Wolfram Kinze und Harald Barchmann+ Kinderpsychiatrische Erfahrungen mit der Behandlung von Störungen der Konzentrationsfähigkeit
schließlich möchte man Schulaufgaben möglichst rasch hinter sich bringen. Ein ergänzendes Therapieziel liegt darin, den Kindern allgemein ein„erfolgsmotiviertes“ Leistungsverhalten zu eröffnen. Sie sollten sich ihrer eigenen Kompetenzen sicher sein, sollten Fehler und Mißerfolge nicht als entmutigende persönliche Kränkungen erleben, sondern als mögliche, nicht immer zu vermeidende Schwierigkeiten, die auszugleichen und letztlich als Lernmöglichkeiten nutzbar zu machen sind. Hierdurch kann zum notwendigen realitätsgerechten Selbstbild im Leistungsbereich beigetragen werden, das es dem Kind zunehmend besser ermöglicht, sich einerseits nicht in unkritischer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten mit überhöhten Erwartungen zu konfrontieren und sich andererseits nicht in Unterschätzung seiner verfügbaren Leistungsmöglichkeiten vorzeitig geschlagen zu geben.
In diesen Prozeß des Entwickelns und des Erfahrens der individuellen Fähigkeiten des Kindes— wobei angemessene Psychodiagnostik der„schwierigen Kinder“ wesentliche Hilfen geben kann— sind die Bezugspersonen differenziert einzubeziehen, um vom Kind selbst nicht beeinflußbare Über-, aber auch Unterforderungen zu vermeiden. Dabei verhilft der enge Kontakt des Therapeuten mit dem Kind während der Bearbeitung der Übungsaufgaben zu einem recht umfassenden Einblick in dessen Leistungsbesonderheiten, so daß diese auch den Eltern und Lehrern besser verdeutlicht werden können und eine individuelle pädagogische Führung möglich wird.
In umfangreichen klinischen Verlaufsuntersuchungen(Kinze 1986; Barchmann 1988) ließ sich nachweisen, daß die Qualität von Konzentrationsleistungen nach einem unter stationären kinderpsychiatrischen Bedingungen durchgeführten Training mit diesem Programm anstieg, allerdings etwas zu Lasten der Quantität. Zugleich veränderten sich die Kinder in ihrem Gesamtverhalten— nach dem Urteil ihrer Lehrer und Erzieher wurden sie kritischer, selbstbewußter, aber nicht weniger hy
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perkinetisch. In katamnestischen Untersuchungen 1 Jahr nach Abschluß der Behandlung erwiesen sich diese Ergebnisse als recht stabil(im Vergleich zur unbehandelten Kontrollgruppe), wobei die Tempoleistungen bei gleichgebliebener Qualitätsverbesserung sogar etwas zugenommen hatten.
Mit vergleichbaren Ergebnissen ist das KTP auch in ambulanter kinderpsychiatrischer Gruppenbehandlung durchzuführen(Ettrich& Reschke 1988).
In entsprechend modifizierter Aufgabengestaltung ist ein solches verhaltenstherapeutisch ausgerichtetes Konzentrations-Trainings-Programm auch bei leistungsauffälligen Vorschulkindern einsetzbar(Grünbaum 1988). Die Kinder arbeiten anschließend sorgfältiger, wenn auch etwas langsamer, und sie machen weniger Fehler.
Beim Einsatz des KTP in einem normalen Kindergarten ließ sich ebenfalls eine Verbesserung der Leistungsgüte bei Temporeduktion erreichen. Dabei waren die Konzentrationsleistungen der Jungen von vornherein schlechter als die der Mädchen, ließen sich zwar relativ stärker verbessern, blieben aber auch nach dem Training hinter denen der(in gleicher Weise trainierten) Mädchen zurück. Insgesamt profitierten Kinder mit nur mäßiger Intelligenz von der Übungsbehandlung mehr als Kinder mit überdurchschnittlichem IQ(und zumeist damit assoziierten überdurchschnittlichen Konzentrationswerten)(May u.a. 1991). Diese Ergebnissen entsprechen den Erfahrungen mit den kinderpsychiatrischen Patienten.
Werden leistungs- und verhaltensauffälligen Vorschulkinder mit einem kognitiv orientierten Trainingsprogramm behandelt, so finden sich bei Effektivitätsüberprüfungen nicht nur Verbesserungen der kognitiven Leistungen im engeren Sinne, sondern auch der Konzentrationsleistungen. Dies legt den Schluß nahe, daß bei derartigen Übungsprogrammen Leistungsvorbedingungen verbessert werden, die als strukturierende Stützfunktionen der Intelligenz wirken. Bei den letztlich nur unscharf abgrenzbaren Teilfunktionen der Intelligenz und ihren Vorbedingungen ist es
auch eine eher akademische Fragestellung, welche Bereiche dieser komplexen psychischen Funktionen im einzelnen durch solche therapeutische Interventionen beeinflußt werden. Für die Praxis der Behandlung leistungsschwieriger Kinder ist es wichtiger, psychometrisch objektivierbare Leistungsverbesserungen in der angestrebten Richtung erreichen zu können.
Dabei liegen die damit erreichbaren Zuwachsraten bei 1 bis 2 C-Werten, also näherungsweise bei 10 bis 20%. Wenn demnach ein Kind mit sehr schwachen Voraussetzungen beübt wird, läßt sich auch trotz intensiver Bemühungen zumeist keine„Normalisierung“ erzielen. Diese nüchtern-sachliche Abschätzung des Therapieerfolges ist wichtig, um überhöhten Erwartungen(vor allem bei den Bezugspersonen des Kindes) vorzubeugen und zugleich zu verhindern, daß erreichbare Teilerfolge nur geringschätzig bewertet werden. Gerade aber die gezielte Bestätigung eingetretener Teilerfolge ist für die Stabilisierung von Selbstvertrauen und Leistungsmotivation des Kindes von großer Bedeutung.
Training von Sozialverhalten
Ein leistungsschwaches, aber gutwilliges und sozial angepaßtes Kind bringt für Eltern und Lehrer zumeist Probleme mit sich, die sie selbst lösen können. Stehen hingegen hyperkinetisch-impulsive und aggressive Verhaltensweisen im Vordergrund, häufig verbunden mit Leistungsschwächen, werden diagnostische und therapeutische Hilfen in Anspruch genommen. Im Rahmen der eingeleiteten kinderpsychiatrisch-psychologischen Untersuchungen werden immer wieder die engen Verflechtungen von Leistungs- und Sozialverhalten deutlich. Konstitutionelle Voraussetzungen(auch in Form von Enzephalopathie— resp. hyperkinetischem Syndrom mit globalen Leistungsminderungen, Teilleistungsschwächen und Aufmerksamkeitsstörungen) sowie situative Bedingungen (Familienstruktur, schulische Lehr- und Lernmöglichkeiten, soziales Umfeld) bilden mit dem individuellen Entwick
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993