Emil Schmalohr*
Metakognitive Instruktionsgespräche bei Leseschwierigkeiten
— Ist ein bestimmter Leser in der Lage, sich sein Vorgehen beim Lesen mit den Schwierigkeiten zu vergegenwärtigen und darüber Aussagen zu machen?
— Versteht der Leser seine Schwierigkeiten als fehlenden Einsatz bestimmter Lesestrategien, als Strategie-Ungleichgewicht bzw. als Produktionsdefizit?
— Kann er die Leseschwierigkeiten durch metakognitive Wissens- und Steuerungskomponenten beeinflussen und verbessern?
Die Gruppenuntersuchungen kommen durch die Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse der Fallstudien in verschiedenen Lesergruppen zustande. Unter Verlagerung des Schwerpunktes von der präskriptiven zur deskriptiven (beschreibend-erklärenden) Fragestellung können in den Gruppen mit Hilfe von inhaltsanalytischen Auswertungsverfahren verallgemeinerbare Ergebnisse gewonnen werden. Es geht um Aussagen über die in der Gruppe vorherrschende „subjektive“ Lesetheorie mit den vorliegenden metakognitiven Fähigkeiten. Besonders interessieren dabei vergleichende Untersuchungen, die auf Unterschiede zwischen den jeweiligen Lesergruppen ausgerichtet sind. In diesem Zusammenhang ergeben sich u.a. folgende Fragestellungen:
— Über welche Lesestrategien und damit verbundene metakognitive Kompetenzen verfügen Leser eines bestimmten Alters- und Entwicklungs
abschnitts beim Zugriff auf die Lese
aufgabe?
— Wie groß sind die Unterschiede innerhalb der Alters- und Entwicklungsabschnitte unter Berücksichtigung bestimmter Merkmale der Leser, vor allem der Intelligenz und der Vorkenntnisse?
— Zu welchen Ergebnissen führen Vergleiche zwischen den Alters-, Entwicklungs- und Merkmalsgruppen, was ergibt sich daraus für das Verständnis der Lesefähigkeit und ihrer Aneignung?
— Liefern gruppenspezifische„subjektive“ Lesetheorien und dabei wirksame Ursachenannahmen über Leseschwierigkeiten verallgemeinerbare
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
Anhaltspunkte für die Instruktion in diesen Gruppen?
Im folgenden sollen das Vorgehen in den Fallstudien an Hand des Beispielfalls Guido und eine vergleichende Gruppenuntersuchung am Beispiel der Ergebnisse der Lesegespräche mit Grundschulkindern und jugendlichen Sonderschülern dargestellt werden.
Fallstudien
Die Einzelfallstudien, die in den Projekten— wie gesagt— von Studierenden durchgeführt wurden, enthalten die Tonbandnachschrift des Lesegesprächs mit den drei Leitfragen, wobei als Leseprobe u.a. dieLeseabschnitte der Lesetestserie nach Biglmaier(1963) und Fehleranalysen der Leser an Hand wiederholter Tonbandabschnitte einbezogen wurden. Die Diagnose und Interventionsplanung sind an dem Lese-InstruktionsModell orientiert. Die Planung besteht aus Angaben zu den praktizierten Strategiemustern, den Strategiedefiziten, den Grob- und Feinzielen für die Instruktion mit evtl. Auswahl von Materialien und aus Hinweisen auf bereits im Gespräch erarbeitete und weitere mögliche Selbstanleitungen für den Leser. Die Studierenden informierten die Lehrer der Schüler, damit diese die Arbeit u.a. in eigenen Lesegesprächen fortsetzen konnten.
Um einen ersten Einblick in die Auswertungsarbeiten einer Fallstudie zu vermitteln, wird das bei der Konzeptplanung geschilderte Gespräch mit Guido aufgegriffen. An Hand der Leitfragen ergeben sich Aussagen zu vier Konzepten: Lesestrategie, Schwierigkeit, Ursachenzuschreibung und Veränderungsmöglichkeit mit Selbstanleitung. Die Aussagen erstellen in ihrem Zusammenhang die subjektive psychologische Leseund Interventionstheorie des Lernenden.:
Die Rekonstruktion der Lesetheorie von Guido wird hier auf Grund der in Stichworten festgehaltenen Aussagen zu den Leitfragen versucht. Sie beginnt mit der Antwort Guidos auf die Frage„Wie liest
Band XVII, Heft 3, 1991
Du?‘ die zusammengefaßt lautet:„Beim Lesen gucke ich Buchstaben‘ und an Hand des Instruktionsmodells vorläufig als Dekodierungsstrategie ohne Bezug zum Verstehen eingeordnet wird. Die Antwort auf die Frage„Welche Schwierigkeiten hast Du beim Lesen?“ lautet: „Ich komme von den Buchstaben nicht los‘. Sie wird als überbetontes Dekodieren und Mangel an Verstehen und Steuerung verstanden, die Lautfolge in der Auseinandersetzung mit Bedeutungen in ein Wort umzusetzen. Die Frage nach den Ursachenannahmen„Woran liegt es Deiner Meinung nach?“ ist bei der Schilderung des Falles im ersten Abschnitt des Beitrags nicht angesprochen worden. Denkbar wäre eine Annahme, die ein anderer Jugendlicher in einer ähnlichen Situation vorbrachte:„Ich komme von den Buchstaben nicht los..., weil ich nicht mehr mit dem Finger lesen möchte— da lachen die anderen mich aus‘. Die frühere Lesehilfe(Finger) wird aus Angst vor Blamage nicht länger benutzt. Hier spielen offensichtlich emotionale Schwierigkeiten in die Vorgehensweisen beim Lesen hinein. Vermutlich würde das Entlangfahren an dem Text mit dem Finger helfen, den Überblick zu behalten und den Zusammenhang zu erkunden.
Im Hinblick auf die Frage„Wie kannst Du Dein Lesen verbessern?‘“ war im Anschluß an Frage 1 mit Guido als Veränderungsmöglichkeit bereits die Selbstanleitung„Mutig raten“ erarbeitet worden. Bei der soeben genannten Ursache für die Schwierigkeiten ergibt sich als weiteres Beratungsargument:„Du denkst, Deine Schwierigkeiten liegen darin, daß Dir das Lesen mit dem Finger vor den anderen unangenehm ist. Aber vielleicht solltest Du trotzdem beim Fingerlesen bleiben, weil Dir das hilft, die Wörter genau zu lesen und sie richtig einzuordnen. Wie denkst Du darüber?“— Wenn Guido die Hilfe ablehnen sollte und keinen anderen Vorschlag macht, könnte ein Zusatzargument lauten:„Willst Du lieber mit Hilfe richtig oder ohne Hilfe falsch lesen?‘ Dieses Argument fiel in einem der Gespräche tatsächlich. Der Jugendliche entschied sich dabei für die Hilfe. Im Fall Guido könnten wir die er
1