Das Spielverhalten
blinder und sehender Kinder
— Stand der Forschung—
Von Michael Brambring und Heinrich Tröster
Der Wissensstand über das Spielverhalten blinder Klein- und Vorschulkinder wird referiert. Die Besonderheiten in der Spielentwicklung blinder Kinder werden anhand von vier theoretischen Ansätzen zur Beschreibung der Spielentwicklung sehender Kinder diskutiert. Es handelt sich um kognitive, erregungsregulierende, soziale und psychoanalytische Ansätze. Abschließend wird eine Bewertung der bisherigen Befunde und Berichte zum Spielverhalten blinder Kinder und damit der Bedeutsamkeit des Gesichtssinns für diesen Entwicklungsbereich vorgenommen.
The state of research on the play behavior of blind infants and preschoolers is reviewed, Four theoretical approaches describing the play development of sighted children(cognitive, arousal-regulating, social, and psychoanalytical approaches) are used to discuss the particular characteristics of play development in blind children. The importance of vision for this developmental area is revealed. Finally, previous findings and reports on the play behavior of blind children are summarized and evaluated.
In der gegenwärtigen Forschung wird die Beobachtung und Analyse des kindlichen Spiels als wichtige Informationsquelle zur Beurteilung des Entwicklungsstandes und-verlaufes bei nichtbehinderten, aber auch bei behinderten Kindern angesehen. Quinn& Rubin(1984) nennen vier Aspekte, die auf die Bedeutsamkeit der Spielanalyse für diagnostische und der Spielanleitung für erzieherisch-therapeutische Zwecke hinweisen:
1. Die kindliche Spielentwicklung zeigt eine gesetzmäßige Abfolge vom Säuglings- bis zum Kindesalter.
2. Diese Abfolge in der Spielentwicklung stellt eine verhaltensmäßige Reflektion der sozialen und kognitiven Entwicklung des Kindes dar.
3. Das kindliche Spiel scheint für die Einübung und Verfestigung neuerworbener Fertigkeiten von zentraler Bedeutung zu sein.
4. Die Anleitung zu Rollenspielen kann die kognitive und sozial-emotionale Entwicklung des Kindes fördern.
Die systematische Analyse des Spielver
haltens blinder Kinder kann Hinweise
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
über die Bedeutung des Gesichtssinns für diesen Entwicklungsbereich liefern. Der Gesichtssinn stellt für den Menschen die zentrale Sinnesmodalität zur Aufnahme von Umweltinformationen dar; bei der Integration verschiedener sensorischer Informationen kommt den visuellen Informationen in der Regel die größte Bedeutung zu. Der Gesichtssinn steuert und regelt den Aufbau, die Ausdifferenzierung und Automatisierung grob- und feinmotorischer Fertigkeiten. Durch den Gesichtssinn wird die Bildung kognitiver Konzepte erleichtert, da kognitive Prozesse wie Kategorisieren oder Klassifizieren visuell schneller und zuverlässiger als taktil oder auditiv ablaufen(Dunlea 1982). Auch für die Persönlichkeitsentwicklung wird dem Gesichtssinn eine hohe Bedeutung zugemessen(Sonksen 1983), da sich bei fehlendem Gesichtssinn starke Abhängigkeiten von der Hilfe anderer Menschen ergeben, die die eigenständige Persönlichkeitsentwicklung des blinden Kindes erschweren können (Fraiberg 1977).
Insofern das Spielverhalten als Ausdruck der sensomotorischen, kognitiven und
Band XVII, Heft 3, 1991
sozial-emotionalen Entwicklung angesehen werden kann, ist aufgrund der genannten Schwierigkeiten mit Besonderheiten in der Spielentwicklung blinder Kinder zu rechnen. Solche Besonderheiten können Hinweise auf den Entwicklungsstand blinder Kinder geben und können somit ein ergänzendes Instrument der Entwicklungsdiagnostik darstellen. Detailliertes Wissen um den Einfluß der Blindheit auf das Spielverhalten erscheint darüber hinaus wichtig, um geeignete Maßnahmen zur Kompensation des fehlenden Gesichtssinns zu schaffen und somit blinden Kindern eine kindgemäße Aneignung ihrer Umwelt im Spiel zu ermöglichen.
Merkmale kindlichen Spiels
Eine allgemein akzeptierte Definition von Spiel läßt sich in der Fachliteratur nicht finden. Je nach theoretischem Standpunkt werden unterschiedliche Merkmale als wesentliche Komponenten kindlichen Spiels betont(vgl. Übersicht: Rubin, Fein& Vandenberg 1983).
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