Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
175
Einzelbild herunterladen

weisen. Die Kategorie h läßt sich nicht eindeutig zuordnen.

Die Beobachtung der Hausaufgaben dau­erte zwischen 23 und 48 Minuten, im Durchschnitt der 5 Sitzungen ca. 34 Mi­nuten. Zwei Beobachter kodierten di­rekt in Minuteneinheiten das Gesche­hen, und die Sitzungen wurden für eine genauere Auswertung mit dem Kasset­tenrecorder aufgezeichnet. Die inzwi­schen sehr vertraut gewordenen Beob­achter wurden nicht als störend erlebt, was auch an den Ergebnissen ablesbar Ist.

Die ursprünglich in Form von funktio­nalen Bedingungsmodellen im Sinne von Kanfer und Saslow(1976) ausgeführte Analyse der Interaktionen(S-O-R-K-Modell) wird hier nur grob zusammen­gefaßt dargestellt. Es zeigt sich, daß ei­nerseits das mütterliche Verhalten ge­eignet ist, das kindliche Störverhalten operant aufrechtzuerhalten, und ande­rerseits auch das kindliche Verhalten das mütterliche Verhalten operant steuert.

® Ergebnisse der Hausaufgaben-Inter­aktionsbeobachtungen Zuerst wird kurz versucht, das kindli­che Verhalten als Folge des mütterli­chen Verhaltens zu erklären: I. Situation(S): Die Mutter fordert Günther auf, geht auf sein unerwünsch­tes Verhalten ein oder hilft inadäquat. Reaktion(R): Günther wird aggres­siv, blockiert, jammert, zeigt zielunge­richtete verbale oder motorische Akti­vität. Konsequenzen(C): Cl: Mutter geht in 50%(Kon­tingenz, K) der Ereignisse auf das unerwünschte Verhalten Günthers ein, fordert ihn auf oder hilft(adäquat oder inadäquat), CZ: in den restlichen 50% der Fälle reagiert sie nicht(s.u. II). Für die Organismus-Variable(O0) wird hier keine Eintragung vorgenommen, weil besondere Störfaktoren nicht vor­liegen. Bei Günthers unerwünschtem Verhalten handelt es sich nach diesen Beobachtungsdaten um operante Ver­haltensweisen, die intermittierend ver­stärkt und damit aufrechterhalten wer­den: In der Hälfte der Fälle kann er

Ingeborg Wagner et al.* Hyperaktive Verhaltensweisen bei Kindern

damit rechnen, irgendeine Form der Auf­merksamkeit seitens der Mutter zu be­kommen.

II. Situation: Wenn die Mutter nun nicht reagiert(s.0.: C2), sind die Reaktionen Günthers: Rl: in 56% der Fälle wie bei I (unerwünschtes Verhalten), R2: in 44% der Fälle zeigt er erwünschtes Verhalten, gehorcht oder macht aufgabenbezogene Gegenvor­schläge. Konsequenzen bei der Mutter: zuRRl: Cl: geht jetzt zu 100% darauf ein(vgl. C1, Sit. I) ZuR2: C2: Mutter geht z.T. dar­auf ein(vgl. Sit. II). Wie in Situation I wird Günthers un­erwünschtes Verhalten von der Mutter jetzt praktisch immer inadäquat mit Auf­merksamkeit beantwortet, wenn auch diese Zuwendung oft negativer Art ist. Das kann so erklärt werden, daß die Mutter hier versucht, denStrafreiz der unangenehmen Situation, eben das un­erwünschte, meist aggressive Verhalten Günthers, dadurch zu vermeiden, daß sie interveniert, was wiederum von Gün­ther als Verstärkung erlebt wird. Durch das z.T. erwünschte Verhalten Günthers wird das teilweise Nicht-Reagieren der Mutter intermittierend bestärkt und auf­rechterhalten.

III. Situation: Hausaufgaben. Mutter steht Günther gegenüber. Reaktion: Günther zeigt erwünsch­tes Verhalten(vgl.R2, Sit. I) Konsequenzen bei der Mutter: Cl: sie geht in einem Viertel der Fälle mit erwünschtem Verhalten wie adäquater Hilfe, Lob, Zustimmung, Akzeptieren des Gegenvorschlags, darauf ein, C2: sie geht in der Hälfte der Fälle nicht darauf ein, und C3: sie zeigt in einem weiteren Viertel der Fälle unerwünschte Ver­haltensweisen. Günthers erwünschte Verhaltensweisen werden danach also nur in der Hälfte der Fälle mit Aufmerksamkeit bedacht, wobei es sich nur in einem Viertel der Fälle um positive Zuwendung handelt. Man kann unterstellen, daß Günther u.a.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993

deshalb erwünschtes Verhalten zeigt, weil eines seiner übergeordneten Hand­lungsziele die schließliche Beendigung der Hausaufgaben ist. Sein weiteres Handlungsziel, nämlich die Aufmerk­samkeit der Mutter zu erringen, erreicht er einfacher, wenn er unerwünschtes Verhalten zeigt. Und dieses schafft ei­nen Spannungszustand, den die Mutter auf jeden Fall zu vermeiden sucht. Hier werden übrigens noch einige Beobach­tungen wichtig, die nur anhand der Ton­aufzeichnungen deutlich werden, mit unserem Kategoriensystem jedoch nicht erfaßt wurden: Günther reagiert immer unerwünscht hier: fast immer aggres­siv, wenn seine Mutter Zuwendungen negativer Art(wie Auffordern, Ermah­nen, inadäqutes Helfen) mit einerwei­chen,liebevollen Stimme formuliert, wenn es sich also umwidersprüchliche Botschaften handelt. Auch bei langat­migen Erklärungen der Mutter wird Günther aggressiv oder beginnt er, sich unruhig hin- und herzubewegen.

Versuchen wir nun, das mütterliche Ver­halten als Folge des kindlichen Verhal­tens zu erklären:

IV. Situation: Günther zeigt irgendeine Verhaltensweise.

Reaktion der Mutter: eine uner­wünschte Verhaltensweise wie Auffor­dern, Erklären, inadäquates Kritisieren, Ermahnen.

Konsequenz bei Günther: zur Hälfte erwünschte, zur Hälfte unerwünschte Reaktionen.

Durch die teilweise erwünschten und teilweise unerwünschten Konsequenzen auf ihre Reaktionen hin wird das uner­wünschte mütterliche Verhalten operant (durch intermittierende Verstärkung) aufrechterhalten.

V. Situation: Günther zeigt eine Ver­haltensweise. Reaktionen: Rl1: Mutter hilft adäquat(ca. 20% der Fälle), R2: Mutter hilft inadäquat(ca. 80%). Konsequenzen: bei Rl, also nach adäquater Hil­fe, zeigt Günther je zur Hälfte er­

175