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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Sichtweise erfolgen(vgl. Kleber 1985), um das Modell der Realität in weitge­hend angemessener Weise zu nähern. In Ergänzung eines solchen komplexen Modells werden die entwickelten gestalt­theoretischen Termini zugrundegelegt. Schulisches Lernen bildet eine beson­dere Gruppe von Situationen, was kon­zentratives Tätigsein anbelangt vor al­len Dingen sind diese Situationen da­durch gekennzeichnet, daß Objekte und Ziele von außen vorgegeben werden. Damit rückt auch ein besonderer Faktor in den Vordergrund: jener der Folgsam­keit, der Anpassungsbereitschaft an eine solche Vorgabe. Diese ist neben indivi­duellen Voraussetzungen des Lerners auch von dessen Beziehung zum Lehrer abhängig Konzentration ist in sol­chen sozialen Lernsituationen also in erheblichem Maße ein Beziehungsphä­nomen. Es bestehen drei Kontaktsysteme (der Vereinfachung halber werden hier einmal Mitschüler herausgenommen, die das dargestellte System natnrlich auch wieder beeinflussen):

Kontakt 1: Schüler<> Lern-Objekt

(-gegenstand)

Kontakt 2: Schüler<> Lehrer

Kontakt 3: Lehrer<> Lern-Objekt(in­

dem der Schüler diesen registriert und

dessen Qualität wiederum Kontakt 1 be­

einflußt) Alle drei Kontaktbeziehungen stehen wiederum in systemischer Abhängigkeit zueinander, da die beiden beteiligten In­dividuen beobachten und reagieren. Zwei Beispiele: Die Qualität des Kon­taktes 1 kann Kontakt 2 beeinflussen, etwa, wenn der geschichtsbegeisterte Lehrer negativ darauf reagiert, daß ein Schüler wenig Interesse für die franzö­sische Revolution aufbringt. Im gleichen Fall beeinflußt auch die Qualität des Kontaktes 3 den Kontakt 2. Merkt ein Schüler, daß sein von ihm abgelehnter Lehrer sich für die(zunächst vom Schü­ler neutral bewertete) französische Re­volution begeistert, so lehnt er womög­lich diesen Lerninhalt ab(Kontakte 3 und 2 beeinflussen Kontakt 1). Abbildung 1 umreißt das komplexe Be­dingungsgefüge der Aufmerksamkeits­Situation bei schulischem Lernen, wo­bei Abbildung 2(Fenster A) noch ein­mal die Person des Lerners hervorhebt.

Eduard W. Kleber und Roland A. Stein* Konzentrationsprobleme Fehldiagnose oder Zeitkrankheit

P: Handlungspartner Lehrer; I: Individuum Lerner

bezeichnet Rückwirkungen

(Rückkoppelungen)

1: Anziehung 2: Zuwendung 3: Kontakt(wenn 1 und 2 anhalten) 4: Sympathie/ Antipathie 5: Auf­forderungen bzw. Interesse wecken 6: Kontakt i.d. konkreten Lernsituation 7: Zuwendung(organisator. Muß) 8: Anziehung(oder nicht) 9: Interesse und Engagement(wenn neben 7 auch 8 eintritt)

Abb. 1: Bedingungsgefüge der Aufmerksamkeits-Situation bei schulischem Lernen

Die Darstellung beschränkt sich auf die Situation, nicht jedoch auf die Genese möglicher trait-Aspekte von Konzentra­tion(s.0.).

Für viele dieser Aspekte muß zwischen überdauernden und aktuellen Momen­ten differenziert werden. Einige der an­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993

geführten Begriffe sind nicht vollstän­dig eindeutig einem der Bereich zuzu­ordnen(etwa Motivation oder Interes­se, die auch kognitive Momente aufwei­sen). Die hier vollzogene Auflösung ist als Modell hilfreich, jedoch künstlich: Bei jedem Kontakt gibt es eine grund­

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