Parameter des Konstruktes „soziale Beziehungen“
Einen Hinweis auf die komplexe Struktur des Konstruktes„soziale Beziehungen“ stellen die zahlreichen diesbezüglichen Taxonomievorschläge dar(für einen Überblick vgl. z.B. Baumann& Laireiter 1991; Baumann et al. 1987; Sommer& Fydrich 1991; Schwarzer& Lep
pin 1989).
Es werden in diesem Artikel folgende
Aspekte bei der Betrachtung sozialer Be
ziehungen unterschieden:
— Soziale Integration Vs. soziale Isolation: Verfügt die untersuchte Person überhaupt über soziale Beziehungen?
— Merkmale der Netzwerkstruktur: alle Parameter, die sich auf das gesamte Netzwerk beziehen. Dazu gehören die Größe des Netzwerks(Anzahl der Personen, die zum Netzwerk gehören), die Erreichbarkeit(Anzahl der Zwischenpersonen, die notwendig sind, um eine spezifizierte andere Einheit zu erreichen) sowie die Dichte, Zentralität, Status und Hierarchie. In diesem Zusammenhang kann außerdem ein totales von einem Partialnetzwerk unterschieden werden. Das totale Netzwerk umfaßt alle denkbaren sozialen Beziehungen, die zwischen Personen einer gegebenen Untersuchungseinheit bestehen können(z.B. alle Schüler einer Schulklasse). Das Partialnetzwerk umfaßt nur eine bestimmte Art von sozialen Beziehungen, die innerhalb des totalen Netzwerks existieren. meist wird im Rahmen psychologischer Analysen von einer Person als Referenzpunkt ausgegangen, d. h., es wird das Ego- oder personenzentrierte Netzwerk erfaßt.
Interaktionale Merkmale: Parameter, die primär eine Interaktion zwischen 2 Personen beschreiben. Dazu gehören
— Strukturelle Interaktionsmerkmale wie Uniplexität Vs. Multiplexität(ist eine Bezugsperson für eine oder mehrere(Unterstützungs-) Funktionen zuständig?), Reziprozität(ein- oder Wechselseitigkeit einer Beziehung?), Homogenität(Übereinstimmung der
Katrin Georgieff und Gisela Friedrich+ Soziale Beziehungen Späterblindeter
Bezugspersonen mit dem Netzwerkinhaber hinsichtlich Normen, Werten, Bildungsgrad, Einkommen, Religion usw.) sowie Rollenbeziehungen, Stabilität, Frequenz und Intensität. — Inhaltsbezogene Interaktionsmerkmale(oder funktionale Merkmale) wie soziale Unterstützung, soziale Anforderungen und Konflikte, soziale Regulation und Kontrolle, Identitätsbildung Bewertungsaspekt: Dazu zählen vor allem die Zufriedenheit mit der erhaltenen Unterstützung, die Adäquatheit der gebotenen Unterstützung und die Wichtigkeit. Für den Begriff des sozialen Netzwerks — den strukturellen Aspekt sozialer Beziehungen— gibt es innerhalb der psychologischen Literatur zahlreiche Definitionen. Baumann& Laireiter(1991, 5) schreiben beispielsweise:„Unter dem Begriff soziales Netzwerk der Person X werden diejenigen Personen subsumiert, zu denen X jeweils eine interpersonelle Beziehung besitzt. Dies sind Interaktionsformen, die durch vergangene Interaktionen beeinflußt sind und eine Zukunft haben. Ein soziales Netzwerk stellt damit jenen Teil des sozialen Lebensraumes einer Person dar, der durch seine interpersonelle Beziehungen gestaltet ist; weitere Aspekte des sozialen Lebensraumes sind die Teilhabe an Organisationen(zum Beispiel Vereinen, Kirche), an sozialen Aktivitäten(zum Beispiel Besuch von Kino) und sozialen Werten. Diese werden jedoch primär durch den Begriff der sozialen Integration abgebildet.“ Soziale Netzwerke umfassen meistens existierende, lebende Personen mit gegenseitigem, positivem und mehrmaligem Kontakt(Richter& Schumacher 1993). Die Merkmale der Netzwerkstruktur und strukturelle Interaktionsmerkmale können als charakteristische Netzwerkmerkmale gelten. Bei der Betrachtung des inhaltlich-funktionalen Aspektes sozialer Beziehungen kann die soziale Unterstützung als die wichtigste und in der Literatur am häufigsten beschriebene Funktion sozialer Netzwerke angesehen werden. Für dieses Konstrukt gibt es eine Vielzahl ver
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 3, 1993
schiedener Definitionsvorschläge(für einen Überblick vgl. z.B. Baumann& Laireiter 1991; Schwarzer& Leppin 1989; Sommer& Fydrich 1988). Cobb (1976) definiert beispielsweise soziale Unterstützung als Information,„die das Individuum davon überzeugt, a) umsorgt und geliebt und b) geschätzt zu werden sowie c) zu einem Netzwerk von Kommunikation und gegenseitiger Verpflichtung zu gehören.“ soziale Unterstützung wird als mehrdimensionales Konstrukt aufgefaßt. Wichtige Dimensionen sind: — Inhalt bzw. Typen von sozialer Unterstützung: Im Allgemeinen wird diesbezüglich unterschieden zwischen — psychologischer Unterstützung: Transaktionen, die primär auf die Veränderung intrapsychischer Parameter abzielen. 2 nicht ganz eindeutig voneinander trennbare Teilaspekte sind zu unterscheiden: der Aspekt der emotionalen Unterstützung(z.B. emotionale Zuwendung, moralischer Beistand, Gefühl der Nähe und Geborgenheit, Verständnis, Empathie) und der Kognitive Aspekt(z.B. soziales Feedback, Bestätigung, Lob) — instrumenteller Unterstützung: Primär ist die Veränderung von Umweltgegebenheiten angezielt. Zu unterscheiden sind 2 Aspekte: materielle Unterstützung(Geld, Sachgüter, Dienstleistungen) und informationsbezogene Unterstützung(Ratschläge, Hinweise) Quellen sozialer Unterstützung: sind Personen oder Personengruppen, die soziale Unterstützung geben oder ermöglichen können; dazu gehören Mitglieder des persönlichen Netzwerks (zum Beispiel Partner, Freunde, Nachbarn), gelegentlich werden auch bezahlte professionelle und institutionelle Helfer konzeptionell mit einbezogen. Anlässe für soziale Unterstützung: Soziale Unterstützung kann im Alltag oder bei Belastungen und Krisen geleistet werden. Disposition: Diese Dimension bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen subjektiv wahrgenommener und tatsächlich erhaltener Unterstützung. Meist wird soziale Unterstützung als
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