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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
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Erich Kurth& Uwe Streibhardt ­

Längsschnittstudie bei lernbehinderten Kindern

Fall bedingt durch die Art der Stich­probe, erst im Schulalter beginnen, hin­sichtlich der Bedingungsanalysen versu­chen, wesentliche Faktoren bis zur Ge­burt hin zu erfassen.

Wir mußten hier die schwierige Aufgabe lösen, retrospektiv Angaben bzw. Daten zur biologischen und sozialen Entwick­lungsbelastung(also über einzelne Risi­kofaktoren hinausgehend) zu verwerten. Unsere Aussagen stützen sich auf die Auswertung der Geburtsjournale für diejenigen Kinder, die in Rostock gebo­ren wurden?(Geburtsjahrgänge 1970 72), das sind mit 61 Kindern, für die vollständige Entwicklungsangaben sowie die IQ-Werte vorliegen, jeweils etwa 67% der Stichproben. Hierbei wurde jedoch entsprechend neonatologischen Auffas­sungen auf eine Aufzählung und Berück­sichtigung einzelner Geburtsrisiken zu­gunsten einer Gesamtbewertung jedes Falles verzichtet. Danach erfolgte dann im Sinne des Expertenurteils eine kriti­sche Einstufung nach belastet Grenz­fall ohne erkennbare Belastung.

In der 1. Kategorie finden sich z.B. Kombinationen von Unreife, Hypotro­phie und intrapartaler Hypoxie, wäh­rend drohende intrauterine Hypoxie z.B. als Grenzbefund gewertet wurde. Berück­sichtigt wurden insbesondere Azidität, Kondition, Erstbetreuung im Kreißsaal und weitere Betreuungsstufen(Dringlich­keitsstufe). Mit einbezogen wurden ein­deutig pathologische Befunde im EEG} sowie bei der motometrischen Unter­suchung, ferner Hinweise auf spätere Krampfanfälle oder Hirntraumen. Von allen Kindern der Stichprobe wurden dann ferner ausführliche Anamnesen (berufliche und familiäre Situation, Schwangerschaft und Geburt, Erzie­hungssituation, Kindesentwicklung und Verhalten) erhoben. Bei der Beurteilung

Die Auswertung erfolgte dankenswerter­weise durch die Unterstützung der Ober­ärzte Doz. Dr. Koepcke und Dr. Retzke der Frauenkliniken der Universität und des Bezirkskrankenhauses in Rostock.

Die Auswertung erfolgte dankenswerter­weise durch Prof. Dr. Külz, dem damali­gen Direktor der Universitätskinderklinik Rostock.

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Tabelle 6: Ausgewählte soziale Risikofaktoren in den Familien von Lernbehinderten(Hilfs­

schülern) n= 61(1986).

Lb% V% Mutter ohne 8-Klassen-Abschluß 23,1 3,4 Mutter ohne Lehrberuf 48,8 13,9 Mutter übt ungelernte Tätigkeit aus 60,8 11,9 Vater übt ungelernte Tätigkeit aus 21,7 3,7 Vater Alkoholiker 17,9 1,4 Mutter/Vater Alleinerzieher 24,7* 14,3 mehr als 2 Geschwister 33,0 5,4

V= Vergleichsstichprobe Meyer-Probst/Teichmann(1984) Außer* weichen alle Angaben überzufällig von V% ab.

Tabelle 7: IQ-Mittelwerte für Gruppen biologischer und sozialer Belastung im Längsschnittver­

gleich. 2,Kl 5. Kl. 8. Kl. BHS 2. n IQ n* IQ Biologische Belastung 3 62,8 13 23,6 72,4 773 79,3 Soziale Belastung 7 78,9 14 25,5 80,0 86,9 88,9 Biologische und soziale 9 66,2 1 30,9 78,1 84,6 84,3 Belastung Ohne nach­weisbare 1 11 20 86,1 94,3 93,4 Belastung 22 35

(* Vergrößerung der Stichprobe durch Neuaufnahme von Schülern nach der 2. Klasse)

der sozialen Bedingungen wurden auch Angaben der Jugendhilfe einbezogen, was insbesondere die Heimkinder betraf. Die Bewertung des sozialen Bereiches als belastet erfolgte bei Vorliegen von mehr als 3 schwerwiegenden sozialen Risiken. Als solche haben wir die statistisch sig­nifikant von den bei Meyer-Probst und Teichmann(1984) für den Quasi-Normal­bereich am Untersuchungsort angegebe­nen Häufigkeiten abweichenden Fakto­ren eingestuft und in Tabelle 6 darge­stellt.

Die Auswirkung der Bildungs- und Aus­bildungsmängel der Eltern auf die Ent­wicklungsförderung der Kinder bestätigt sich also auch hier, wobei sich hierin wahr­scheinlich noch weitere zentrale Aspekte ihrer Persönlichkeit ausdrücken.

Unter Außerachtlassung der relativ klei­neren Stichprobe aus der 2. Klasse erga­ben sich in der Längsschnittstichprobe je etwa 55% biologische und soziale Be­lastungen mit einer Überschneidung in

etwa 30%(siehe auch hinsichtlich der Aufgliederung im einzelnen Tabelle 7). Die niedrigsten IQ-Mittelwerte sind be­reits von Schulbeginn an bei der biolo­gisch belasteten Subgruppe festzustellen. Hier wäre also auf ein frühes Eintreten der Entwicklungsverzögerung zu schlie­ßen.

Gegenüber den biologisch belasteten Kindern mögen die sozialen Belastungs­faktoren sich besonders stark im Hin­blick auf ein Leistungsversagen in der POS ausgewirkt haben, so daß diese Kin­der bereits bei höherem IQ-Niveau für die Sonderschule vorgeschlagen wurden und sich dort dann relativ gut weiterent­wickelten. Das gilt mit Einschränkung auch für die doppelt biologisch und sozial belastete Gruppe, bei der dieser Auslese­faktor ebenfalls zusätzlich wirksam ge­wesen sein dürfte, so daß aufgrund des­sen der Effekt einer zuerwartenden Risi­kenkumulation wahrscheinlich verdeckt wird,

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1991