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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Alfred Fries

- Einstellungen gegenüber körperbehinderten Menschen

keit, die Welt als komplexes System zu begreifen, mit der Neigung zur Präferenz einfacher Konstruktionen und zum ste­reotypisierenden, rigiden Wahrnehmungs­typus) und negativeren Einstellungen gegenüber Behinderten kann ebenfalls ausgegangen werden, da empirische Zu­sammenhänge zu den bisher genannten Persönlichkeitsmerkmalen bestehen. In der Untersuchung von Eisenmann(1972) hatten Schwesternschülerinnen mit Vor­liebe für kognitiv einfache(im Gegen­satz zu komplexen) Strukturen eine deutlich abweisendere Haltung gegen­über körperlich und geistig behinderten Menschen.

Beziehungen zwischen dem Persönlich­keitsmerkmalAngst und Einstellungen zu Behinderten können dahingehend in­terpretiert werden,,... daß Behinderte am ehesten von solchen Personen akzep­tiert werden, die relativ angstfrei sind (Cloerkes 1979, S. 346). Gestützt wird die Annahme durch empirische Studien u.a. von Tseng(1972), Whiteman& Lukoff (1962), in denen hohe Angstwerte auf der MAS-Angstkala(‚‚Manifest-Anxiety­Scala) mit ungünstigeren Einstellun­gen zu Behinderten korrespondierten. Eine empirische Verifikation hat größ­tenteils auch die Annahme erhalten, daß beiIch-Schwachen-Personen eine ne­gative Einstellung zu beobachten ist, wenn man sich auf die Untersuchungen von Siller(1963, zit. in Cloerkes 1979, S. 347) beruft. Das aus der psychoana­lytischen Theorie abgeleitete Persönlich­keitsmerkmalIch-Schwäche korres­pondiert dabei(aufgrund eines hohen, damit verbundenen Anteils von Angst) vor allem mit sozialen Interaktionsstö­rungen, die als Abwehrmechanismen zu sozialen Vorurteilen prädisponieren(vgl. Krappmann 1984 bei der Diskussion um dieGrundqualifikation, die ein Indi­viduum zur erfolgreichen Teilnahme an sozialen Interaktionen benötigt; vgl. auch Mitscherlich 1963). Allerdings besteht auch hier wieder zwischenIch-Schwä­che und den bisher referierten Persön­lichkeitsmerkmalen eine enge Affinität. Die FaktorenSelf-Concept(das be­stimmte Bild, das jeder Mensch von sich hat) undBody-Concept(das bestimmte Bild, das eine Person von ihrem Körper

hat) wurde als weitere Variable in diesem Zusammenhang untersucht. Empirisch wurde versucht, dasBody-Concept (das in einem engen Zusammenhang zumSelf-Concept* steht) auf zweierlei Weise zu erfassen und folgende Thesen zu bestätigen: Je größer die(unbewußte) Angst vor dem Verlust der eigenen kör­perlichen Unversehrtheit(bei der Begeg­nung mit Körperbehinderten) ist, umso negativer ist die Einstellung zu Körper­behinderten und: Je stärker eine bewußt positive Einstellung zum eigenen Körper besteht, umso positiver wird die Einstel­lung zu Körperbehinderten sein.

Diese Thesen konnten durch Untersu­chungen erhärtet werden(z.B. Noonan et al., zit.in Cloerkes 1979, S. 352; Jabin 1987), so daß mit Cloerkes(1979) zusam­menfassend festgehalten werden darf,daß dem Self-Concept- bzw. Body-Concept­Ansatz ,,... ein gewisser Erklärungswert für die Entstehung von negativen sozia­len Reaktionen auf Behinderte nicht ab­gesprochen werden kann(S. 355). Al­lerdings zeigen die empirischen Studien auch, daß diese beiden Persönlichkeits­merkmale ebenso wie die anderen besprochenen Persönlichkeitsmerkmale auch untereinander korrelieren(in die­sem Fall mitAngst undIch-Schwä­che), so daß auch hier wieder die Not­wendigkeit einer übergreifenden Sicht­weise im Sinne des Vorurteilsansatzes deutlich wird(vgl. Cloerkes 1979, S. 355).

Bemerkenswert erscheint in diesem Zu­sammenhang, daß dasBody-Concept des Einzelnen natürlich auch davon ab­hängt, wie hoch in einer Gesellschaft Werte wie Gesundheit, körperliche Un­versehrtheit, Attraktivität usw. und die Abweichung von diesen Werten betrach­tet werden(vgl. Synder 1981; Guerin 1980; Seywald 1977; Altemöller& Eg­gert 1981).

Abschließend sei noch festgehalten, daß von anderen Persönlichkeitsvariablen, die Cloerkes in seine Analysen mitein­bezogen hat(wie Anomie, Aggressivität, Extrapunitivität, Dominanz- bzw. Lei­stungsstreben, Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit, Empathie, Ähnlichkeit der Einstellungen, Intelligenz, Ausdauer, Ordnungsliebe etc.) nur bei Anomie,

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1991

Aggressivität und Empathie(Verständ­nis für andere) ein nennenswerter Zu­sammenhang zur Einstellung gegenüber Behinderten festgestellt werden konnte (vgl. Cloerkes 1979, S. 360): Es besteht eine negative Beziehung zwischen Ano­mie(oder Entfremdung:interpersonal alientation) und akzeptierenden Ein­stellungen gegenüber Körperbehinderten (vgl. die Studie von Jabin 1965, zit. in Cloerkes 1979, S. 356; vgl. auch Jabin 1987), ebenso eine Beziehung zwischen höherer Aggressivität und negativerer Einstellung.

Eine gewisse Bestätigung erhielt auch die Vermutung, daß Personen, die generell positiv anderen Menschen gegenüber ein­gestellt(Empathie), dies auch behin­derten Menschen gegenüber sind(vgl. die dazu berichteten Untersuchungsergeb­nisse bei Yuker et al.(1966), zit. in Cloerkes 1979, S. 358).

Bei der Studie von Bächthold(1981) zeigte sich, daß Hilfsbereitschaft gegen­über Körperbehinderten eher durch posi­tive Gefühle und stärkere soziale Akzep­tanz gekennzeichnet ist; auch die soziale Distanz erwies sich als weniger ausge­prägt. Die gezeigte Hilfsbereitschaft be­zog sich jedoch meist auf unpersönliche, delegierende Hilfe, verstärkte Mitleids­und Schuldgefühle. Anhand der Kontroll­skala(soziale Erwünschtheit) stellte sich jedoch heraus, daß nur bei einer Minderheit derhilfsbereiten Befrag­ten auch vonechter Hilfsbereitschaft gesprochen werden kann. Der größte Teil der Befragten äußerte hilfsbereites Verhalten lediglich aufgrund sozialer Er­wünschtheit.

Zu den Persönlichkeitssyndromen, die die Prozesse der sozialen Etikettierung und Vorurteilsbildung beeinflussen, zählt Bächthold(1981) neben dem bereits er­wähntenAutoritarismus- bzw.Hilfs­bereitschafts-Syndrom auch dasUtili­tarismus-Syndrom. Nach Bächthold ist das Utilitarismus-Syndrom gekennzeich­net durch

utilitaristische taktische Methoden in den zwischenmenschlichen Bezie­hungen

einen relativen Gefühlsmangel in zwi­schenmenschlichen Beziehungen

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