Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
178
Einzelbild herunterladen

Alle drei Kinder wurden, wie das auch viele andere Autoren für ähnliche Fälle berichten, viel zu selten und/oder unan­gemessen für erwünschtes Verhalten be­stärkt, möglicherweise ein Hinweis auf eine durchaus verständliche, kon­fliktbelastete Einstellung zum Kind. Um in einer solchen Lebenslage genügend Zuwendung zu bekommen, wenn die­se dann auch negativ ausfällt, greifen Kinder dann leicht zu unerwünschten Verhaltensweisen. Die erwünschten Ver­haltensweisen stehen damit dann unter Löschungsbedingungen.

Inwieweit konnten nun die hyperakti­ven Verhaltensweisen durch das Eltern­training vermindert werden?

Alle drei Elterntrainings konnten mit Erfolg abgeschlossen werden, obwohl in einem Fall zur Zeit der Nacherhe­bung wieder eine Verschlechterung ein­getreten war. Hier lagen schwere Ehe­konflikte vor, und die Nachbetreuung konnte nicht wie geplant durchgeführt werden.

Wenn nicht wegen der langen Dauer der Intervention auch noch andere Fak­toren als das Training für die Erfolge verantwortlich gemacht werden müssen, so ergab sich doch in allen drei Fällen durch den Trainingserfolg eine Bestäti­gung für die in den Bedingungsanalysen gefundenen Zusammenhänge zwischen elterlichem und kindlichem Verhalten. Verhaltensänderungen der Eltern zogen die angestrebten Verhaltensänderun­gen der Kinder nach sich und umge­kehrt. Die unerwünschten und insbe­sondere die hyperaktiven Verhaltenswei­sen konnten reduziert werden, und er­wünschte Verhaltensweisen, die z.T. mit hyperaktivem Verhalten unvereinbar sind, konnten aufgebaut und gefestigt werden. Die Situation für die Familien unterschied sich nach der Intervention erheblich von derjenigen vor der Inter­vention. Dies bestätigt das Elterntrai­ning als Methode der Wahl: Selbst im Fall von Paul änderte sich seine Rolle dergestalt, daß er nach Aussage der Mutter vomProblemkind zumSon­nenschein wurde.

Die Interaktionsmuster in den Familien hätten sich ohne die Hilfe von außen

178

Ingeborg Wagner et al.+ Hyperaktive Verhaltensweisen bei Kindern

vermutlich nicht zum Positiven hin ver­ändert, da sie von den Eltern selbst nicht zu durchschauen und aufgrund der wechselseitigen Verstärkungen sehr sta­bil waren. Sie waren ja z.T. schon jah­relang eingeschlifffen und hatten sich, Ritualen ähnlich, verselbständigt.

Wie können solche Elterntrainings für einen ökonomischen Einsatz in der Pra­xis weiter entwickelt werden?

Der hier enorme Aufwand für ein Elterntraining könnte auf dreierlei Wei­se reduziert werden:

1. durch eine Durchführung in Gruppen

Die Offenlegung eigener Probleme vor zunächst fremden anderen Eltern wäre vielleicht nicht das größte Hindemis ei­ner Arbeit in Gruppen. Es wäre aber wohl dennoch eine gründliche Analyse der Eltern-Kind-Interaktionen im Ein­zelfall notwendig, da die Familien­Interaktionen individuell sehr unter­schiedlich sind und je spezifische Ver­änderungsziele festgemacht werden müssen. Entsprechend schwierig wird es sein, vergleichbare Übungen für Gruppenmitglieder zu finden. Denkbar wäre es aber, bestimmte Trainingsin­halte, die vermutlich Bestandteil nahe­zu aller Elterntrainings sein müßten, in Gruppen zu vermitteln, z.B. lerntheo­retische Grundlagen oder das Geben an­gemessener Hilfen.

Böte man trainingsartigeElternkurse Ohne intensive Verhaltensbeobachtungen im Sinne von Interaktionsanalysen an, könnten diese doch der Prävention von Erziehungsproblemen und der Pro­phylaxe kindlicher Verhaltensstörungen dienen. Solche Kurse würden aber wahr­scheinlich nicht dierichtigen Ziel­gruppen erreichen.

2. durch eine Standardisierung des Trainings

Unsere Trainings wurden einzelfallori­entiert und problemspezifisch entwik­kelt: Aus therapeutischer Sicht erschien es notwendig, Trainingsmethoden und -inhalte den einzelnen Familien flexibel anzupassen: Selbst bei gleichen oder ähnlichen Problemverhaltensweisen der

Kinder unterschied sich in unseren Trai­nings das Vorgehen beträchtlich. So ver­ließen wir beim letztenFall mit der Bearbeitung dermehrdeutigen Bot­schaften sogar den sonst stark lern­theoretischen Rahmen der Trainings­inhalte.

Eine Standardisierung der Elterntrai­nings würde es erlauben, vergleichende Effektivitätsstudien durchzuführen z.B. zwischen Elterngruppen mit unter­schiedlichem sozialem Hintergrund oder bei Eltern, deren Kinder unterschiedli­Che Problemverhaltensweisen aufweisen. Möglicherweise könnten Elterngruppen identifiziert werden, für die ganz spezi­fische Inhalte und Methoden am geeig­netsten sind. Darüber hinaus wäre die Entwicklung trainingsspezifischer In­strumente, z.B. Fragebögen zur Auswahl potentieller Adressaten und zur Metho­den- und Erfolgskontrolle im Laufe der Intervention, wünschenswert. Stan­dardisierte Verfahren könnten zudem einfacher und rascher an Trainer-An­wärter vermittelt werden.

3. durch außerhäusliche Durchführung des Trainings

Unsere Familien nahmen für das Trai­ning beträchtliche Störungen ihrer All­tagsroutine in Kauf, wurden allerdings wegen der Hausbesuche der Trainer auch stärker auf die Teilnahme verpflichtet, als wenn sie einen neutralen Ort hätten aufsuchen müssen. Nachdem das Pro­blemverhalten beim ersten Kind in der außerhäuslichenLaborsituation gar nicht aufgetreten war und später kein entsprechend ausgestatteter Raum mehr verfügbar war, wurde das Training bei allen drei Familien zuhause durchge­führt. Die Durchführung in Gruppen würde in jedem Fall einen öffentlichen Raum verlangen. Als zusätzliche Pro­bleme wären dadurch neben einer er­höhten Absprungquote u.a. zu erwarten: eben die Schwierigkeit, das problemati­sche Interaktionsverhalten überhaupt zu sehen zu bekommen, und dann beson­dere Schritte zur Generalisierung des Gelernten vomLabor ins häusliche Milieu(vgl. Innerhofer 1977).

Unser Fazit wäre demnach, daß eine Beobachtung und Analyse der uner­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993