Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
142
Einzelbild herunterladen

Alfred Fries*

Einstellungen gegenüber körperbehinderten Menschen

war auch, daß sich insbesondere weib­liche Versuchspersonen erwachsenen Menschen mit Down-Syndrom zurück­weisender verhielten als männliche Ver­suchspersonen. Bächthold(1981) be­urteilt den Einfluß des Faktors Ge­schlechtszugehörigkeit eher zurückhal­tend, wenn er schreibt:Die wenigen geschlechtsspezifischen Einflüsse auf die Einstellungsstrukturen lassen die Schluß­folgerung nicht zu, daß die Einstellungs­struktur wesentlich durch die Ge­schlechtszugehörigkeit verändert werde (S. 386). Als schwierig gestalten sich auch die Erklärungsversuche für eine eher positivere Einstellung von Frauen, weil sie zum Teil mit klischeehaften Vorstel­lungen einhergehen(z.B. der Meinung, daß Frauen angeblich gefühlsbetonter reagieren, eher geneigt sind, in sozial er­wünschter Weise zu antworten, in Ein­stellungsfragebögen generell weniger be­reit sind, ablehnende Gefühle und nega­tive Emotionen offen zu artikulieren).

Ergebnisse zu Beziehungen zwischen Einstellungen gegenüber Behinderten und Persönlichkeits­merkmalen

Die Forschung nach den persönlichkeits­spezifischen Bedingungen von vorurteils­haftem Verhalten sucht Verbindungen nachzuweisen zwischen bestimmten Per­sönlichkeitsmerkmalen und der Neigung zu Vorurteilen. Cloerkes(1979) weist zu­recht darauf hin, daß es durchaus keine einheitliche Anti-Haltungder Gesell­schaft, sondern ein recht breites Spek­trum von Reaktionsweisen gibt, das nach Ansicht zahlreicher, insbesondere psychologisch bzw. psychoanalytisch orientierter Theoretiker auf die unter­schiedliche Ausprägung bestimmter Per­sönlichkeitsmerkmale zurückzuführen ist(S. 322). Die Tatsache, daß Persön­lichkeitsdimensionen in der Forschung zum vorurteilshaften Verhalten bis jetzt weniger Beachtung gefunden haben, mag begründet werden aus der wie Cloerkes (1979, S. 322) formuliertirrigen Vor­stellung eines Gegensatzes zwischen In­dividuen auf der einen und Gesellschaft auf der anderen Seite(S. 322). Pointiert

142

angesprochen wird hiermit die zwingen­de Notwendigkeit der Sicht einer Wech­selwirkung zwischen Persönlichkeits­struktur, Sozialstruktur und Verhalten, nicht deren Unvereinbarkeit(vgl. auch Sargent& Williamson 1958; Roghmann 1966; König 1965; Bächthold 1981). Durch diese Feststellung wird einseiti­gen Erklärungsansätzen von Einstellun­gen gegenüber Behinderten entgegenge­wirkt. Persönlichkeitskomponenten wei­sen eine hohe zeitliche Konstanz auf. Geht man davon aus, daß die Manifesta­tion von Persönlichkeitsfaktoren sich von einer zur anderen sozialen Situation variabel gestaltet, dannbesteht eine Rückverbindung zwischen manifestem Verhalten und latenten Komponenten im Sinne einer gegenseitigen Anpassung (Roghmann 1966, S. 79 zit. in Cloerkes 1979, S. 324).

Die meisten der von Cloerkes analysier­ten empirischen Studien weisen auf ei­nen deutlichen Zusammenhang zwischen dem PersönlichkeitsmerkmalAutorita­rismus(im Sinne Adornos und Mitar­beiter, 1950; 1968) und negativen Ein­stellungen gegenüber behinderten Men­schen hin.!

Bächthold(1984) hat die Grundzüge desautoritären Charakters beschrie­ben, vor allem im Hinblick auf die rele­vanten Eigenschaften, die in die Inter­aktion mit behinderten Menschen ein­gehen. So ist u.a. zu lesen:Positiv be­urteilt er sich selber und Personen, die er als ähnlich empfindet, während er von diesem Eigenbild abweichende Men­schen ablehnt. Dabei verzerrt oder ver­drängt er Tatsachen und Gedanken, die nicht mit den eigenen Anschauungen übereinstimmen. Faßt er beispielsweise geistig Behinderte als bösartig auf, dann nimmt er bei ihnen ausschließlich ein Verhalten zur Kenntnis, das er als Bös­artig auslegen kann; Höflichkeit hinge­gen übersieht er. Wenn er mit solchen Dingen in logische Widersprüche gerät, bemüht er sich kaum darum, sie zu ver­arbeiten. Alles in allem ist er eindeutig intolerant(S. 33).

? Zurkritischen Auseinandersetzung mit dem

theoretischen Ansatz von Adorno et al. (1950) sei u.a. auf Bergius(1976) und Estel(1983) hingewiesen.

Nach den Ergebnissen von Bächthold (1981) ist die soziale Distanz sowie un­persönlich-delegierende Hilfe zu Körper­behinderten und deren Familien bei star­ker Ausprägung des Autoritarismus-Syn­droms festzustellen. Auch zeigte sich, daß die Isolationsbedürfnisse der Behinder­ten relativ hoch eingeschätzt werden. Eine weitere direkte Bestätigung eines Zusammenhanges zwischenautoritären Persönlichkeitsstrukturen und Einstel­lungen kann auch aus den Studien abge­leitet werden, in denen das Persönlich­keitsmerkmalKonformität gesondert untersucht worden ist. Cloerke(1979, S. 349 f.) zitiert in diesem Zusammen­hang verschiedene Untersuchungen, u.a. auch die von Billings(1960). In der an Schulkindern durchgeführten Studie von Billings(1960) konnte eine Korrelation zwischen der Höhe der Konformität und der Höhe der Ablehnung gefunden wer­den: Die Einstellung gegenüber Behin­derten war umso ungünstiger, je ange­paßter an die gesellschaftlichen Werte und Normen sich die befragten Kinder zeigten(vgl. auch Noonan, Barry& Davis 1970).

Die Ergebnisse zu den Persönlichkeits­merkmalenEthnozentrismus,Dog­matismus/Rigidität undAmbiguitäts­intoleranz weisen mit unterschied­lich klarer empirischer Fundierung ins­gesamt gesehen in die gleiche Richtung wie die Ergebnisse zum Persönlichkeits­merkmalAutoritarismus.

Chesler(1965, zit. in Thomas 1980, S. 64f.) entwarf einen Test zur Messung vonEthnozentrismus und verglich die dabei erhaltenen Antworten mit den ge­äußerten Einstellungen gegenüber einer Gruppe von Behinderten. Von den vier Aspekten der Ethnozentrik ausgehend (Rasse, Religion, Nationalität und so­ziale Schicht) stellte er fest, daß nega­tive Einstellungen gegenüber anderen Gruppen korrelierten. Personen, die durch hohe Ethnozentrik bzw. ausge­prägte Ablehnung vonOut-groups (Außenseitergruppen) auffielen, äußer­ten auch negative Einstellungen gegen­über Behinderten.

Von einer Beziehung zwischen dem PersönlichkeitsmerkmalKognitive Ein­fachheit(näher beschrieben als Unfähig­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1991