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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Ingeborg Wagner et al.* Hyperaktive Verhaltensweisen bei Kindern

wünschtes und unerwünschtes Ver­halten, bei R2, nach inadäquater Hilfe, zeigt Günther dagegen in zwei Drit­teln der Fälle erwünschtes und nur in einem Drittel unerwünschtes Verhal­ten. Bei inadäquater Hilfe(z.B. Vorsagen), die für ihn mit geringerem Energie­aufwand bei der Aufgabenlösung ver­bunden ist, reagiert Günther häufiger mit erwünschtem Verhalten, als wenn ihm die Mutter adäquat Hilfe leistet und ihm damit mehr Selbständigkeit(Aufwand) abverlangt. So ist es zu erklären, daß die Mutter im Lauf der Zeit zu häufige­rer(80%) inadäquater Hilfestellung übergegangen ist.

VI. Situation: Günther muß Hausaufga­ben machen.

Reaktion der Mutter: Aufforderung. Konsequenzen: Günther reagiert in einem Drittel der Fälle mit erwünsch­tem, in zwei Dritteln mit unerwünsch­tem Verhalten.

Die Mutter muß also überwiegend mit unerwünschtem Verhalten ihres Sohnes rechnen, wenn es an die Hausaufgaben geht. Das erklärt den allgemein erlebten Streß der Situation, und es erklärt auch, daß die Mutter, wie in I und I dargestellt, mit erneuter Zuwendung rea­giert.

VII. Situation: Günther zeigt erwünsch­tes Verhalten.

Reaktion: Mutter zeigt ebenfalls er­wünschte Reaktionen wie Lob, Zustim­mung.

Konsequenzen: Günther ignoriert sei­ne Mutter in ca. 60% der Fälle; wenn er reagiert(40%), dann in ca. 23% davon erneut mit erwünschtem Verhalten und sonst mit der Bitte um Hilfe(ca. 10%) oder mit unerwünschtem Verhalten (7%).

Die Interaktion zwischen Mutter und Sohn ist in der Hausaufgaben-Situation schon so problematisch geworden, daß Günther auch auf ein Lob bzw. eine Zustimmung seiner Mutter hin nur in ca. 40% der Fälle überhaupt reagiert. Da die Zustimmung der Mutter meist ignoriert wird, steht sie unter Löschungs­

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Mutter(unerwünschtes Verhalten)

Mutter(erwünschtes Verhalten)

Sohn(unerwünschtes Verhalten) Sohn(erwünschtes Verhiten)

100

90

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VERHALTENSWEISEN IN% A an©® ©

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1722345 6 7:8 9 10 11 12 13 14 15 BASELINE KONTROLLPHASE FOLLOW-UP

Abb. 1: Die Veränderungen von unerwünschtem und erwünschtem Verhalten bei Mutter und Kind von der Erstbeobachtung(Baseline) über die Kontroll- zur Follow-up-Phase

bedingungen, und es erklärt sich so, daß sie nicht öfter kundgetan wird. Übri­gens läßt sich wiederum Günthers Igno­rieren des mütterlichen Lobes auch noch damit erklären, daß die Mutter ihre Zu­stimmung in 56% der Fälle gleich mit einer erneuten Forderung oder einer inadäquaten Hilfe koppelt und sie da­durchentwertet.

® Konsequenzen aus der Analyse und Trainingsergebnisse

Aus diesen Bedingungsanalysen wur­den Hypothesen für eine gezielte Inter­vention erarbeitet. Details können hier nicht ausgebreitet werden(vgl. dazu die allgemeine Planung oben und Wagner et al. in Vorb.); lediglich die Verände­rungen der Interaktionen nach dem Trai­ning werden noch graphisch aufgeführt und erläutert.

Das Training mit Günthers Mutter um­faßte 16 Sitzungen, eine einleitende Pha­se von fünf Sitzungen mit der Mutter allein und eine zweite mit gelegentli­cher Beteiligung von Günther. Die ein­

zelne Sitzung dauerte zwischen 70 und 100 Minuten. Es folgten fünf Kontroll­Verhaltensbeobachtungen, diagnosti­sche Untersuchungen und eine Nach­betreuung von sechs Wochen mit nur noch telefonischen Kontakten. Weitere fünfFollow-up-Beobachtungen erfol­gen zwei Monate nach den ersten Kon­troll-Beobachtungen.

Die Abbildungen zeigen, daß das an­fängliche unerwünschte Verhalten bei Mutter und Sohn in der Kontrollphase bei beiden korrespondierend zugunsten des erwünschten Verhaltens stark abge­nommen hat und daß dieses Ergebnis in der Nachbeobachtungsphase erhalten geblieben ist.

Zusammenfassende Diskussion

Unsere hier skizzierten Untersuchungen dienten einer ersten Überprüfung des oben dargelegten Konzeptes zur Erklä­rung und Modifikation hyperaktiver Verhaltensweisen bei Kindern. Aller­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993