Alle drei Kinder wurden, wie das auch viele andere Autoren für ähnliche Fälle berichten, viel zu selten und/oder unangemessen für erwünschtes Verhalten bestärkt,— möglicherweise ein Hinweis auf eine durchaus verständliche, konfliktbelastete Einstellung zum Kind. Um in einer solchen Lebenslage genügend Zuwendung zu bekommen,— wenn diese dann auch negativ ausfällt—, greifen Kinder dann leicht zu unerwünschten Verhaltensweisen. Die erwünschten Verhaltensweisen stehen damit dann unter Löschungsbedingungen.
Inwieweit konnten nun die hyperaktiven Verhaltensweisen durch das Elterntraining vermindert werden?
Alle drei Elterntrainings konnten mit Erfolg abgeschlossen werden, obwohl in einem Fall zur Zeit der Nacherhebung wieder eine Verschlechterung eingetreten war. Hier lagen schwere Ehekonflikte vor, und die Nachbetreuung konnte nicht wie geplant durchgeführt werden.
Wenn nicht wegen der langen Dauer der Intervention auch noch andere Faktoren als das Training für die Erfolge verantwortlich gemacht werden müssen, so ergab sich doch in allen drei Fällen durch den Trainingserfolg eine Bestätigung für die in den Bedingungsanalysen gefundenen Zusammenhänge zwischen elterlichem und kindlichem Verhalten. Verhaltensänderungen der Eltern zogen die angestrebten Verhaltensänderungen der Kinder nach sich und umgekehrt. Die unerwünschten und insbesondere die hyperaktiven Verhaltensweisen konnten reduziert werden, und erwünschte Verhaltensweisen, die z.T. mit hyperaktivem Verhalten unvereinbar sind, konnten aufgebaut und gefestigt werden. Die Situation für die Familien unterschied sich nach der Intervention erheblich von derjenigen vor der Intervention. Dies bestätigt das Elterntraining als Methode der Wahl: Selbst im Fall von Paul änderte sich seine Rolle dergestalt, daß er— nach Aussage der Mutter— vom„Problemkind“ zum„Sonnenschein“ wurde.
Die Interaktionsmuster in den Familien hätten sich ohne die Hilfe von außen
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Ingeborg Wagner et al.+ Hyperaktive Verhaltensweisen bei Kindern
vermutlich nicht zum Positiven hin verändert, da sie von den Eltern selbst nicht zu durchschauen und aufgrund der wechselseitigen Verstärkungen sehr stabil waren. Sie waren ja z.T. schon jahrelang eingeschlifffen und hatten sich, Ritualen ähnlich, verselbständigt.
Wie können solche Elterntrainings für einen ökonomischen Einsatz in der Praxis weiter entwickelt werden?
Der— hier enorme— Aufwand für ein Elterntraining könnte auf dreierlei Weise reduziert werden:
1. durch eine Durchführung in Gruppen
Die Offenlegung eigener Probleme vor zunächst fremden anderen Eltern wäre vielleicht nicht das größte Hindemis einer Arbeit in Gruppen. Es wäre aber wohl dennoch eine gründliche Analyse der Eltern-Kind-Interaktionen im Einzelfall notwendig, da die FamilienInteraktionen individuell sehr unterschiedlich sind und je spezifische Veränderungsziele festgemacht werden müssen. Entsprechend schwierig wird es sein, vergleichbare Übungen für Gruppenmitglieder zu finden. Denkbar wäre es aber, bestimmte Trainingsinhalte, die vermutlich Bestandteil nahezu aller Elterntrainings sein müßten, in Gruppen zu vermitteln, z.B. lerntheoretische Grundlagen oder das Geben angemessener Hilfen.
Böte man trainingsartige„Elternkurse“ Ohne intensive Verhaltensbeobachtungen im Sinne von Interaktionsanalysen an, könnten diese doch der Prävention von Erziehungsproblemen und der Prophylaxe kindlicher Verhaltensstörungen dienen. Solche Kurse würden aber wahrscheinlich nicht die„richtigen“ Zielgruppen erreichen.
2. durch eine Standardisierung des Trainings
Unsere Trainings wurden einzelfallorientiert und problemspezifisch entwikkelt: Aus therapeutischer Sicht erschien es notwendig, Trainingsmethoden und -inhalte den einzelnen Familien flexibel anzupassen: Selbst bei gleichen oder ähnlichen Problemverhaltensweisen der
Kinder unterschied sich in unseren Trainings das Vorgehen beträchtlich. So verließen wir beim letzten„Fall“ mit der Bearbeitung der„mehrdeutigen Botschaften“ sogar den sonst stark lerntheoretischen Rahmen der Trainingsinhalte.
Eine Standardisierung der Elterntrainings würde es erlauben, vergleichende Effektivitätsstudien durchzuführen z.B. zwischen Elterngruppen mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund oder bei Eltern, deren Kinder unterschiedliChe Problemverhaltensweisen aufweisen. Möglicherweise könnten Elterngruppen identifiziert werden, für die ganz spezifische Inhalte und Methoden am geeignetsten sind. Darüber hinaus wäre die Entwicklung trainingsspezifischer Instrumente, z.B. Fragebögen zur Auswahl potentieller Adressaten und zur Methoden- und Erfolgskontrolle im Laufe der Intervention, wünschenswert.— Standardisierte Verfahren könnten zudem einfacher und rascher an Trainer-Anwärter vermittelt werden.
3. durch außerhäusliche Durchführung des Trainings
Unsere Familien nahmen für das Training beträchtliche Störungen ihrer Alltagsroutine in Kauf, wurden allerdings wegen der Hausbesuche der Trainer auch stärker auf die Teilnahme verpflichtet, als wenn sie einen neutralen Ort hätten aufsuchen müssen. Nachdem das Problemverhalten beim ersten Kind in der außerhäuslichen„Laborsituation“ gar nicht aufgetreten war und später kein entsprechend ausgestatteter Raum mehr verfügbar war, wurde das Training bei allen drei Familien zuhause durchgeführt. Die Durchführung in Gruppen würde in jedem Fall einen öffentlichen Raum verlangen. Als zusätzliche Probleme wären dadurch neben einer erhöhten Absprungquote u.a. zu erwarten: eben die Schwierigkeit, das problematische Interaktionsverhalten überhaupt zu sehen zu bekommen, und dann besondere Schritte zur Generalisierung des Gelernten vom„Labor“ ins häusliche Milieu(vgl. Innerhofer 1977).
Unser Fazit wäre demnach, daß eine Beobachtung und Analyse der uner
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 4, 1993