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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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zwischen 3;0 und 3;6 Jahren mit dem Teddy-Test als sprachentwicklungs­verzögert zu erkennen. In diesem Alter sind Artikulation und Syntax der Spra­che entwicklungsbedingt nicht vollstän­dig erworben, über das Ausmaß und die Prognose des Sprachentwicklungsrück­standes können diese Anteile der Spra­che keine ausreichende Validität brin­gen. Mit der Untersuchung der verbalen Verfügbarkeit zwischenbegrifflicher se­mantischer Relationen sind Aussagen zur Prognose frühzeitiger und zielsiche­rer möglich.

Teil 2: Intervention Einleitung

Wer? Was? Wo? Womit? Warum? Die­se 5 Ws 1äßt nicht nur mancher Kri­minalautor seinen Hauptkommisar fra­gen. Sie dienen auch im Alltag der bes­seren Strukturierung von Situationen und dem Durchleuchten von Ereignissen. Wer? fragt nach dem Agent der Hand­lung.Was? nach der Handlung selbst und dem Objekt der Handlung.Wo? nach dem Ort,Womit? nach dem In­strument undWarum? nach Grund und Ziel einer Handlung. Diese Fragen sind nicht nur in der Kunst und im Alltag Erwachsener relevant, sondern auch entwicklungspsychologisch und pädago­gisch-psychologisch bedeutsam, was im folgenden zu beweisen wäre.

Mit demTeddy-Test verfügen wir über einen diagnostischen Ansatz, der es er­möglicht, inter- und intraindividuelle Be­sonderheiten beim Erwerb zwischen­begrifflicher semantischer Relationen bereits bei drei- bis vierjährigen Kin­dern aufzudecken. Aus diesen diagno­stischen Erkenntnissen lassen sich be­reits frühzeitig individuelle Fördermaß­nahmen ableiten. Die verbale Verfüg­barkeit zwischenbegrifflicher semanti­scher Relationen ist über eine gezielte Förderung des Aufbaus kognitiver Struk­turen trainierbar.

Ein hohes Maß an kognitiver Durch­dringung der Welt durch das Kind er­

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Gisela Friedrich+ Sprachentwicklungsdiagnostik und-förderung bei entwicklungsrückständigen Kindern

möglicht eine hochgradige Struktu­rierung der Sprache und zeigt sich u.a. in der Verbalisierung einer Vielzahl ver­schiedener semantischer Relationen weitaus deutlicher als beispielsweise in der immer wieder erwähnten mittleren Satzlänge. Oder anders herum: Die Ver­balisierung einer Vielzahl verschiede­ner semantischer Relationen läßt auf eine hohe Strukturierung der Sprache schlie­ßen, was gleichzeitig eine zumindest eben so hohe kognitive Durchdringung der Welt voraussetzt.

In unseren Untersuchungen konnten wir zeigen, daß es offenbar eine Erwerbs­reihenfolge der zwischenbegrifflichen semantischen Relationen gibt, die sich bei einer Statuserhebung als Schwie­rigkeitsreijenfolge zeigt. Zwischen dem ersten Auftreten einer Relation und de­ren nahezu vollständiger Beherrschung sind jedoch verschiedene Entwick­lungsverläufe möglich. Nicht alle Kin­der erwerben die semantischen Rela­tionen tatsächlich so widerspruchsfrei in der theoretisch begründeten und empirisch im Mittel nachgewiesenen Reihenfolge(vgl. Abb. 3 und 4). Neben kontinuierlicher Entwicklung fanden wir auch Stagnation und sogar scheinbare Rücklaufigkeit.

Das muß nicht sein bzw. gilt es zu ver­meiden. Aus diesem Grund entschlos­

‚sen wir uns, eine Förderung der verba­

len Verfügbarkeit der zwischenbegriff­lichen semantischen Relationen, und damit eine Förderung der sprachlichen Strukturierung des kognitiven Wissens zu versuchen. Ist eine solche Förderung möglich, ist sie sinnvoll und ist sie not­wendig?

Neben der Vermittlung von Begriffen, von Wortbedeutungen mit ihrem ex­akten Inhalt und Umfang sowie deren Einordnung in hierarchische Systeme kommt dem sprachlichen Milieu, dem sprachlichen Vorbild der Bezugsper­sonen, besondere Bedeutung beim Er­werb der zwischenbegrifflichen seman­tischen Relationen zu. Entsprechend der von uns gefundenen Erwerbsreihenfolge der semantischen Relationen können wir davon ausgehen, daß die Handlung beim Spracherwerb im Mittelpunkt steht und daß Aktoren und Objekte am engsten

daran geknüpft sind, weniger eng hin­gegen Lokation, Instrument und Fina­lität. Zuerst wird also die Beziehung Aktor-Aktion-Objekt erworben. Dies muß beim Umgang mit den Kindern, im sprachlichen Angebot berücksichtigt werden.

Wir können annehmen, daß das Kind bereits, wenn es die ersten beiden Haupt­klassen semantischer Relationen(Aktor­Aktion und Aktion-Objekt) relativ si­cher beherrscht, aber noch festigen muß, besonders sensibel für den Erwerb der nächstfolgenden schwierigeren Relatio­nen ist. Auf dieser Idee basiert unser Förderprogramm, das es erlaubt, sprach­liche Strukturen auf der bildhaft-an­schaulichen und der Handlungsebene zu trainieren.

Da situations- und ereignispezifisches Wissen relativ fest im Gedächtnis fi­xiert ist, muß das Training auch si­tuations-orientiert durchgeführt werden. Das heißt, Situationen der kindlichen Umwelt müssen gemeinsam mit dem Kind ausgehend von der Handlung, dem Handlungsträger und dem Objekt der Handlung analysiert sowie kognitiv und sprachlich strukturiert werden.

Wir möchten jedoch vor allzu großem Optimismus und Übereifer warnen. Wir können keine Berge versetzen. Förde­rung der sprachlichen Fähigkeiten eines Kindes sind nur im Rahmen dessen mög­lich, was seine Kommunikationsgemein­schaft zuläßt. Ein Kind wird auch bei allerbestem Training nicht in der Lage sein, die Barrieren seiner Kommunika­tionsgemeinschaft zu sprengen. Die Kommunikationsstile der Bezugsperso­nen im Vorschulalter sind das neben einer institutionalisierten Einrichtung, die das Kind eventuell besucht, in der Regel die Eltern bestimmen im We­sentlichen die Kommunikationsmög­lichkeiten des Kindes.

Schwierigkeiten treten meist erst dann auf, wenn das Kind bei Schuleintritt den Anforderungen der neuen Kommuni­kationsgemeinschaft nicht gewachsen ist. Es muß dann nämlich die sprachli­chen Aufforderungen des Lehrers auch verstehen können, um sie zu realisieren.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 3, 1993