Kinderpsychiatrische Erfahrungen mit der Behandlung von Störungen der Konzentrationsfähigkeit und des Sozialverhaltens
Von Wolfram Kinze und Harald Barchmann
In einem Überblick auf der Grundlage kinderpsychiatrischer Erfahrungen wird ein integratives Modell der Behandlung von Kindern mit Störungen im Leistungsund Sozialverhalten dargestellt. Es enthält unterschiedliche Verfahren: verhaltenstherapeutische Trainingsprogramme zur Verbesserung der Konzentrationsleistungen sowie zur Bewältigung sozialer Konflikte, Entspannungsübungen, Pharmakotherapie mit Stimulantien bzw. Neuroleptika.
In dieses Programm werden die Kinder und ihre Bezugspersnen einbezogen, wobei sich Art und Zeitraum der therapeutischen Kombinationen an den Bedingungen des Einzelfalles ausrichten. Nachuntersuchungen belegen, daß sich Erfolge erreichen lassen, wenn auch keineswegs immer eine Normalisierung.
An integrative model of treatment of children with disorders in concentration ability and social behaviour is given in clinical review. This model contents various therapeutic methods: programs to improve the concentration ability and the management of social conflicts on the base of behaviour therapy; relaxation training; treatment with drugs(stimulants/neuroleptics). Children with their parents and teachers are included in these therapeutic programs. The combination of various components is oriented in individual conditions. Follow-up examinations demonstrate the effects of this program, but not the normalisation in all causes.
Vorbemerkungen
Werden Kinder mit Einordnungs- oder Leistungsschwierigkeiten zur kinderpsychiatrisch-psychologischen Untersuchung vorgestellt, so sind diesem Entschluß erzieherische Bemühungen unterschiedlicher Art und Intensität vorausgegangen, die eines gemeinsam hatten: Sie führten nicht zum gewünschten Erfolg. Nunmehr wird— oft in einer schwierigen Mischung aus Resignation und unrealistischen Erwartungen— von einer„Behandlung“ die entscheidende Besserung erhofft, zugleich aber oft auch mehr oder weniger unbewußt eine Entlastung angestrebt durch Verlagerung des Problems vom erzieherischen in den medizinisch-psychologischen Verantwortungsbereich.
Um zu verhindern, daß sich die Interaktionen auf gegenseitige Forderungen
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und Schuldzuweisungen beschränken, ist es notwendig, das komplizierte Bedingungsgefüge der jeweiligen Schwierigkeiten diagnostisch aufzuhellen und die therapeutischen Möglichkeiten im Einzelfall offenzulegen. Dazu ist neben Sachkenntnis auch Geduld erforderlich, denn viele der tieferliegenden Zusammenhänge erschließen sich erst im Laufe der therapeutischen Beziehung, sofern es gelingt, das Kind, seine Eltern und Lehrer und die Therapeuten zu tragfähigem Zusammenwirken zu verbinden und dann auch schmerzliche Wahrheiten über Leistungsbegrenzungen des Kindes und innerfamiliäre bzw. schulische Beziehungsstörungen bearbeiten zu können.
Bei aller Komplexität der Symptomatik und ihrer Entstehungsbedingungen ist es aber für die praktische Behandlung unabdingbar,„Zielsyndrome‘“ abzugren
zen, die einen definierten therapeutischen Zugang ermöglichen. Hierbei hat sich eine Grobgliederung in Störungen des Leistungs- und des Sozialverhaltens der Kinder bewährt, auch wenn sich im therapeutischen Prozeß vielerlei Überschneidungen ergeben.
Behandlung von Konzentrationsstörungen
Wenn Kinder trotz normaler Intelligenz den schulischen Anforderungen nur unzureichend genügen, spielen zumeist „Konzentrationsstörungen“ als ursächliche Faktoren eine wesentliche Rolle. Lehrer und Eltern beklagen oberflächliches und überhastetes Arbeiten, mangelndes Zuhören, Trödeln, leichte Ablenkbarkeit, Flüchtigkeitsfehler, geringe Zielstrebigkeit und rasches Erschöpftsein der Kinder.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993