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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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kindalter häufig in den Hintergrund und finden deshalb auch bei den Ärzten nicht die notwendige Beachtung. Dennoch ist das rechtzeitige Erkennen einer Sprach­entwicklungsverzögerung eine wichtige Aufgabe, um möglichst frühzeitig mit geeigneten Interventionen eingreifen zu können und so gravierendere Rückstän­de vermeiden zu helfen.

Eigene Untersuchungen an sprachent­wicklungsverzögerten Kindern konnten belegen, daß diese Kinder erstmalig zwi­schen dem fünften und sechsten Lebens­jahr einem HNO-Arzt bzw. Phoniater vorgestellt wurden. Eine wichtige Auf­gabe liegt also darin, sprachauffällige Kinder so zeitig wie möglich zu erfas­sen und eine Aussage darüber zu tref­fen, welche Kinder einer intensiven und ganz individuellen Sprachförderung bedürfen.

Theoretische Positionen und methodischer Ansatz

Im Gegensatz zu früher üblichen eher formalen Analysen, bei der Sprachfä­higkeit gleichgesetzt wird mit Wort­schatz und mittlerer Satzlänge, werden in den neueren Ansätzen die der Sprach­entwicklung zugrundeliegenden Prozes­se zum Gegenstand der Analyse. Auf dieser Grundlage, unter Berücksichti­gung kognitiver, entwicklungspsycho­logischer und psycholinguistischer For­schungsergebnisse(vgl. Grimm& Schö­ler 1978; Schmidt u.a. 1984; Szagun 1986 sowie Häuser 1989) entwickelten wir einen Methodenansatz zur Erfassung hauptsächlich inhaltlicher Sprachkom­ponenten im Kleinkind- und Vorschul­alter.

Unser Methodeninventar setzten wir in Verbindung mit herkömmlichen Test­verfahren und Befragungen in einer Längsschnittstudie vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr ein.

Wir verfolgten die Sprachentwicklung der Kinder über zwei, drei bzw. vier Meßpunkte hinweg, wobei die Kinder im Abstand von einem Jahr untersucht wurden. Unsere Untersuchung umfaßte vier Gruppen, so daß wir auch auf den vier Zeitscheiben(2;6-3;0, 3;64;2,

4;6-5;2 und 5;6-6;2 Jahre) Quer­schnitttsvergleiche mit höherer Reprä­sentativität erhalten können. Ziel unserer Untersuchung war es, aus­gewählte Bereiche der Sprachentwick­lung im Vorschulalter zu beschreiben, zu erklären und zu verallgemeinern. Im Vordergrund standen entwicklungs­psychologische Fragestellungen. Es konnte nicht unser Anliegen sein, alle Faktoren der Sprachentwicklung tief­gründig zu erfassen. Inhaltlich konzentrierten wir uns aus­schließlich auf die Sprachproduktion, insbesondere auf: die Fähigkeit zur Begriffsklassifi­kation die Fähigkeit zur Wortschatzerwei­terung die Fähigkeit zum Spiel mit Mor­phemen den Erwerb und die Anwendung zwischenbegrifflicher semantischer Relationen. In dieser Längsschnittstudie erwies sich besonders der vierte Bereich als pro­gnostisch valide(wir werden später nä­her darauf eingehen), den Kindern be­reitete die Versuchsdurchführung Freu­de, die Aufgaben waren praktikabel und leicht auswertbar. Aus diesen Gründen entschlossen wir uns, diesen Ansatz zu überarbeiten und in einer verbesserten Form als diagnostische Methode vorzu­stellen. In den ersten Lebensjahren bildet das Kind in der Interaktion mit der Umwelt wesentliche Bestandteile des merkmals­und ereignisbezogenen Bedeutungs­wissens heraus. Neben den merkmals­abhängigen innerbegrifflichen Struktu­ren entwickeln sich vor allem handlungs­und situationsbezogene Wissensstruk­turen, die auf wahrgenommenen räum­lich-zeitlichen Beziehungen zwischen Aktoren, Aktionen, Objekten etc. basie­ren. Mit der sprachlichen Entwicklung vollzieht sich eine verbale Belegung der Elemente und Beziehungen des gesam­ten Bedeutungswissens, d.h., das Kind erwirbt die Fähigkeit zu kommunizieren sowie abstrakte Begriffe und Hierarchien aufzubauen(vgl. Hoffmann 1986). Die meisten Autoren unterscheiden min­destens zwei Arten begrifflichen Wis­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 3, 1993

Gisela Friedrich+ Sprachentwicklungsdiagnostik und-förderung bei entwicklungsrückständigen Kindern

sens: Für unsere Zwecke geeignet er­scheint uns die Einteilung in zwi­schenbegriffliche und innerbegriffliche semantische Relationen. Zwischenbe­griffliche semantische Relationen sind ereignisbestimmtes Wissen, das relativ fest im Gedächtnis fixiert ist. Innerbe­griffliche semantische Relationen sind durch kognitive Prozesse erzeugbares merkmalsbestimmtes Wissen. Andere Einteilungen wären beispielsweise: an­schaulich-konkret vs. unanschaulich-ab­straktes Wissen, Objektwissen vs. Kon­textwissen oder deklaratives vs. proze­durales Wissen. Uns geht es hier vor­dergründig um ereignisbezogenes Wis­sen, also um zwischenbegriffliche se­mantische Relationen.

Wir stimmen mit vielen Entwicklungs­psychologen darin überein, daß den zwischenbegrifflichen semantischen Re­lationen ontogenetisches Primat zu­kommt. Kinder erwerben situations­bezogenes zwischenbegriffliches Wis­sen früher und leichter als taxonomische Ordnungen innerhalb begrifflicher Sy­steme. Die Tätigkeit des Kindes, seine Interaktion und Kommunikation haben entscheidende Bedeutung für den Auf­bau seines Wissens. Daher stehen Hand­lungsbegriffe am Anfang der Sprach­entwicklung, sie bilden das Zentrum der entstehenden semantischen Kerne, flan­kiert von Handlungsträgern und Objek­ten.

Den Erwerb und die Anwendung zwi­schenbegrifflicher semantischer Rela­tionen überprüften wir mit dem Teddy­Test. Der Teddy-Test ist eine von uns entwickelte Methode zur Erfassung der verbalen Verfügbarkeit semantischer Relationen. Er gibt Aufschluß über den Entwicklungsstand eines Kindes sowie über inter- und intraindividuelle Beson­derheiten beim Relationserwerb. Unter­sucht werden die zwischenbegrifflichen semantischen Relationen Aktor-Aktion, Aktion-Objekt, Lokation, Instrument und Finalität jeweils in zwei verschie­denen Anforderungssituationen:

unspezifische Aktivierung: die Kinder werden aufgefordert, zu vorgegebenen Bildern eine kleine Ge­schichte zu erzählen,

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