Emil Schmalohr
weiterte Selbstanleitung anbieten:„Mutig mit dem Finger raten‘. Vielleicht wäre ihm aber auch eine andere Formulierung oder die Hilfe in Form eines Papierlesezeichens lieber. Wir würden darauf eingehen, wenn er nur sein Vorgehen danach ausrichten möchte. Auf diese Weise blieben wir mit Guido im Gespräch.
Die Lesegespräche, die an der subjektiven Theorie des Lernenden über sein Lesen ansetzen, hängen im Ergebnis weitgehend vom Instruktionsrepertoire und von der Beratungskompetenz des Gesprächsleiters ab. Die Bemühungen können durch eine hypothesengeleitete Arbeit verbessert werden, die an Strategiekonzepte anknüpft, die in der Literatur diskutiert werden. Im Fall Guido bietet sich für die weitere Arbeit etwa eine Orientierung an der„plodderexplorer‘-Dimension des Augenbewegungskonzepts an(Olson, Kliegl, Davidson& Foltz 1985). Danach könnte Guido angeboten werden, die Aufmerksamkeit mehr vom mühsamen„Erhinken‘“ der Einzelheiten in den Wörtern abzulenken(plodder-Komponente), um sich mehr auf das globale und überblickende „Erkunden‘“ von Wortlauten und Bedeutungen einzulassen(explorer-Komponente), was dann umgekehrt zu einer Überprüfung des Ergebnisses am Text führen würde.
An Hand des Lese-Instruktion-Modells (vgl. 1. Abschnitt) ist in der Diagnostik Guidos Strategiedefizit„Ich komme von Buchstaben nicht los‘ zunächst einmal durch die Texteingabe Buchstabenebene und die Lesereingabe Identifizieren von Buchstaben definiert. Es besteht eine Hemmung durch eine betonte bottomup Orientierung und durch plodder-Tendenzen. Der Interventionsvorschlag mit der Selbstanleitung„Mutig raten‘ versucht, den Schwierigkeiten durch eine Umorientierung zu verstärkten topdown- und explorer-Strategien entgegenzuwirken. Die Zielrichtung könnte im Modell als Betonung der Pfeilrichtung von oben rechts nach unten links veranschaulicht werden.
Im Projekt sind die einzelnen Fallstudien durch die Darstellung der Instruktionspläne in der Form von Flußdia
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Metakognitive Instruktionsgespräche bei Leseschwierigkeiten
grammen noch weiter ausgebaut worden. Ohne hier näher darauf einzugehen, sei im Fall Guido angedeutet, daß für seine Instruktionszelle aus einem Flußdiagramm mit der Alternative„direkter visueller Pfad‘ gegen„indirekter phonologischer Pfad‘(vgl. Rayner& Pollatsek 1989, S. 92) neue Hypothesen gewonnen werden können.
In der Zusammenfassung der bisherigen Fallstudien, deren Wert an erster Stelle in der individualisierenden Vorgehensweise besteht, ist die Formulierung einiger allgemeiner Ergebnisse möglich:
1. Zu Beginn des Projekts war es überraschend, auch bei jüngeren und bei leseschwachen Schülern in den Lesegesprächen metakognitive Fähigkeiten anzutreffen, die ihnen angesichts der Forschungslage im allgemeinen abgesprochen wurden(vgl. Flavell 1977; Myers& Paris 1978; Weinert 1988).
2. Die Leser konnten über ihre Vorgehensweise beim Lesen im Regelfall in dem Maße Auskunft geben, wie sie in den Lernprozeß eingetreten waren und Fortschritte gemacht hatten.
3. In den Gesprächen erwiesen sich das Lese-Instruktions-Modell und die Hypothesen über die Leseschwierigkeiten als Strategie- und Produktionsdefizit bzw. als Strategie-Ungleichgewicht als fruchtbar.
Vergleich zwischen Grund- und Sonderschülern
An Hand der Fallstudien lassen sich nach Aussageninhalten zu den drei Leitfragen Gruppen von Lesern untersuchen. Auf eine erste Analyse von Gruppenergebnissen bei 23 lernbehinderten, besonders leseschwachen Jugendlichen(Schmalohr 1990) folgen hier eine Zusammenfassung der Lesegespräche mit 76 Grundschulkindern der Klassen 1 bis 4(vgl. Mildner 1983) und Ergebnisse eines Vergleichs dieser beiden Lesergruppen.
Inhalts- und Clusteranalyse
Die Auswertung der Gruppenergebnisse ist als Erkundungsstudie zu verstehen.
Das Verfahren der Inhaltsanalyse wird mit dem Ziel eingesetzt, die Antworten auf die Leitfragen zu klassifizieren und nach Häufigkeiten zu ordnen(vgl. Bos& Tarnai 1989). Auf diese Weise läßt sich aufgrund der in den Fallstudien rekonstruierten subjektiven psychologischen Lesetheorien der einzelnen Leser eine für die Lesergruppe charakteristische subjektive Theorie ableiten. In der Gruppenuntersuchung führen die von den einzelnen Lesern vorgebrachten Formulierungen zu Signierungen in einem inhaltsanalytischen Klassifizierungssystem, aus dessen Gewichtungen sich die gewünschten Gruppencharakteristika zu den Leitfragen ergeben.
Die Antworten auf die erste Leitfrage nach den Lesestrategien„Wie liest Du eigentlich?‘ können nach Art von Lern-/ Lehrzielen auf einen Inhalts- und einen Verhaltensteil reduziert werden. Die Aussage„Ich tue Buchstaben zusammen“ führt zu der Signierung„Buchstaben zusammensetzen“. Die Aussage eines anderen Lesers„Ich gucke das Wort an‘“ wird signiert:„Wörter angucken“. Auf diese Weise werden verschiedene Strategiemuster mit unterschiedlichen Häufigkeiten festgestellt. Das 2. Klassifizierungssystem ist durch die Leitfrage„Wo liegen die Schwierigkeiten?“ auf Strategiedefizite ausgerichtet. Auch dabei ergeben sich Hinweise auf Inhalts- und Verhaltensteile wie in der Antwort Guidos:„Ich komme von den Buchstaben nicht los‘. Daneben werden als Schwierigkeiten verschiedene Qualitäten der inhaltlichen Textteile (z.B. Länge der Wörter, Fremdwörter) und nichtkognitive Lesekomponenten (z.B. Emotionen) genannt, die zu entsprechenden Signierungen führen. Im 3. System„Welche Ursache siehst Du?“ werden Schwierigkeiten kognitiven Inhalten(z.B. Sprachschwierigkeiten), kognitiven Verhaltensweisen(z.B. Mangel an Übung) und nichtkognitiven Komponenten(z.B. Emotionen) als Ursachen zugeschrieben, die zu entsprechenden Klassifizierungen führen. Schließlich ist das 4. System auf die Frage„Wie kannst Du Dich verbessern?“ gekennzeichnet durch Klassifizierungen, die sich für die Intervention aus den Ur
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1991