ymam D
Q———
schiedenen Formen des Symbolspiels (Sandler& Willis 1965; Tait 1972a,b; Wills 1968, 1970, 1972; Fraiberg& Adelson 1973; Fraiberg 1977). Diese Beobachtung kann jedoch auch darauf beruhen, daß Funktionsspiele entwicklungsmäßig früher erscheinen, so daß Entwicklungsunterschiede bei diesen Spielformen per se nicht so stark auftreten können(„Bodeneffekt‘‘).
Die Entwicklungsverzögerungen im Symbolspiel liegen im Bereich von zwei Jahren— selbst bei solchen blinden Kindern, bei denen neben der Blindheit keine weiteren Beeinträchtigungen feststellbar sind(Fraiberg& Adelson 1973). Die beobachteten Unterschiede beziehen sich vor allem auf fremdbezogene Symbolspiele, d.h. Symbolspiele mit anderen Personen, Miniaturen oder Substituten. Formen selbstbezogenen Symbolspiels und die Vorstufe ‚„kommentierende Handlungen“(z.B. beim Auto schieben „brumm, brumm“ machen) scheinen bei blinden Kindern altersmäßig weniger stark verzögert aufzutreten.
Die Gründe für das verspätete Auftreten von fremdbezogenen Symbolspielen und deren Folgen für die Entwicklung blinder Kinder lassen sich sowohl aus den kognitiven, sozialen als auch psychoanalytischen Theorien zur Spielforschung ableiten(Tait 1972d). An dieser Stelle soll zunächst nur der kognitive Standpunkt dargestellt werden.
Unter kognitiven Gesichtspunkten wird argumentiert, daß das verspätete Auftreten von Symbolspielen, vor allem mit Miniaturen oder Substituten darauf zurückzuführen ist, daß diese Objekte für ein blindes Kind in Form und Funktion den realen Gegenständen oder Personen sehr unähnlich sind(Wills 1965). Die Puppe als Substitut für einen Menschen ergibt sich in erster Linie aus ihrer optischen Ähnlichkeit— taktil, geruchs- oder geschmacksmäßig ähnelt eine Puppe in nur sehr wenigen Merkmalen einem Menschen. Somit ist es nicht verwunderlich, daß blinde Kinder erst sehr spät Ersatzobjekte in ihr Spiel einbeziehen, da auch sehende Kinder Substitute, die in ihrer Form und Funktion stark von realen Objekten oder Personen abwei
Michael Brambring& Heinrich’ Tröster*
chen, erst im späteren Vorschulalter in ihr Symbolspiel aufnehmen.
Aufgrund der erschwerten Vorstellungsmöglichkeit von Substituten als Ersatz für reale Personen oder Tiere ist die häufig gemachte Beobachtung erklärlich, warum blinde Kinder weitaus seltener als sehende zur Animisierung von Stofftieren und Puppen neigen(Sandler& Wills 1965; Fraiberg 1968; Wills 1979). Die Unterschiedlichkeit von realen Tieren und Menschen zu Stofftieren und Puppen wird für blinde Kinder so groß sein, daß eine Symbolisierung durch solche Substitute erst sehr spät erfolgen kann. Die differenzierteste Interpretation für das verspätete Auftreten von fremdbezogenen Symbolspielen bei blinden Kindern unter kognitivem Gesichtspunkt stammt von Fraiberg& Adelson(1973). Sie verfolgten die Entwicklung eines blinden Mädchens vom 1. bis zum 5. Lebensjahr. Das Mädchen war vollblind, zeigte keine weiteren Beeinträchtigungen und gehörte entwicklungsmäßig zu den besten der zehnköpfigen Gruppe blinder Kinder. Bei der Beobachtung der Entwicklung des Symbolspiels bei diesem Mädchen ergab sich eine parallele Verzögerung im korrekten Gebrauch der Personalpronomen„ich‘‘ und„du“ und dem Symbolspiel. Erst mit 4 1/2 Jahren (Normwerte für sehende Kinder: ca. 2 1/2 Jahre) war das Mädchen— trotz sonst altersgemäßer vokabularischer und syntaktischer Fertigkeiten— in der Lage, die Personalpronomen korrekt anzuwenden. Zur gleichen Zeit tauchten bei diesem Mädchen auch die ersten fremdbezogenen Symbolspiele mit Puppe auf. Fraiberg& Adelson(1973) sehen die gemeinsame Ursache für die parallele Entwicklungsverzögerung von Sprache und Spiel in der ungenügenden Fähigkeit blinder Kinder, eine vorstellungsmäßige Differenzierung der eigenen Person von anderen Personen vorzunehmen. Blinde Kinder haben aufgrund fehlender visueller Anschauung enorme Schwierigkeiten, die Relativität der Wortbedeutung „ich“ und„du“ je nach Sprecher- und Zuhörerposition zu begreifen. Sie lösen sich nur schwer von ihrem egozentrischen Standpunkt und sind entwicklungsmäßig erst spät in der Lage, sich
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1991
Das Spielverhalten blinder und sehender Kinder
gedanklich in die räumliche Position einer anderen Person zu versetzen. Fraiberg(1977, p. 282) spricht deshalb von einer Verzögerung in der„representational intelligence‘ bei blinden Kindern. Weitere Hinweise, daß es sich um ein Problem der Loslösung von realen Situationen und der Repräsentation innerer Vorstellungen handelt, sehen Fraiberg& Adelson(1973) darin, daß zum gleichen Zeitpunkt, zu dem das fremdbezogene Symbolspiel erstmalig beobachtbar war, das Kind auch zum ersten Mal von einem Traum und von zurückliegenden Ereignissen erzählen konnte.
Die Untersuchung von Tait(1972a,b), die das Rollenspiel von blinden, sehbehinderten und sehenden Kindern im Alter von 4—9 Jahren analysierte und keine Unterschiede zwischen den Gruppen fand, legt den Schluß nahe, daß blinde Kinder in höherem Lebensalter in gleichem Umfang wie sehende Kinder Phantasie- und Rollenspiele in ihr Verhaltensrepertoire aufnehmen.
Erregungsregulierende Ansätze
Die erregungsregulierenden oder motivationalen Ansätze(Berlyne 1960; Heckhausen 1964; Ellis 1973, 1984) betonen die Bedeutung des Spiels zur Spannungsreduzierung und-regulierung des Organismus.
Der wichtigste theoretische Ansatz ist Berlynes Erregungstheorie(„arousal-theory‘, 1960), aus der sich der funktionale Wert kindlichen Spiels ableiten läßt. Nach Berlyne(1960) strebt jeder Organismus danach, das Erregungsniveau des Zentralnervensystems in einem niedrigen Grundzustand zu halten. Durch Veränderung der Umweltanregungen kann es zu einer Abweichung von diesem Grundzustand im Sinne einer Erregungserhöhung kommen. Zwei Formen von Umweltveränderungen können zu einer solchen Erregungserhöhung führen— erstens der Mangel an Anregungen(Unterstimulation) und zweitens die Anregungsüberflutung durch neuartige, angstauslösende Reize bzw. Situationen.
133
|