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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Alfred Fries*

Einstellungen gegenüber körperbehinderten Menschen

das Dominieren von Nützlichkeitser­

wägungen

eine instrumentalistische Betrach­tungsweise des Mitmenschen 6. 112).

Bächthold(1981, S. 316.) stellte fest, daß mit starker Ausprägung des Utilita­rismus-Syndroms eine verstärkte soziale Distanz zu Körperbehinderten, unper­sönlich-delegierende Hilfe, eine stärkere Befürwortung von eher Isolations- als Integrationstendenzen und negativere Handlungsabsichten gegenüber Körper­behinderten gekoppelt sind.

Seifert& Bergmann(1983) haben Be­ziehungen zwischen den Skalen des EKB(auf diesen auch in unserer Un­tersuchung verwendeten Fragebogen wird noch später eingegangen werden) und Persönlichkeitsmerkmalen herge­stellt, speziell unter dem Aspekt der Be­ziehungen zu beruflichen Werthaltungen und zu vier mit dem Gießen-Test gemes­senen Persönlichkeitseigenschaften. Die Autoren fassen die Ergebnisse wie folgt zusammen:

Günstige Einstellungen gegenüber Kör­perbehinderten gehen danach einher mit einer eher altruistischen Wertorientie­rung(bei geringer Ausprägung materiell­prestige-orientierter Werthaltung) sowie mit einer positiven(nicht-depressiven) Grundstimmung, mit Kontaktfähigkeit, Selbstsicherheit und psychosozialer An­gepaßtheit(Fehlen von Zügen von ‚Do­minanz und einer negativen Einschät­zung der eigenen ‚sozialen Resonanz* (S. 316).

Die Autoren betrachten diese Befunde als eine wesentliche Erweiterung ameri­kanischer Forschungsergebnisse. Zusammenfassend kann festgehalten werden:

Der Einfluß einzelner Persönlichkeits­merkmale auf die Einstellungsbildung kann insgesamt gesehen alsempirisch nur unzureichend abgesichert ange­sehen werden(Cloerkes 1979, S. 361, mit Verweis auf English 1971). Am ehesten kann für die Variablen Autori­tarismus, Ethnozentrismus und Dogma­tismus/Rigidität von einer gesicherten Beziehung zu Einstellungen gegenüber behinderten Menschen ausgegangen wer­

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den. Zwischen diesen Variablen beste­hen so enge Zusammenhänge,daß eine Interpretation als Kern der ‚vorurteils­vollen Persönlichkeit naheliegt(Cloer­kes 1979, S. 367). Um diesen Kernsind die Persönlichkeitsmerkmale Angst, Ich­Schwäche, Konformität, kognitive Ein­fachheit, Ambiguitätstoleranz und Body­Satisfaction in unterschiedlich starker In­terkorrelation sowohl zu den drei Kern­variablen als auch zu den Variablen un­tereinander angesiedelt(vlg. dazu Abbil­dung 5: ‚Interkorrelationen zwischen den wichtigsten Merkmalen der vorur­teilsvollen Persönlichkeit bei Cloerkes 1979, S. 366).

Zu dieser Interkorrelationsmatrix be­merkt Cloerkes(1979).Wenn man sich diese Zusammenhänge vor Augen hält, erfahren eine Reihe ansonsten eher ma­gerer Ergebnisse über die berichtet wur­de, ein wesentlich stärkeres Gewicht. Angst und Ich-Schwäche beispielsweise, zwei in der theoretischen Analyse ableh­nende Haltungen gegenüber Behinderten sehr gewichtig, aber empirisch äußerst schwer erfaßbare Faktoren, lassen sich über die zentralen Vorurteilsmaße nun­mehr einbeziehen...(S. 367). Der Stellenwert der verschiedenen Persön­lichkeitsmerkmale ob sie nun zu den Kern- oder Randvariablen zählen wird damit durch die Einbindung in ein Netz von Persönlichkeitsmerkmalen, ‚die ins­gesamt zu vorurteilsvollen Reaktionen prädisponieren(Cloerkes 1979, S. 367), sichtbar und für die Einstellungsbildung gegenüber behinderten Menschen in unterschiedlicher Gewichtung trans­parent.

Wichtig ist auch der Hinweis von Cloer­kes, daß empirische Ergebnisse aus der Einstellungs- und_Persönlichkeitsfor­schung, besonders solche, die vorrangig auf psychoanalytischen Erklärungskate­gorien basieren, mit großer Vorsicht zu interpretieren sind. Dies trifft vor allem auf Schlußfolgerungen zu, die aus dem sog. Schichtenmodell der Persönlichkeit abgeleitet werden, einer Annahme, daß von der Vielzahl der Variablen einige fundamentaler seien als andere und der Annahme, daß man je tiefer man in die Schichten der Persönlichkeit eindringe umso näher man den entscheidenden

HEILPÄDAGOGISCHE

Variablen komme(vgl. Roghmann 1966, 8.77).

Cloerkes lehnt solche Versuche, Einstel­lungen ausschließlich unter Bezugnahme auf ein solches Schichtenmodell erklä­ren zu wollen, alsgroße Vereinfachun­gen des tatsächlichen Zusammenhanges ab(S. 361).

Zu den Gründen für die Inkonsistenz bzw. mangelnden Prägnanz der Ergeb­nisse müssen vor allem auch methodische und inhaltliche Schwierigkeiten ange­führt werden. So sind in vielen Fällen u.a. die verwendeten Testinstrumente oder die untersuchten Populationen nicht ohne weiteres vergleichbar, ebenso kann die Frage, ob die persönlichkeits­spezifische Basis vorurteilshaften Ver­haltens als belegt gelten kann, schon deshalb letztlich nicht beantwortet wer­den, weil ‚,... eine verbindliche Per­sönlichkeitskonzeption heute weniger denn je vorhanden ist(Schäfer& Six, 1978, S. 175).

Wichtig erscheint auch der Hinweis von Cloerkes, daß das Ausmaß, in dem eine individuelle, akzeptierende Haltung ge­genüber einem Behinderten möglich ist, nicht zuletzt von der Stärke und Rich­tung der angeführten Persönlichkeits­merkmale abhängt: Durch sie wird Qua­lität der Akzeptanz der behinderten Menschen durch die nichtbehinderte Person wesentlich beeinflußt.Gerade hier könnte sich angesichts der grund­sätzlichen Plastizität der menschlichen Persönlichkeit noch am ehesten ein Spiel­raum für mögliche Einstellungsänderun­gen ergeben, wenn auch kaum kurzfristig und im Widerspruch zur herrschenden Gesellschaftsstruktur(Cloerkes 1979, S. 368). Es scheint fraglich, ob Cloerkes hier nicht von einer zu optimistischen Sichtweise der Plastizität der menschli­chen Persönlichkeit in Bezug auf die Veränderung von Einstellungsstrukturen speziell gegenüber behinderten Men­schen ausgeht.

Fragestellungen

Die vorliegende empirische Studie ver­folgt folgende Zielsetzungen:

FORSCHUNG Band XVII, Heft 3, 1991