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Wolfram Kinze und Harald Barchmann*
lungsstand des Kindes ein„dynamisches Netzwerk“, das sich diagnostisch nur punktuell aufhellen 1äßt und therapeutischen Interventionen nur in Teilaspekten zugänglich ist. Dabei zeigen die klinischen Erfahrungen, daß therapeutische Bemühungen um Stabilisierung im Leistungsbereich auch immer Auswirkungen auf das Verhalten haben und umgekehrt angepaßteres Sozialverhalten auch schulische Leistungsverbesserungen mit sich bringt.
Das von Petermann& Petermann (1989) entwickelte Trainingsprogramm für aggressive Kinder ist für die ambulante Behandlung ausgelegt, wohl auch für„leichtere Fälle‘. Im kinderpsychjatrisch-stationären Bereich ergeben sich besondere Bedingungen, die bei der Therapie berücksichtigt werden müssen: Stationär behandlungsbedürftige Kinder sind nicht nur in der Vielfalt, sondern auch in der Intensität ihrer Störungen ausgeprägter betroffen als ambulant zu behandelnde Kinder gleicher diagnostischer Zuordnungen. Häufig handelt es sich um eine Kombination von hyperkinetischem Grundverhalten und der Neigung zu impulsiv-aggressiven Durchbrüchen.
Durch das Zusammensein ähnlich strukturierter Kinder in geschlossenen Gruppen gibt es nur wenig Möglichkeiten zum„Modellernen‘“ sozial angepaßten Verhaltens, zumal die anderen Kinder „gebessertes“ Verhalten eines einzelnen Kindes nicht ausreichend annehmen und damit auch nicht positiv verstärken. Das enge Zusammenleben der Kinder über den ganzen Tag bietet kaum Möglichkeiten, sich aus der Gruppe zurückzuziehen und in andere soziale Bezüge zu wechseln, der sonst übliche Wechsel zwischen Schulklasse, Freizeitgruppe und Familie findet nicht statt. Konflikte zwischen einzelnen Kindern werden durch fehlende räumliche und zeitliche Distanzen immer wieder angefacht.
Als erwachsene Bezugspersonen stehen zwar unterschiedliche Lehrer, Erzieher und Therapeuten zur Verfügung, letztlich mangelt es aber an individuell ausgerichteter emotionaler Beziehung, wie sie in einem Elternhaus möglich ist. Die Motivation stationär behandelter
Kinder für das soziale Training ist zumeist geringer als bei ambulant behandelten; sie erleben das Sozialtraining als eine Therapiemaßnahme unter vielen anderen, während der„Reiz des Besonderen“ bei ambulanter Therapie mehr zum Tragen kommt.
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen und Erfahrungen waren Abwandlungen des Petermannschen Vorgehens für die stationäre Therapie nötig, zumal der zeitliche Rahmen eine vorausgehende Einzeltherapie nicht zuließ.
Die Modifikationen bestanden darin, für realisiertes Zielverhalten unmittelbar materielle Verstärker(Kaugummi, Aufkleber usw.) einzusetzen. Ein„Verhaltensvertrag‘“ wurde von den Kindern kaum als Verstärker erlebt.
Während der Sitzung wurde jeweils nur eine strukturierte soziale Konfliktsituation vorgegeben, die durchgespielt und bewertet wurde. Dazu waren mehr Wahrnehmungsübungen und Erläuterungen erforderlich, als im Originalprogramm vorgesehen sind. Dazu konnten reale Konfliktsituationen, die sich im Tagesablauf der Gruppe ergeben hatten, einbezogen werden, was den Realitätsbezug der Therapie deutlicher werden ließ. Anschließend folgte jeweils ein Regelspiel(Brettspiele, Mikado usw.), was von den Kindern als für sie wesentlicher Teil der Therapiestunde angesehen wurde.
Immerhin war es möglich, mit 12 Therapiesitzungen innerhalb von 4 Wochen in Kleingruppen mit 3 bis 4 Kindern einige objektivierbare Ergebnisse zu erzielen, wobei als Vergleichsgruppe die Kinder dienten, die ausschließlich mit dem Konzentrations-Trainings-Programm(Barchmann u.a. 1986) behandelt worden waren(Trautmann 1992): Allein durch das Sozial-Trainings-Programm(STP) konnten ein reflexiverer Arbeitsstil und eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit erreicht werden. Bezüglich ihres Sozialverhaltens wurden die Kinder nach dem STP durch die Erzieher als besser angepaßt beurteilt als nach dem KTP.
In ihrer Selbsteinschätzung beurteilten sich die Kinder nach dem STP als„ag
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993
Kinderpsychiatrische Erfahrungen mit der Behandlung von Störungen der Konzentrationsfähigkeit
gressiver“ im Vergleich mit ihrem Vorbefund, sie hatten also ihre Selbstwahrnehmung verbessert, bezogen vermehrt „internale Erklärungen“ für ihr Verhalten ein. Im CPQ verringerten sich die Werte für„Angst“,„Neurotizismus“ und „Extraversion‘“, was mit der klinischen Verhaltensbeobachtung übereinstimmte. Auch bei debilen Kindern ließ sich dieses Trainingsprogramm für angepaßteres Sozialverhalten einsetzen, wobei erheblich mehr Zeit für die einzelnen Schritte aufzuwenden ist, vor Beginn der Rollenspiele noch ausführlichere Wahrnehmungsübungen erforderlich sind und die Konfliktsituationen sehr anschaulich und spielerisch dargeboten werden müssen, um einfache und klar strukturierte Handlungsalternativen zu erarbeiten, die ohne„Modellverhalten‘“ des Therapeuten den Kindern praktisch nicht zur Verfügung stehen. Debile Kinder sind aber auf ein solches Vorgehen durchaus einstellbar— und oft auch für die„sozialen Verstärker“ im Sinne von Lob und Anerkennung dankbarer als ihre normal intelligenten, verhaltensgestörten Altersgenossen.
Die entsprechenden Verlaufsuntersuchungen und Ergebnisbewertungen sind noch nicht abgeschlossen, so daß hier nur eine sich abzeichnende Tendenz dargestellt werden kann: Das Ausmaß der erreichbaren Stabilisierungen im Sozialverhalten(mittels des STP) ist geringer als die therapeutisch erzielbaren Verbesserungen im Leistungsbereich(mittels des KTP). Offensichtlich sind die kognitiven Funktionen(bzw. ihre Vorbedingungen) einer gezielten therapeutischen Intervention besser zugänglich als die Steuerungsfähigkeiten im Sozialverhalten— zumindest bei den schwerer gestörten Kindern, die einer stationären kinderpsychiatrischen Therapie überwiesen wurden.
Neben diesen direkt auf die Verhaltensanalyse und Verhaltensmodifikation ausgerichteten Therapieprogrammen stehen Therapiemethoden zur Verfügung, die das Verhalten eher indirekt beeinflussen, wie die Progressive Muskelrelaxation(PMR) nach Jacobson. In einer vergleichenden Effektivitätsprüfung von Konzentrationstraining und Entspan
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