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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Eduard W. Kleber und Roland A. Stein* Konzentrationsprobleme Fehldiagnose oder Zeitkrankheit

Fenster A Bereiche

kognitive Strukturen für Sozial­verhalten

Intelligenz

Wahrnehmung

kognitiver

vorhandene kognitive

kenntnisse, Strategien)

Arbeits­verhalten

Techniken

Ernährung

Nervensystem (Funktion)

sozialer

Interesse

aktuelle Stimmung (z.B. Angst, Aggres­sion, Nervosität)

affektiver

Selbstbewußtsein

Zuneigung

Strukturen(v.a. Wissen, Vor­

exekutiver (motorischer)

Arbeitsverhalten

Gewohnheiten

vitaler

hormonelle Steuerung

Anpassungs­bereitschaft

Zuwendung/ Abwendung

Motivation

Haltungen

Vital­energie

Abb. 2(Fenster A): Persönlichkeitsbereiche, die sich auf konzentrative Tätigkeit auswirken

sätzliche Einheit von Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Gefühlsfunktionen (Perls, Hefferline& Goodman 1981, 208).

Neben der Folgsamkeit sind noch die Faktoren Belastbarkeit und Motivation (Interesse) als generell besonders maß­geblich für das Ge- oder Mißlingen schu­lischer Konzentrationssituationen zu nennen.

Konzentrationsschwächen Fehldiagnosen und Zeitphänomene

Mangelhafte Konzentrationsfähigkeit für schulisches Lernen wird häufig als ab­hängig von der Schülerperson gesehen und damit generalisiert als Zuschrei­bung einer allgemeinenKonzentra­

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tionsschwäche. Wie dargestellt wird die schulische Lernsituation jedoch hin­sichtlich ihrer Bedingungsfaktoren und Einflüsse von vielen Faktoren bestimmt. Die Diagnosen von Konzentrations­schwäche werden häufig vorschnell ein­gesetzt und entsprechen dem menschli­chen Bedürfnis nach Vereinfachung in einer komplexen, oft kognitiv kaum er­faßbaren Welt.

Um Konzentration objektiviert und quantitativ zu bestimmen, werden i.d.R. einschlägige Testverfahren zur Hilfe her­angezogen. Als Beispiele seien hier der Konzentrations-Verlaufs-Test(KVT, Abels 1954) oder die Differentiellen Lei­stungstests(Kleber u.a. 1974/75) ge­nannt. Wie bereits bei Kleber(1991) ausgeführt, erlauben diese Tests bei ho­hen Testleistungen durchaus Aussagen hinsichtlich der konzentrativen Fähig­

keit, nicht jedoch bei niedrigen. Für die­

sen Fall kommen zahlreiche Erklärun­

gen in Frage: Liegt etwa mangelnde Mo­tivation vor; reicht der Aufforderungs­

Charakter des Tests nicht aus, um den

Getesteten anzusprechen oder handelt

es sich tatsächlich um eine generalisier­

te Konzentrationsschwäche? Hier be­steht ein Problem, das im Grunde alle

Testverfahren betrifft. Bei niedrigen

Testleistungen kann keine klare Aussa­

ge erfolgen, und die Analyse der Auf­

merksamkeitssituation erweist sich als unverzichtbar.

Soweit keine organischen Defekte oder

ernsthafte Entwicklungsdefizite vorlie­

gen, wird man bei einer sorgfältigen

Analyse der Aufmerksamkeitssituation

sehr häufig Zielkonflikte und Motiva­

tionsprobleme zutage fördern.

Inwiefern Reizüberflutung und Medien­

angebote für mangelnde Konzentration

junger Menschen verantwortlich sind, läßt sich bislang nicht genau klären. Eine

Flut von Reizen kann sowohl zu völli­

gem Abschalten führen als auch ganz

gegenteilig zum Training der Fähigkeit, trotz vielfältiger Störreize seine Auf­merksamkeit zu fokussieren. Wenn sich

Kinder und Jugendliche von Videos

berieseln lassen, muß dies nicht not­

wendig einen Verlust von Konzentra­

tionsfähigkeit in anderen Situationen nach sich ziehen. Es ist allerdings so, daß viele Schüler ein geringes Sinn-Ver­ständnis für schulische Inhalte mitbrin­gen und damit auch wenig Neigung, sich über längere Zeit den in der Schule prä­sentierten Aufgaben oder Dingen zuzu­wenden während sie auf der anderen

Seite jedoch in außerschulischen Situa­

tionen zu hoher Konzentration fähig

sind. Indem sie physisch erscheinen, je­doch nicht tatsächlich an schulischem

Lernen teilnehmen, gehen sie aus dem

Felde siewandern aus in andere

Gebiete ihres Interesses. Dieser Vorgang

ist allerdings bedenklich er kann un­

terschiedliche Gründe haben:

Diese Schüler nehmen keine ausrei­chende Beziehung wahr zwischen schulischen Inhalten und der Welt, in der sie leben. Sie wandern innerlich ab in das, was für sie Realität ist.

Den Schülern ist der Zusammenhang

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993