komme ich im 2. Teil zurück. Es ging in Guidos Worten um die Frage, Dekodierund Verstehensdefizite durch angemessenes Raten zu überbrücken. Das wurde an einfachen Beispielen ausprobiert, wobei Guido gebeten wurde, sein Vorgehen„nachträglich laut zu denken“‘. Mit der daraus erarbeiteten Selbstanleitung „Mutig raten“, die Guido sich in solchen Situationen sagen sollte, hatte er ein Mittel an der Hand, sein Lesen durch neue Erprobungen zu verbessern.
Die Wirkung des Gesprächs mit Guido auf sein weiteres Lesen habe ich damals leider nicht verfolgt, auch das wurde in den späteren Versuchen anders. Geblieben ist das Schlüsselerlebnis für ein geändertes Projekt. In der neuen Fragestellung geht es nicht mehr darum, Lesestrategien durch äußere„objektive“ Beobachtung und Interpretation zu erschließen. Vielmehr vermittelt die innere,„subjektive‘* Sichtweise des Lesers einen direkten Zugang zum Geschehen. In den Aussagen des Lesers selbst über sein Vorgehen, durch seine Metakognition, werden seine Lesestrategien auf neue Weise greifbar. Das Ziel ist die Erkundung von persönlichen Lesestrategien im Gespräch unter Verwendung des„lauten Denkens‘ und eine daraus gewonnene Selbstanleitung für den Lernenden zur Verbesserung seines Vorgehens. Der erste Versuch weist auch bereits die Grundkomponenten des Instruktionsgesprächs mit drei Leitfragen auf, die sich in den späteren Erprobungen bewährten:
1. Wie machst Du das eigentlich, das Lesen?(Komponente des Diagnose-, Lese- oder Strategiewissens)
2. Welche Schwierigkeiten hast Du beim Lesen und woran liegt es Deiner Meinung nach?(Komponente des Erklärungs- oder Bedingungswissens)
3. Was denkst Du, wie kannst Du Dein Lesen verbessern?(Komponente der Interventions- oder Steuerungskompetenz).
Diese Fragen und Komponenten folgen Verfahren und Konzepten der kognitiven Psychologie, die hier auf die Lesegespräche mit Instruktionsabsichten angewendet werden. Es handelt sich um das Verfahren der Gedankenprotokolle im
Emil Schmalohr*
lauten Denken(Newell& Simon 1972) und die Konzepte subjektive psychologische Theorie mit Kausalattributionen (Groeben, Wahl, Schlee& Scheele 1989), Metakognition in Lesewissen und Steuerung(Reid 1966; Myers& Paris 1978) sowie Selbstinstruktion(Meichenbaum& Asarnow 1978).
Als Konzeptplanung formuliert: Das Lese-Instruktionsgespräch vermittelt auf dem Wege der Metakognition die subjektive psychologische Theorie des Lesers von seinen Vorgehensweisen mit den Schwierigkeiten einschließlich der angenommenen Ursachen und erschließt damit Möglichkeiten der Verbesserung durch Steuerung in Selbstinstruktionen. Das Ganze nimmt die Form einer Leseberatung an, in der Forschungs- und Instruktionsabsichten verfolgt werden können.
Bisherige Studien
Inzwischen liegen Ergebnisse: aus ca. 120 Lesegesprächen in Tonbandnachschriften mit Planungen von Selbstanleitungen vor. Das Material stammt aus Gesprächen mit Grundschulkindern des 1. bis 4. Schuljahres, Realschülern mit sogenannter Legasthenie, Jugendlichen sogenannten Analphabeten und Schülern mit Lernbehinderung und besonderer Leseschwäche, wobei die Gespräche in der letzten Gruppe zum Teil wiederholt wurden. Ferner gab es Lesegespräche mit Studierenden u.a. über das Lernen aus Texten und mit Lehrern in Fortbildungsveranstaltungen.
Zur Vorbereitung von Lesegesprächen mit Schülern leitete der Verfasser Studierende in Seminaren und Lehrer in Fortbildungen mit Hilfe der Leitfragen zu einem Selbstversuch an, in dem die eigenen Leseweisen mit den Schwierigkeiten und mit Vorstellungen von Verbesserungsmöglichkeiten reflektiert werden sollten. Im 2. Schritt wurde mit einem Teilnehmer der Gruppe an Hand der Ergebnisse: des Selbstversuchs ein Lesegespräch geführt und dabei versucht, die vom Leser gefundenen Selbstanleitungen durch ein Beratungsangebot durch den Gesprächsleiter weiter auszubauen.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII; Heft 3, 1991
Metakognitive Instruktionsgespräche bei Leseschwierigkeiten
Im 3. Schritt führten die Teilnehmer an Hand ihrer Aufzeichnungen aus dem Selbstversuch eigene Lesegespräche mit wechselnden Rollen als Leselehrer und Lernende. Durch diese Gesprächsleiterschulung wurden selbständige Versuche mit anderen Lesern, insbesondere auch die genannten Studien mit den Schülern vorbereitet. Darüber hinaus berichteten Teilnehmer immer wieder von einer Selbstschulung durch die Fortführung der Lesegespräche in der Form von Selbstgesprächen, die durch die ersten Selbstversuche und die Gespräche mit anderen Lesern angeregt worden waren.
Bei diesen Erprobungen galt das besondere Interesse der Analyse der Tonbandaufzeichnungen, die von jedem Gespräch angefertigt wurden. Eine erste und für das weitere Vorgehen ausschlaggebende Erfahrung war die Begrenztheit der eigenen und die Mannigfaltigkeit der möglichen Vorgehensweisen bei anderen Lesern. Manche Lehrer z.B. entdeckten, daß sie vorwiegend die Erfahrungen mit den Lese-Lehrmethoden bei den Schülern im Sinn hatten— ihre„subjektive Lese-lehr-theorie‘‘— und ihnen dadurch im Selbstversuch der Zugang zu den eigenen persönlichen Vorgehensweisen— gewissermaßen durch eine professionelle Deformierung— erschwert war. Allen Gesprächsleitern fiel es im Anfang nicht leicht, in der Gesprächsführung die Erkundung der subjektiven Theorien bei anderen Lesern nicht durch eigene Vorgaben festzulegen und hinreichend offen zu gestalten. Bei den gegenseitigen Demonstrationen entwickelten die Gruppen Hinweise auf förderliche und— zu vermeidende— hinderliche Vorgehensweisen in den Lesegesprächen und trugen dadurch in Verbindung mit den Selbstversuchen zur Steigerung ihrer Lese- und Lehrkompetenz bei.
Lese-Instruktions-Modell
Um für die Analyse von Lesetrategien und die Planung von Selbstinstruktionen einen Orientierungsrahmen herzustellen, wurde als weiteres Hilfsmittel für die Studierenden und Lehrer ein Lese-Instruktions-Modell angeboten. Das Modell ver
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