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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Sabine Sonnentag* Arbeit, Zufriedenheit, Befinden und soziale Integration

Ergebnisse und Diskussion Beschreibung der Arbeitssituation

In Tabelle 2 sind die Mittelwerte für die einzelnen Merkmale der objektiven und subjektiv wahrgenommenen Arbeits­situation dargestellt. Es zeigte sich, daß die Arbeitsplätze von psychisch und gleichzeitig geistig Behinderten durch Regulationserfordernisse gekennzeich­net waren, die in etwa der VERA-Stufe 1 entsprechen. Dies bedeutet, daß die Arbeit charakterisiert ist durch die auto­matische Abfolge von Arbeitsbewegun­gen. Eine gewisse Variabilität der Ar­beitsausführung entsteht dadurch, daß immer wieder andere Arbeitsergebnisse hergestellt oder unterschiedliche Arbeits­mittel bzw. Werkzeuge eingesetzt wer­den(Volpert et al., 1983). Ein typisches Beispiel hierfür sind einfache Verpak­kungsaufgaben, bei denen die Arbeiten­den keine Entscheidungen zu treffen ha­ben und wobei lediglich die zu verpak­kenden Gegenstände von Zeit zu Zeit wechseln.

Im Vergleich dazu hatten Personen mit einer ausschließlich psychischen Behin­derung höhere Anforderungen zu bewäl­tigen, in etwa im Bereich der VERA­Stufe 2R. Das heißt, daß an diesen Ar­beitsplätzen die Aufgabe vor oder wäh­rend der Bearbeitunggedanklich durch­

gespielt werden muß, da das Vorgehen

nicht von vornherein vollständig festge­legt ist(Volpert et al. 1983). Dazu sind typischerweise einfache Nähaufgaben und viele Tätigkeiten in Wäschereien zu zählen.

Die Anforderungen an Kooperation und Kommunikation unterschieden sich zwi­schen den beiden Personengruppen nicht. In bezug auf den zeitlichen Umfang der Kooperation waren sie insgesamt als mittelmäßig, in bezug auf die Enge der Kooperation und die Anforderungen an Kommunikationsinhalte waren sie eher als gering einzuschätzen. Hinsichtlich der wahrgenommenen Arbeitssituation zeigte sich, daß psychisch Behinderte ohne geistige Behinderung ihre Arbeit deutlich weniger chancenreich ein­schätzten als ihre geistig behinderten Kolleginnen und Kollegen. Tendenziell

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Tabelle 2: Mittelwerte! der Variablen bei psychisch Behinderten mit und ohne geistige Behinderung

mit geistiger ohne geistige t-bzw. Behi Behi U-Wert (N= 52-65)(N= 20-24) objektive Arbeitssituation Regulations­erfordernisse? 1,05 1,44 2,13* Zeitlicher Umfang der Kooperation? 2,54 2,15 0,53 Enge der Zusammenarbeit 2,64 2,70 0,24 Anforderungen an Kommunikationsinhalte® 2,09 2,20 0,51 wahrgenommene Arbeitssituation Variabilität 5,0 3,0 481,5 Chancen® 4,5 1,5 354,5* Arbeitsvolumen® 2,5 2,0 503,5 Schwierigkeit® 1,0 1,0 400,0% Zufriedenheit, Befinden und soziale Integration Arbeitszufriedenheit 5,74 4,52-3,35** Gereiztheit/Belastetheit® 2,04 1,94-0,32 Integration in die Arbeitsgruppe® 2,88 3,24 121 mit anderen 1,60 1,45-0,55

1 arithmetisches Mittel bei objektiver Arbeitssituation, Arbeitszufriedenheit, Befinden und sozialer In­tegration; Median bei wahrgenommener Arbeitssituation

2 Bereich: 0,5-5,0 5 Bereich: 0-5 3 Bereich: 04$ Bereich: 1-5 * Bereich: 0-8 7 Bereich: 1-7 **p<.01+4p< 05

nahmen sie ihre Arbeit auch als weniger schwierig wahr.

Diese Ergebnisse wirken auf den ersten Blick paradox: psychisch Behinderte ohne geistige Behinderung hatten zwar objektiv gesehen höhere Anforderungen an das Denken und Planen zu bewälti­gen, dennoch schätzten sie ihre Arbeit auch absolut gesehen als weniger schwierig und weniger chancenreich ein. Betrachtet man, wie psychisch Behin­derte mit vs. ohne geistige Behinderung objektiv vergleichbare Arbeitsbedin­gungen wahrnahmen, bestätigt sich die­ser Trend. Psychisch Behinderte ohne geistige Behinderung beurteilten ihre Arbeitssituation bei objektiv vergleich­baren Anforderungen und Belastungen als weniger variabel und weniger chan­cenreich und schätzten das Arbeits­volumen als geringer ein(Sonnentag 1991).

Ein Grund dafür kann darin gesehen werden, daß psychisch Behinderte ohne

pP<.10

geistige Behinderung über umfangrei­chere schulische und berufliche Vor­erfahrungen außerhalb der WfB verfüg­ten und diese Vorerfahrungen bei der Beurteilung ihrer aktuellen Arbeits­situation möglicherweise berücksichtig­ten. Das bedeutet, daß im Vergleich mit der früheren Situation oder mit frü­her entwickelten beruflichen Hoffnun­gen die momentane Situation als rela­tiv ungünstig bewertet wurde, selbst wenn sie objektiv gesehen besser war als die der geistig behinderte Kollegin­nen und Kollegen. Die Interpretation, daß vor allem die Vorerfahrungen einen Einfluß darauf haben, wie aktuelle Gegebenheiten wahrgenommen und be­schrieben werden, steht in Beziehung zu den Ergebnissen von Oldham und Miller(1979) sowie Oldham, Notten­burg, Kassner, Ferris, Fedor und Masters (1982), die gezeigt haben, daß die Re­aktion einer Person auf ihre Arbeits­situation von sozialen Vergleichspro­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 3, 1993