Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
129
Einzelbild herunterladen

Das Spielverhalten

blinder und sehender Kinder

Stand der Forschung

Von Michael Brambring und Heinrich Tröster

Der Wissensstand über das Spielverhalten blinder Klein- und Vorschulkinder wird referiert. Die Beson­derheiten in der Spielentwicklung blinder Kinder werden anhand von vier theoretischen Ansätzen zur Beschreibung der Spielentwicklung sehender Kinder diskutiert. Es handelt sich um kognitive, erregungs­regulierende, soziale und psychoanalytische Ansätze. Abschließend wird eine Bewertung der bisherigen Befunde und Berichte zum Spielverhalten blinder Kinder und damit der Bedeutsamkeit des Gesichts­sinns für diesen Entwicklungsbereich vorgenommen.

The state of research on the play behavior of blind infants and preschoolers is reviewed, Four theoretical approaches describing the play development of sighted children(cognitive, arousal-regulating, social, and psychoanalytical approaches) are used to discuss the particular characteristics of play development in blind children. The importance of vision for this developmental area is revealed. Finally, previous findings and reports on the play behavior of blind children are summarized and evaluated.

In der gegenwärtigen Forschung wird die Beobachtung und Analyse des kind­lichen Spiels als wichtige Informations­quelle zur Beurteilung des Entwicklungs­standes und-verlaufes bei nichtbehin­derten, aber auch bei behinderten Kin­dern angesehen. Quinn& Rubin(1984) nennen vier Aspekte, die auf die Bedeut­samkeit der Spielanalyse für diagnosti­sche und der Spielanleitung für erziehe­risch-therapeutische Zwecke hinweisen:

1. Die kindliche Spielentwicklung zeigt eine gesetzmäßige Abfolge vom Säug­lings- bis zum Kindesalter.

2. Diese Abfolge in der Spielentwicklung stellt eine verhaltensmäßige Reflek­tion der sozialen und kognitiven Ent­wicklung des Kindes dar.

3. Das kindliche Spiel scheint für die Einübung und Verfestigung neuerwor­bener Fertigkeiten von zentraler Be­deutung zu sein.

4. Die Anleitung zu Rollenspielen kann die kognitive und sozial-emotionale Entwicklung des Kindes fördern.

Die systematische Analyse des Spielver­

haltens blinder Kinder kann Hinweise

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG

über die Bedeutung des Gesichtssinns für diesen Entwicklungsbereich liefern. Der Gesichtssinn stellt für den Menschen die zentrale Sinnesmodalität zur Aufnahme von Umweltinformationen dar; bei der Integration verschiedener sensorischer Informationen kommt den visuellen In­formationen in der Regel die größte Be­deutung zu. Der Gesichtssinn steuert und regelt den Aufbau, die Ausdifferen­zierung und Automatisierung grob- und feinmotorischer Fertigkeiten. Durch den Gesichtssinn wird die Bildung kognitiver Konzepte erleichtert, da kognitive Pro­zesse wie Kategorisieren oder Klassifi­zieren visuell schneller und zuverlässiger als taktil oder auditiv ablaufen(Dunlea 1982). Auch für die Persönlichkeitsent­wicklung wird dem Gesichtssinn eine hohe Bedeutung zugemessen(Sonksen 1983), da sich bei fehlendem Gesichts­sinn starke Abhängigkeiten von der Hil­fe anderer Menschen ergeben, die die ei­genständige Persönlichkeitsentwicklung des blinden Kindes erschweren können (Fraiberg 1977).

Insofern das Spielverhalten als Ausdruck der sensomotorischen, kognitiven und

Band XVII, Heft 3, 1991

sozial-emotionalen Entwicklung ange­sehen werden kann, ist aufgrund der ge­nannten Schwierigkeiten mit Besonder­heiten in der Spielentwicklung blinder Kinder zu rechnen. Solche Besonderhei­ten können Hinweise auf den Entwick­lungsstand blinder Kinder geben und können somit ein ergänzendes Instru­ment der Entwicklungsdiagnostik dar­stellen. Detailliertes Wissen um den Ein­fluß der Blindheit auf das Spielverhalten erscheint darüber hinaus wichtig, um ge­eignete Maßnahmen zur Kompensation des fehlenden Gesichtssinns zu schaffen und somit blinden Kindern eine kindge­mäße Aneignung ihrer Umwelt im Spiel zu ermöglichen.

Merkmale kindlichen Spiels

Eine allgemein akzeptierte Definition von Spiel läßt sich in der Fachliteratur nicht finden. Je nach theoretischem Standpunkt werden unterschiedliche Merkmale als wesentliche Komponenten kindlichen Spiels betont(vgl. Übersicht: Rubin, Fein& Vandenberg 1983).

129