Schule getestet. Der Untersucher bestimmte, für jede Aufgabe getrennt, die benötigte Zeit und die Anzahl der von den Kindern falsch gelesenen Wörter. Die Testung sollte nicht länger als eine halbe Stunde dauern, bei schwachen Lesern wurde nach einer halben Stunde unterbrochen und am folgenden Tag fortgefahren. In einer multivariaten Varianzanalyse wurde für die Sonderschule der Einfluß des Testzeitpunkts(Anfang gegen Ende der 2. Klasse) sowie der Worthäufigkeit, der Wortart(richtige Wörter und Pseudowörter) und der Wortlänge als intraindividuelle(Meßwie
derholungs-) Faktoren auf die Anzahl.
der Lesefehler der Kinder getestet. In einer zusätzlichen multivariaten Varianzanalyse wurde der Unterschied zwischen den Sonderschülern und den schwachen Lesern aus der Grundschule sowie die Einflußstärke der in dem Test varlierten Faktoren auf die beiden Gruppen statistisch geprüft.
Ergebnisse
Die Entwicklung der Wortlesefähigkeit in der 2. Klasse zeigt erstmals größere Fortschritte in der Lesefähigkeit der lernbehinderten Schüler(F[1,26]= 21.7; pP< 0.001). Während zu Beginn der
Literatur
Barron, R.W. k(1981). Development of visual word recognition: A review. In G.E. MacKinnon& T.G. Waller(Hsrg.) Reading research. Advances in theory and practice, Vol. 3. New York: Academic Press.
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2. Klasse nur ein Viertel dieser Kinder wenigstens jedes zweite Wort richtig las, traf dies am Ende der 2. Klasse für die Hälfte zu. Auffallend ist neben einem mäßigen Einfluß der Worthäufigkeit (F[1,26]= 20.6; p< 0.001) ein starker Einfluß der Wortlänge auf dieser Klassenstufe(F[1,26]= 73.0; p< 0.001) (siehe Abb. 3) sowie die weiterhin geringe Lesesicherheit.
Gegen Ende der 2. Klasse hat die Variabilität der Leseleistungen unter den lernbehinderten Kindern deutlich zugenommen. Zwei Kinder lesen zu diesem Zeitpunkt bereits relativ sicher, ein Viertel der Kinder liest hingegen drei von vier Wörtern falsch.
Auch in der 2. Klasse lassen die lernbehinderten Schüler im Vergleich zu schwachen Lesern aus der Grundschule eine deutliche Erschwernis des Leseprozeses erkennen(F[1,33]= 10.9; pP< 0.005). Sie zeigen sowohl größere Schwierigkeiten beim Lesen häufiger Wörter(F[1,33]= 4.1; p= 0.05) als auch in der Tendenz beim Lesen längerer Buchstabenfolgen(F[1,33]= 3.6; pP= 0.06). Lernbehinderte Kinder dürften demnach im Vergleich zu Kindern mit speziellen Leseschwierigkeiten zusätzlich zu Problemen beim Erlernen des phonologischen Rekodierens größere Schwierigkeiten bei der Aneignung wortspezifischer Kenntnisse und Lesefertigkeiten sowie bei der Erfassung der Wortstruktur bzw. der Ausnutzung der orthographischen Redundanz haben.
Diskussion
Die Gegenüberstelllung der Leseentwicklung lernbehinderter Schüler in der Sonderschule und jener schwacher Leser in der Grundschule spricht dafür, daß die Intelligenz einen bedeutsamen Einfluß auf den Verlag der Leseentwicklung ausübt. Die lernbehinderten
Schüler sind nicht nur ganz allgemein beim Erlernen des Lesens schwerer beeinträchtigt, ihre Schwierigkeiten sind auch globalerer Natur, als dies bei den leseschwachen Kindern in der Grundschule zu beobachten ist. Lernbehinderte Sonderschüler haben größere Schwierigkeiten, vom Leseunterricht bekannte bzw. vertraute, häufiger vorkommende Wörter zu lesen, als die leseschwachen Kinder in der Volksschule. Zudem zeigen sie auch große und längeranhaltende Probleme bei der Ausnutzung der orthographischen Redundanz beim Lesen. Für den Leseunterricht der lernbehinderten Kinder stellt sich dadurch die Frage, ob nicht besondere Anpassungen im Unterricht im Hinblick auf die eingeschränkten Lernvoraussetzungen dieser Kinder vorzunehmen sind. Diese Anpassungen könnten einerseits darin bestehen, die Aneignung wortspezifischer Lesekenntnisse dadurch zu fördern, daß der Anfangswortschatz noch weiter eingeschränkt und der RepräsentationsCharakter der Schrift durch stärkere Verbindung mit Bildern sowie durch die Betonung der Signal- oder Hinweisfunktion von Schriftzeichen besonders hervorgehoben wird. Andererseits wäre auch zu überlegen, ob nicht der Unterricht jener Fertigkeiten, die das phonologische Rekodieren ermöglichen(wie z.B. das Zusammenlauten), intensiviert werden müßte. Diese Untersuchung hat gezeigt, daß sich lernbehinderte Kinder über lange Zeit die den Buchstaben zuzuordnenden Laute laut vorsprechen, ohne sie zusammenziehen zu können. Welche dieser beiden Unterrichtsstrategien im Lernbehindertenunterricht wirksamer ist, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen, beide Methoden können nach heutigem Kenntnisstand bei einem gezielten Einsatz zu einer Verbesserung der Lesefähigkeit schwächer begabter Kinder beitragen(Conners 1992).
Buckley, S.(1985). Attaining basic educational skills: Reading, writing and number. In: D. Lasne& B. Stratford(Eds.) Current approaches to Down's syndrome. London: Holt, Rinehart and Winston.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 3, 1993