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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Buchbesprechungen

Semantik der Kindersprache aufzuzeigen. Die Biographie und das sprachliche Lei­stungsprofil eines Sechsjährigen werden vor­gestellt und anhand von Testergebnissen die Diagnostik hinterfragt, die zu sehr aus der Perspektive der Erwachsenenlogik das Auf­spüren kindlicher Lösungswege vernachläs­sigt. Unter Zugriff auf das entwicklungs­psychologische Gedankengut von Wygotski und Piaget überträgt Holtz die in Ulm ent­wickelteThemenorientierte Sprachförde­rung auf die Therapie des vorgestellten Kin­des.

Fazit: Dreizehn Autoren aus den eingangs erwähnten Fachdisziplinen widmen sich dan­kenswerter Weise dem lange Zeit vernach­lässigten Komplex semantischer Störungen und tragen wichtige Forschungsergebnisse zusammen.

Dem vom Herausgeber formulierten An­spruch einer starken Praxisorientierung ent­sprechen leider nur einige Beiträge, so daß der Praktiker in bezug auf die Diagnostik und Behandlung semantischer Störungen zwar sicherlich sensibilisiert aber nicht un­bedingt handlungsfähiger wird.

Wenn auch insgesamt etwas zu theoretisch ausgerichtet, bleibt es ein lesenswertes Werk, um sich den Störungen der Semantik zu nähern und Anregungen und Reflexionen für sein eigenes therapeutisches Verhalten zu gewinnen.

Dipl.-Päd./Dipl.-Soz.-Päd. Axel Kürvers, Dortmund

Vernooij, M.A.(1992). Hampelliese Zappelhans. Problemkinder mit Hyperkine­tischem Syndrom. Bern, Stuttgart: Haupt. 151 Seiten, 14 Abbildungen, DM 39,

Das Buch von Monika Vernooij wendet sich im Schwerpunkt an Schulpädagogen in der Regel- und Förderschule, aber auch an El­tern. Es will über die Symptomatik des hyperkinetischen Syndroms, seine Ursachen und therapeutische wie pädagogische Inter­ventionsmöglichkeiten informieren.

Die Ausführungen von Vernooij beginnen mit der Darstellung der historischen Ent­wicklung der Begriffe Hyperaktivität, Auf­merksamkeitsstörung, hyperkinetische Im­pulsauffälligkeit, minimale cerebrale Dys­funktion, Hyperkinese bzw. hyperkinetisches Syndrom. Es schließen sich Definitions- und Klassifizierungsversuche an. Dabei geht

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Vernooij auf die Klassifikation nach dem Diagnostischen und Statistischen Manual (DSM-I bis DSM-HI-R) sowie auf die In­ternationale Klassifikation psychischer Er­krankungen(ICD-9) ein. Als Kem- bzw. Zentralsymptome des hyperkinetischen Syndroms werden die Hyperaktivität, die Aufmerksamkeitsstörung, die Impulsivität und die emotionale Auffälligkeit genannt; als Sekundär- bzw. Periphersymptome wer­den Lernstörungen, Teilleistungsstörungen, soziale Störungen und Selbstwertprobleme dem hyperkinetischen Syndrom zugeordnet. Im Kapitel 4 und 5 werden Verursachungs­faktoren des hyperkinetischen Syndroms so­wie Erklärungsansätze zur Entstehung des­selben ausgeführt. Als Unterscheidungs­merkmal dieser beiden thematischen Punkte führt Monika Vernooij an, daß die Erklä­rungsansätze umfassendere Erklärungsmo­delle für die Entwicklung des hyperkine­tischen Syndroms darstellten. Vier Verursa­Chungsfaktoren werden diskutiert, und zwar genetische, organische, ökologische und psychosoziale Faktoren. Kurz werden ver­schiedene Untersuchungsergebnisse referiert. Für die genetischen Faktoren kommt Moni­ka Vernooij zu dem Schluß, daß sie keine eindeutigen und unmittelbaren Determinan­ten für die Entstehung der Hyperkinese dar­stellen. Die Diskussion der organischen Fak­toren hebt auf die minimale cerebrale Dys­funktion ab, aber auch auf Störungen der Hirnfunktionen wie Neurotransmittermangel oder Himdurchblutungsstörungen. Es wird in besonderer Weise hervorgehoben, daß Hy­peraktivität bzw. das hyperkinetische Syn­drom nicht mit einer minimalen cerebralen Dysfunktion gleichgesetzt werden kann. Kin­der mit einer leichten Hirnschädigung wei­sen mehr oder weniger ausgeprägt die Kernsymptome des hyperkinetischen Syn­droms auf, während bei Kindern mit den Kernsymptomen des hyperkinetischen Syn­droms nicht automatisch eine minimale cerebrale Dysfunktion vorliegen muß.

Als ökologische Faktoren der Verursachung werden drei Hypothesen vorgestellt: die Blei­Hypothese, die Farbstoff-Hypothese und die Phosphat-Hypothese. Eindeutige Kausal­zusammenhänge können aufgrund der empi­rischen Untersuchungen auch bei diesen ökologischen Faktoren nicht berechtigt an­genommen werden.

Der vierte Verursachungsbereich, nämlich die psychosozialen Faktoren werden noch einmal dreifach untergliedert, nämlich in ökonomisch-kulturelle Bedingungen wie der Sozialstatus oder Arbeitslosigkeit, Bedin­gungen des sozialen Umfeldes, bezogen auf

Familie und Schule, wie Eheprobleme oder Leistungsdruck sowie psycho-emotionale Bedingungen, die durch die Art der Eltern­Beziehung, das emotionale Gefüge in der Familie und den Erziehungsstil geprägt sind. Als ungünstiger Erziehungsstil wird einmal die Verwöhnung, einmal die Härte und Lieb­losigkeit, einmal die Vernachlässigung und Gleichgültigkeit und schließlich ein Wech­selklima, also ein starkschwankender Erzie­hungsstil, der für ein Kind Orientierungs­losigkeit bedeutet, dargestellt. Lemtheoretische und tiefenpsychologische Erklärungsansätze werden gegenübergestellt. Von der Lerntheorie aus wird das hyper­kinetische Syndrom als Folge von Kondi­tionierungsprozessen oder als Ergebnis von Modellernen oder als Reaktion auf Unter­stimulation betrachtet. Bei den tiefenpsycho­logischen Erklärungsansätzen wird von psychoanalytischen Überlegungen Bettel­heims ausgegangen sowie von Adlers indi­vidualpsychologischen Überlegungen. Aus diesen werden Kriterien für psychische Ge­sundheit bzw. eine gestörte Persönlichkeits­entwicklung abgeleitet, in deren Mittelpunkt das Selbstwertgefühl, die Realitätsbezogen­heit in der Wahrnehmung und die Gemein­schaftsfähigkeit einer Person stehen. Aus diesem individualpsychologischen Aspekt heraus begründet Vernooij die Umkehrung der Sekundärsymptome in Kernsymptome des hyperkinetischen Syndroms. Das heißt, die Selbstwertprobleme, die Teilleistungs­störungen, vor allem im Sinne von Wahr­nehmungsstörungen des Kindes und die so­zialen Probleme werden zu den zentralen Symptombereichen der Hyperkinese erho­ben. Hingegen rücken Hyperaktivität, Auf­merksamkeitsstörungen, Impulsivität und emotionale Auffälligkeit nach individual­psychologischer Sichtweise in den Hinter­grund.

Fünf therapeutische Interventionsansätze bei Kindern mit hyperkinetischem Syndrom werden vorgestellt: Die Pharmaka- bzw. Stimulanzienbehandlung, die kognitive Ver­haltenstherapie und zwar bezüglich des Pro­blemlösetrainings und verschiedene Selbst­instruktionstechniken nach Meichenbaum. Der multimodale Behandlungsansatz, der Verhaltenstherapie und Stimulanzienbehand­lung kombiniert anwendet, diätetische Maß­nahmen, nämlich die Kaiser-Permanent-Diät nach Feingold sowie die phosphat-reduzier­te Diät nach Hertha Hafer und schließlich die Spieltherapie. Eine Bilanz der verschie­denen therapeutischen Interventionsmöglich­keiten wird im großen und ganzen als unbe­friedigend und nicht hinreichend bewertet.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XIX, Heft 1, 1993