Karl Westhoff+ Diagnostik und Intervention bei Konzentrationsstörungen
Intervention bei Konzentrationsstörungen
Zur Intervention bei Konzentrationsstörungen ohne psychologische Diagnostik
Erst wenn die Bedingungen für ein zu änderndes Verhalten diagnostiziert sind, kann man versuchen, sie systematisch und unter Beachtung von Kosten und Nutzen zu ändern. Dabei ist es hilfreich, wenn man berücksichtigt, was sich ändern läßt und was nicht änderbar ist. Diese Überlegung mag trivial erscheinen, doch wird gerade bei Konzentrationsstörungen laufend gegen sie gehandelt.
Durch den systematischen Vergleich aller relevanten Situationen werden in der Diagnostik die Bedingungen herausgearbeitet, unter denen„Konzentrationsstörungen“ zu beobachten sind. Sind diese Störungen nicht in allen Klassen von Situationen zu beobachten, dann kann es sich nicht um eine Störung der Konzentrationsfähigkeit handeln, denn die Konzentrationsfähigkeit ist ein Persönlichkeitsmerkmal, dessen Störung sich in allen möglichen Situationen bemerkbar machen müßte.
Ein Kind, das sich also z.B. nur in zwei Fächern nicht gut konzentrieren kann, hat also mit Sicherheit keine Störung der Konzentrationsfähigkeit. Es müssen andere Bedingungen sein, die es gerade in diesen beiden Fächern dazu bringen, sich weniger gut zu konzentrieren. Durch den systematischen Vergleich dieser beiden Fächer mit anderen und des Unterrichts in diesen Fächern und in anderen ist zu erkennen, was die Schwierigkeiten des Kindes, konzentriert zu arbeiten, bedingt.
Westhoff et al.(1990, 9ff.) geben Empfehlungen bei Konzentrationsstörungen, die sie danach unterteilen, ob diese in bestimmten oder in allen Unterrichtsstunden auftreten. Ziel ist es dabei, Lehrpersonen und Eltern auf die verschiedenen Bedingungen für das unerwünschte Verhalten hinzuweisen, damit sie, was in der Praxis zunächst ein sinnvolles Vorgehen ist, zuerst Ohne psychologi
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sche Diagnostik möglichst angemessen auf sie reagieren können.
Man kann einem Kind mit Konzentrationsproblemen nur dann helfen, wenn man genau weiß, was es in welchen Situationen und unter welchen Bedingungen nicht gut kann. Das Etikett „Konzentrationsstörung“ suggeriert vielen Betroffenen fälschlich, nun müsse man eben ein„Konzentrationstraining“ einsetzen. Stimmt diese„Diagnose“ nicht, dann versäumt man, dem Kind wirklich zu helfen, im Gegenteil, man kann ihm sogar schaden.
Schwierigkeiten in der Rechtschreibung z.B. können in vielen Fächern die Leistungen beeinträchtigen. Treten sie zusammen mit anderen unerwünschten Verhaltensweisen auf, dann wird häufig angenommen, das Kind habe Konzentrationsprobleme. Unsicherheiten in der Rechtschreibung kann man aber nur durch einen systematischen Rechtschreibunterricht und die notwendigen Übungen beheben und nicht durch irgendwelche, wie auch immer geartete, Konzentrationstrainings.
Zur Übbarkeit der Konzentrationsfähigkeit
Die Theorie zum Tempo in Konzentrationstests(Westhoff 1985) sagt vorher, daß die Geübtheit in Konzentrationsaufgaben mitbestimmt, wie schnell und zugleich möglichst fehlerfrei Probanden solche Aufgaben bearbeiten können. Eine ganze Reihe von empirischen Ergebnissen stützt diese Vorhersage (Westhoff 1993).
Die für die Intervention bei Konzentrationsstörungen entscheidende Frage ist allerdings nicht, ob man in dem, was man übt, schneller werden kann, sondern vielmehr, ob sich das durch Übung erhöhte Tempo auch bei einem anderen Aufgabentyp zeigt, ob also ein Übungstransfer zu beobachten ist.
Da das Tempo konzentrierten Arbeitens und der Anteil an Konzentrationsfehlern zwei relativ unabhängige Aspekte des Persönlichkeitsmerkmals Konzentration sind, kann man sich auch fragen, ob Übung den Anteil an Konzentrations
fehlern bei Aufgaben desselben und eines anderen Typs verringert.
Folgende der von Westhoff(1993) dargestellten Ergebnisse sind für die Intervention bei Konzentrationsstörungen wichtig:
Durch wiederholte Durchführung derselben Tests 1äßt sich das Tempo konzentrierten Arbeitens beträchtlich steigern, bis es sich asymptotisch dem Übungsplateau nähert. Die Unterschiede zwischen den Personen hinsichtlich des Tempos nehmen dabei zu. Der Übungsgewinn nimmt allmählich wieder ab, wenn keine weitere Wiederholung erfolgt. Es gibt keinen Transfer der Temposteigerung durch Übung auf Tests bzw. Aufgaben eines anderen Typs. Durch wiederholte Bearbeitung verringert sich der Anteil an Konzentrationsfehlern bei Tests mit dem gleichen Aufgabentyp, nicht jedoch bei Tests mit einem anderen Typ von Aufgaben. Es gibt also auch hinsichtlich des Anteils an Konzentrationsfehlern keinen generellen Transfer der Übung von einem Aufgabentyp auf den andern.
Für beide voneinander relativ unabhängigen Aspekte des Persönlichkeitsmerkmals Konzentrationsfähigkeit, Tempo und Fehleranteil, kann man also festhalten, daß sie sich durch Übung im Sinne der Wiederholung bestimmter Aufgaben nicht verbessern lassen. Aus diesem Befund folgt, daß alle KonzentrationsTrainingsprogramme oder Teile von solchen, die bestimmte Aufgaben wiederholen lassen, durch diese Wiederholung nicht die Konzentrationsfähigkeit steigern können.
Die wiederholte Durchführung einfacher Aufgaben steigert nicht die Konzentrationsfähigkeit, sie kostet aber Zeit und psychischen Aufwand bei den am„Training“ beteiligten Personen. Sie bringen damit keinen Nutzen und verursachen nur Kosten. Ferner ist zu beachten, daß solche wenig motivierenden Übungen nicht nur die Kinder unnötigerweise belasten, sondern sie gehen oft auch zu Lasten zumindest des momentanen Verhältnisses zwischen dem Kind und der Person, die die Übungen leitet. Solche Trainingsprogramme, die das angegebene Ziel nicht erreichen helfen, verur
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993