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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Michael Brambring& Heinrich Tröster

Häufig genannte konstituierende Merk­male von Spiel sind die dem Spiel zu­grundeliegende intrinsische Motivation bzw. die fehlende Notwendigkeit exter­naler, sozialer Kontrolle, d.h. durch das Spiel verstärkt sich das Kind selbst und ist nicht auf Lob anderer angewiesen. Beim Spiel ist das Kind mehr auf das Ausprobieren der Spielmittel und nicht so sehr auf das Spielziel orientiert, wel­ches im Verlauf des Spiels leicht wech­seln kann. Von Spiel spricht man nur, wenn das Kind aktiv in das Geschehen involviert ist. Das Symbolspiel eine häufig zu beobachtende kindliche Spiel­form zeichnet sich durch das Nach­spielen, die Simulation realer oder fikti­ver Situationen aus.

Neben den genannten konstituierenden Merkmalen muß bei der Beschreibung kindlichen Spiels auch der Kontext, in dem die Spielhandlung abläuft, und die subjektive Einstellung des Spielenden mitberücksichtigt werden. Je nach Kon­text und zugrundeliegender Motivation kann sich ein und dieselbe Tätigkeit, z.B. das Aufräumen des Kinderzimmers, für den Handelnden einmal als Anforde­rungs-, das andere Mal als Spielsituation darstellen.

Taxonomien kindlichen Spiels

Verschiedene Autoren haben versucht, die im Laufe der kindlichen Entwick­lung beobachtbaren Spielformen in eine strukturelle und sequentielle Ord­nung zu bringen. Einige dieser Taxono­mien beschränken sich auf eine relativ grobe Einteilung der zu beobachtenden Spielformen(z.B. Parten 1932; Piaget 1962), während andere Autoren eine möglichst weitgehende Ausdifferenzie­rung der verschiedenen Spielformen vorgenommen haben(z.B. Smilansky 1968; Rubin, Maioni& Hornung 1976; Fenson et al. 1976; Rosenblatt 1977; Zelazo& Kearsley 1980; Belsky& Most 1981). Piaget(1962) beispielsweise nennt nur drei Spielformen, die die gesamte Altersspanne von der Geburt bis in das Schulalter abdecken das Übungs-, das Symbol- und das Regelspiel. Nach den bisherigen empirischen Befunden(Ru­

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Das Spielverhalten blinder und sehender Kinder

Tabelle 1: Taxonomien kindlicher Spielformen

1

Körperbezogenes Spiel ohne Objekte: Das Kind spielt mit eigenem Körper, z.B. spielt mit den

eigenen Füßen, lutscht an seinen Fingern, usw. ab 3. Lebensmonat Funktionsspiele 2 Mund-Exploration von Objekten:

Das Kind beleckt, steckt Objekte in den Mund, lutscht

daran, usw. ab 6. Lebensmonat

Undifferenzierte Objektmanipulation:

Das Kind spielt mit den Objekten als Ganzes ohne auf deren Details und Funktionen zu achten, z.B. schüttelt, kratzt, drückt die Gegenstände, aber nicht spezifisch gemäß ihren Funktionen

Explorierende Objektmanipulation:

Das Kindinteressiert sich für Details von Gegenständen, d.h. tastet sie ab,untersucht sie, z.B. tastet Klöppel der Glocke, bohrt mit Finger in ein Loch des Spielzeugs, usw.

Relationale Objektmanipulation:

Das Kind bringt zwei Gegenstände in einen Zusammenhang, z.B. schlägt Klötze aneinander, läßt Bausteine(oder andere kleine Gegenstände) in Dose fallen, klopft mit Gegenstand an anderen, usw.

Funktions- oder körpergerechtes Spiel:

1) Beim materialgerechten Spiel wendet das Kind die Spielsachen gemäß ihrer Funktion an, z.B. rollt einen Klin­gelball, rührt mit einem Löffel in einer Tasse, schiebt das Spielauto, trommelt mit Schlegel, hält Telefonhörer ans Ohr, usw.

(Achtung: AbgrenzungSelbstbezogenes Symbolspiel)

2) Beim körpergerechten Spiel vervollkommnet das Kind motorische Fertigkeiten durch Übungen und Modifikatio­nen, z.B. Hüpfen, Springen, Herumrennen, Rutschen, usw.

Konstruktionsspiel:

Das Kind baut, stellt etwas mit Gegenständen her, z. B. baut ein Türmchen, steckt Ringe aufeinander, legt ein einfaches Puzzle

Symbolspiele

8 Kommentierendes Spiel: Das Kind verwendet realistische Gegenstände(Alltagsgegen­stände, Miniaturen) und kommentiert den Gebrauch dieser Gegenstände mit den assoziierten Geräuschen, z.B. Auto

ab

ab

ab

ab

ab

6. Lebensmonat

9. Lebensmonat

9. Lebensmonat

9. Lebensmonat

9. Lebensmonat

ab 15. Lebensmonat

bin, Fein& Vandenberg 1983) eignet sich eine solche Grobklassifikation, um das erstmalige Auftreten bestimmter Spielformen und damit bestimmter Ent­wicklungsfortschritte zu beschreiben. Beispielsweise zeigt ein Kind im 1. Le­bensjahr zwar Funktionsbeispiele, aber noch keine Symbolspiele, ein zwei- oder dreijähriges Kind zeigt zwar Symbol­spiele, aber noch keine Regel- oder Wettkampfspiele. Letztere sind erst im 5. Lebensjahr beobachtbar.

Will man unter diagnostischem Gesichts­punkt eine differenzierte Beurteilung des Spielverhaltens in Abhängigkeit vom Le­bens- bzw. Entwicklungsalter erhalten, so muß man erstens die von Piaget

HEILPÄDAGOGISCHE

(1962) vorgeschlagene Taxonomie dif­ferenzieren und zweitens die mit zuneh­mendem Lebensalter beobachtbare Va­riabilität der gezeigten Spielformen mit­berücksichtigen. Nicht nur die hierar­chisch höchste Spielform ist für die Beurteilung des Entwicklungsstandes des Kindes von Bedeutung, sondern auch wieviele unterschiedliche Spielfor­men das Kind zeigt.

In Anlehnung an die Arbeit von Belsky& Most(1981) wird in Tabelle 1 eine er­weiterte Taxonomie kindlicher Spielfor­men vorgestellt, die eine möglichst dif­ferenzierte Darstellung der unterschied­lichen kindlichen Spielformen liefern soll.

FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1991