Eltern. Je ein Leitfaden für das entschei
dungsorientierte Gespräch(Westhoff&
Kluck 1991, 95-113) mit dem Kind oder
Jugendlichen bzw. mit seinen Eltern fin
den sich bei Westhoff(1991, 139-142
bzw. 142-145). Beide Leitfäden sind
gleich aufgebaut und sind in die folgenden elf Bereiche gegliedert.
1. Beschreibung der momentanen Situation: Der Leitfaden beginnt hiermit, da es in der Regel am günstigsten ist, wenn man Probanden zunächst ihre Sicht einer Problemsituation darstellen läßt.
2. Bisheriger Verlauf der Schwierigkeiten: Häufig schildern Probanden dabei spontan, wie sich die beklagten Schwierigkeiten entwickelt haben. Für den Fall, daß sie das nicht tun, ist dieser Punkt im Leitfaden ausgearbeitet.
3. Auftreten der Konzentrationsschwierigkeiten: Durch einen systematischen Vergleich aller relevanten Situationen kann man herausfinden, ob die Konzentrationsschwierigkeiten generell oder nur in bestimmten Arten von Situationen auftreten.
Die Interviewpartner berichten in die
sem ersten Abschnitt sehr viele der In
formationen, die im späteren Verlauf des Interviews vorgesehen sind. Wir lassen dies zu, da wir uns aufgrund unseres
Leitfadens darauf gut einstellen können.
Hinreichend konkret geschilderte Ver
haltensweisen erfragen wir dann später
nicht noch einmal, sonder wir beziehen uns auf diese Schilderungen und erfragen nur noch fehlende Ausschnitte.
Entsprechend den obengenannten Psy
chologischen Fragen(= Hypothesen)
nennen die Überschriften der folgenden sechs Abschnitte die zu explorierenden
Bedingungen für Konzentrationsschwie
rigkeiten:
4. körperliche Bedingungen;
5. motivationale Bedingungen;
6. äußere Bedingungen;
7. intellektuelle Unter- oder Überforderung;
. soziale Bedingungen;
9. emotionale Bedingungen.
10. Bisherige Versuche, die Schwierig
keiten zu bewältigen: Eine wichtige Grundlage für die Beratung und
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Karl Westhoff+ Diagnostik und Intervention bei Konzentrationsstörungen
eventuelle Therapie sind die bisherigen Versuche, die eigenen Probleme zu lösen.
11. Zusammenhängender Überblick: Viele isoliert dargestellte Vorgänge können von ihrer zeitlichen Dauer und ihrer Bedeutung her im Alltag eines Menschen zutreffender beurteilt werden, wenn man sich typische längere Ausschnitte aus dem Leben schildern läßt wie z.B. den letzten gewöhnlichen Schultag oder das letzte Wochenende, das so war, wie Wochenenden meist für das Kind verlaufen.
Mit einer solchen expliziten Planung eines Gesprächs ist zugleich auch die Auswertung vorbereitet. Die Hypothesen bilden die Grundstruktur eines möglichen Kategoriensystems. Der Leitfaden liefert die notwendige differenzierte Struktur. Der Leitfaden für das entscheidungsorientierte Gespräch ermöglicht ferner systematische Verhaltensbeobachtungen und hilft, die sich im diagnostischen Prozeß mehr oder weniger zufällig ergebenden Verhaltensbeobachtungen einzuordnen und für die diagnostische Urteilsbildung kontrolliert zu nutzen.
Wenn wir alle Instrumente für die dia
gnostische Untersuchung unter Berück
sichtigung von Kosten und Nutzen zusammengetragen bzw. erstellt haben, legen wir fest, in welcher Reihenfolge die einzelnen Untersuchungsschritte erfolgen sollen. Wenn es möglich ist, planen wir eine sequentielle Strategie. Nach
Cronbach& Gleser(1965) wird dabei
nur dann eine weitere Quelle diagno
stischer Informationen herangezogen, wenn dies für die Beantwortung der
Fragestellung mehr Nutzen als Kosten
verspricht.
Eine Reihe wichtiger Informationen läßt
sich sehr leicht standardisiert mit dem
Diagnostischen Elternfragebogen(DEF)
(Dehmelt, Kuhnert& Zinn 1975) vor
der eigentlichen psychologischen Un
tersuchung erheben. Damit spart man
Zeit beim persönlichen Kontakt und hat
für das weitere Vorgehen wichtige In
formationen. Weiter spart man Zeit, wenn man sich Kopien der Zeugnisse und Beurteilungen des Kindes vor der
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993
eigentlichen psychologischen Untersuchung schicken läßt, damit man im entscheidungsorientierten Gespräch hierzu weiterführende Fragen stellen kann. Auch andere Informationsquellen aus der Tabelle 1 wird man sequentiell nutzen: Nur wenn Hinweise auf Schwierigkeiten beim Rechnen, Rechtschreiben oder Lesen gegeben sind, wird man in einem weiteren Untersuchungsschritt einen passenden Rechentest oder Rechtschreibtest einsetzen oder mit dem Kind eine Leseprobe machen.
Bei der Vorbereitung einer psychologisch-diagnostischen Untersuchung hat man immer gewisse Vorinformationen, aufgrund deren man sich vorstellt, wie sich der Proband verhalten wird. Solche vorgestellten Verhaltensweisen bewertet jeder als mehr oder weniger angenehm oder unangenehm, als sympathisch oder unsympathisch. Diese Bewertungen unserer Erwartungen an die Probanden und hier z.B. seine Eltern oder seine Lehrerinnen und Lehrer nehmen wir zum Anlaß, darüber nachzudenken, was wir an ihnen anziehend und was wir abstoßend finden. Dies hängt immer mit unseren persönlichen Zielen und Wertvorstellungen zusammen. Erst wenn uns dies jeweils bewußt ist, können wir mit den Gefühlen umgehen, die unsere Erwartungen begleiten. Wir achten dabei gleichermaßen auf positiv wie negativ bewertete Vorstellungen, denn bleibt eine Bewertungsrichtung unreflektiert, kann sie die Einstellung zu den Untersuchungsteilnehmern verzerren.
Wenn Diagnostiker möglichst objektiv diagnostizieren wollen, so müssen sie die Gefühle, die die zu untersuchenden Personen bei ihnen auslösen, wahrnehmen und angemessen bearbeiten. Eine gute psychologisch-diagnostische Untersuchung braucht also auch eine emotionale Vorbereitung auf Seiten des Diagnostikers(vgl. Westhoff& Kluck 1991, 110f.).
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